Donnerstag, 30. Juli 2009

Schnipp! Scherenkauf auf dem Winterfeldtmarkt

HandarbeitsschereDas Wrack und die neue

Über den Sinn von vernünftigem Werkzeug fürs Handarbeiten müssen wir wohl nicht diskutieren. Wo man aber vernünftiges Werkzeug findet und wie man es erkennt, ist schon eher eine interessante Frage.

Bei der Auswahl des kleinen Scherenwracks links im Bild hatte ich kein glückliches Händchen. Die Schere stammte aus dem Kaufhaus, war nicht mal billig, schnitt von Anfang an nicht so gut wie sie sollte, und leider war ich nicht so schlau, sie sofort umzutauschen. Nach und nach lockerte sich die Verbindungsstelle zwischen den Scherenblättern und irgendwann verlor sich erst die kleine Mutter, die Schraube folgte dann vor einem halben Jahr. Bei solchen Kleinteilen ist es ja immer dasselbe: sie haben längst im Staubsaugerbeutel das Haus verlassen und sind über alle Berge, ehe ihr Fehlen überhaupt bemerkt wird.

Nach einem halben Jahr ohne funktionierende kleine Schere war ich am letzten Wochenende weichgeklopft und bereit, nochmal Geld auszugeben - eingedenk des bekannten Indianersprichworts "Wenn du bemerkst, dass du ein totes Pferd reitest - steig ab!" aber nicht für die Reparatur des Scherenwracks, sondern für einen neuen Anfang.

Auf dem Samstagmarkt am Winterfeldtplatz in Schöneberg gibt es einen Stand mit Messern aller Art - vom Skalpell bis zum Fleischerbeil - und mit Scheren in allen Formen und Größen, die ich schon ein- zweimal beäugt hatte. Dieses Mal rückte ich mit Stoffresten zum Probeschneiden an und legte nach etwas Geschnipsel hier und da 10 Euro für eine hübsche kleine, etwa 35 Jahre alte Handarbeitsschere an.

Der Händler verkauft größtenteils alte, aber unbenutzte Bestände von Solinger Messern und Scheren und lebt vor allem, wie er mir verriet, von Kunden wie mir, die zuerst irgendwas im Kaufhaus kaufen und dann nicht damit zufrieden sind (OK, so genau habe ich das eigentlich nicht wissen wollen, Lektion gelernt). Oder von Leuten, die ein geeignetes Schneidwerkzeug für ein ganz bestimmtes Material suchen und dann bei ihm am Stand ihren Proben testweise mit verschiedenen Klingen zu Leibe rücken können, ehe sie kaufen. Für textile Belange hätte es zum Beispiel auch noch eine kleine Schere speziell für dünne Seiden, eine Zackenschere, eine Applikationsschere, eine Lederschere und diverse Fadenabschneider gegeben.

Mein messeraffiner Liebster bekam einen kleinen anschaulichen Vortrag über die sehr unterschiedlichen Klingenformen, die in anderen europäischen Ländern als ideales Küchenmesser angesehen werden - die Unterschiede sind so groß, dass man eine europäische Kulturgeschichte des Messers schreiben könnte.

Mich macht schon das satte Schnipp!-Geräusch meiner neuen Schere glücklich, die im übrigen bis zur Spitze viel schärfer ist, als das Wrack zu seinen besten Zeiten. Falls die Schärfe nachlassen sollte, könnte ich sie am Stand auch neu schärfen lassen, aber ich nehme an, dass das sehr lange nicht nötig sein wird. Und falls ich noch eine Spezialschere brauchen sollte, weiß ich jetzt, wo ich zuerst hingehe.


Scheren- und Messerstand
Markt auf dem Winterfeldtplatz, Berlin-Schöneberg
Standreihe an der Gleditschstraße
jeden Samstag
Messer- und Scherenschärfen nicht bei Minusgraden

Update November 2013: Der Messerstand scheint Samstags nicht mehr auf dem Markt zu sein, so der Hinweis eines Lesers/einer Leserin (Danke!). Als Alternative schlägt er/sie die Schleiferei Kölle in Schöneberg in der Rosenheimer Str. 5/ Ecke Eisenacher Str. vor. Habe ich selsbt nicht getestet, gebe es aber einfach mal weiter. 

Haltestelle: Nollendorfplatz (U1, U2, U3, U4)

14 Kommentare:

  1. Ein Schmuckstück... - guter Tip!

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  2. Scharf ist sie - und hübsch retro noch dazu.
    Und für einen auf Lucyart erzählten Blogeintrag ist sie auch noch gut!
    Wenn ich diese Bierwerbung "Berlin- du bist so wunderbar" höre, muss ich oft an deine kleinen Geschichten denken. Danke!

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  3. Das ist ein wunderbarer Tip. Ich wollte sowieso mal wieder auf diesen Markt. Und zum Handarbeiten/Nähen kaufe ich mir immer gerne Werkzeug, besonders wenn es dazu eine Beratung gibt.

