Montag, 31. Januar 2011

Stadtneurotikerin mit Fischschwanz


126 Seiten. So viele A4-Blätter musste ich für diesen Rock ausdrucken, zusammenkleben und wieder ausschneiden - ich werde wohl nie eine Freundin der Schnitte zum Selberdrucken.

Das Schnittmuster für diesen Rock namens Annie Hall aus dem Buch twinkle sews, über das ich mich vor ein paar Tagen schon ausführlich ausgelassen hatte, umfasst eigentlich "nur" 63 Seiten, aber da ich nach der ersten Klebeorgie mit Größe 12 feststellte, dass die viel zu groß ist, hatte ich den ganzen Spaß noch einmal mit Größe 8. Und die passt ganz gut - nur die Taille habe ich noch etwas verschmälert. Größe 8 entspricht in diesem Fall fast genau einem engen Rock nach Burda in Größe 38, aber ich wage nicht, diese Erkenntnis für die anderen Rockschnitte zu verallgemeinern, so viel widersprüchliches habe ich nun schon über die Größenproblematik in diesem Buch gelesen.


Eins aber scheint mir sicher: Die Vorführdame in twinkle sews trägt Größe 0 und hat die Beine auf dem Foto noch dazu kordelgleich umeinander geschlungen. In Wirklichkeit nämlich bietet der Rock in Kniehöhe genügend Platz zum normalen Ausschreiten - nur bei höherem Tempo wirkt der Saum des Futterrocks ein bißchen hinderlich. Und auch sonst hat der Rock den Alltagstest schon bestanden. Treppensteigen, in den Bus steigen - alles kein Problem, man läuft nicht Gefahr, vorne auf den Saum zu treten und fegt beim Abwärtsgehen auch nicht die Treppen zur U-Bahn.


Wichtigste Maßnahme gegen das Wahnsinnigwerden: Jedes Schnitteil sofort auf der Rückseite mit seiner Nummer und oben/unten/hinten/vorne-Markierungen versehen. Der Oberrock besteht aus 14 Teilen (ohne die Taschen), alle verschieden - aber eben nicht offensichtlich verschieden, sondern kaum merklich asymmetrisch. Als ich nach dem Drucken, Kleben, Ausschneiden endlich alles aus meinem olivgrünen Wollstoff zugeschnitten hatte (und fürs Futter nochmal fünf Teile), hatte ich mich schon gefragt, ob das eigentlich noch ein Hobby ist - habe ich denn keine anderen Sorgen? Oder vielleicht sollte ich doch lieber die Weltfinanzkrise lösen.


Die Teile gingen dann aber doch zügig und völlig problemlos zusammen - und auch die zahlreichen Querzeichen an den Rändern offenbarten nach und nach ihre Bedeutung. Für offenkantige Verarbeitung kann ich mich meistens nicht begeistern, hier aber gefallen mir die links auf rechts gesteppten Teilungsnähte und der abgesteppte Saum, denn sie bilden einen stilistischen Bruch zu dem ansonsten sehr eleganten Schnitt. Wenn man den Rock, so wie als Variation vorgeschlagen, aus Seidensatin näht, erreicht man mühelos das Anmutung einer 30er-Jahre-Filmdiva. Aber auch aus alltäglicherem Stoff ist "Annie Hall" ein Rock, auf den man angesprochen wird - wenn ich mich nur erinnern könnte, ob Dianne Keaton in dem Film jemals etwas anderes trägt als Tweedhosen mit Weste!


Technische Daten:
Schnittmuster "Annie Hall" aus twinkle sews
Größe 8, Hüftweite (am Reißverschlussende) ca. 99cm beim fertigen Rock
Länge ca. 102 cm
Material: ca. 1,80m Wollköper und etwa 1,30m Futterstoff (Futterteile etwas