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  4. Eines der ersten Dinge, in die ich mich zu Beginn meiner Nählaufbahn verliebte: Das Geräusch, das eine scharfe Schneiderschere macht, wenn sie durch den Stoff gleitet.
    Leider besitze ich noch keine wirklich tolle Schere...
    So hübsch ist deine Neue! Und so hübsch auch die Geschichte... Griselda hat Recht: "Lucy - du bist so wunderbar"! (Wie? Nee, in der Kunst muss man etwas dicker auftragen! ;-) )
    Liebe Grüße!

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  5. Die Schere ist total schön und dieses "satte Schnipp" würde ich auch mal gerne hören! Leider habe ich bisher noch nie so eine schöne Schere gefunden, aber ich werde weitersuchen, irgendwann...
    LG, Olga

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  6. Für nur 10€ hast du diese hübsche Schere erworben? Und dann ist sie auch noch richtig scharf *lach*??? Da macht das Handwerk doch noch mahr Spass, stimmt´s?
    Viele Grüsse, Anette

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  7. Was ich an diesen Scheren schon immer so schön fand ist die Form. Soweit ich das sehe, stellen die zwei Teile Vögel dar - Kraniche oder so etwas - und die Schnäbel sind die Schneideblätter. Hoffentlich werde ich auch mal so eine Schere haben. Danke für den Tip!

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  8. Ja, diese Kranich-Scheren gibt es an dem Stand auch in großer Auswahl. Meine ist ein bißchen größer und hat ein paar Ornamente - eigentlich wollte ich etwas ganz Schnörkelloses, aber diese schnitt für mein Gefühl am besten.

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  9. *lach*
    Ich dachte erst..."Was sind denn das für interessante Scheren?" *hahahahahaha*

    Na da wünsch ich dir und deinem neuen Scherchen eine schöne, stressfreie gemeinsame Zeit! :-)

    Liebs Grüßle
    SuNnY...

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  10. Glückwunsch zu Deinem guten Fund. Ich habe auch von einem alten Schleifer Wundersames erfahren, nachdem er mir ein altes Stück wieder flott gemacht hatte und meinte damithätte ich noch viele Jahre Freude. Warum muß sämtliche Handwerkskunst von der Ökonomie der Industrialisierung geschluckt werden zum Preis, das ich einen Preis bezahle für viel schlechtere Qualität?
    Dieses Vogelscheren fand ich anfangs echt kitschig und nun faszinieren sie.
    LG karen

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  11. liebe lucy,

    vielen dank für den besuch in meinem blog und deine klugen worte. dass der geringe gestaltungsspielraum am ende so manches stück fadenflattrig macht, ist schon ein bisserl gemein, gell?
    da bräuchte es vielleicht einen fadenabschneider, der fädenvernähen überflüssig werden lässt.

    ach, die von dir beschriebene zackenschere hätte ich gerne ausprobiert, was daraus alles entstehen könnte ...
    ich liebe meine wellenschere á la alter fotorand über alles.

    was täten wir hand-werkerinnen ohne schere?

    übrigens bin ich schon mal hier in deinen blog gelandet, und war und bin es immer noch ganz fasziniert von deinem februar-monatsbild.

    herzliche grüße und auf dass deine neue schere ganz lange das tut, was du willst!!

    anita

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  12. Mich ärgert ja am meisten, dass ich ja von vorneherein "was gutes" kaufen wollte und für die erste Schere auch durchaus Geld ausgegeben habe, es in diesem Kaufhaus aber nur (offensichtlich überteuerten) Murks gab - und ich glaube, Karen, das hast du Recht, das ist eine allgemeine Tendenz, es ist teilweise schwierig, überhaupt etwas Hochwertiges zu finden.
    Anita, so eine alte Fotorand-Schere haben wir auch noch (wo ist die überhaupt?), wahrscheinlich muss man sie gut hüten, weil es sowas gar nicht mehr gibt (oder nur in viel schlechterer Qualität).

    viele Grüße, Lucy

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  13. also ich war einige male auf dem witerferfeldarkt um meine messer schleifen zu lassen. jedes mal war der herr nicht da. nu hat vor kurzem die schleferei koelle in unserem kiez eröffnet..ein kleiner betrieb in dem man sehr willkommen ist...meine gesamten scheren und messer habe ich dort schleifen lassen und bin mehr als zufrieden..ein schleifer mit herzblut mit hohem qualitätsbewusstsein..kleiner unscheinbarer laden in der rosenheimerstr. - ecke eisenacherstr. ...

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    1. Herzlichen Dank für den Hinweis! Auf dem Winterfeldtmarkt hat sich einiges geändert, auch einige andere Händler sind nicht mehr da, scheint mir. Ich nehme deinen Tipp oben in den Artikel mit auf.

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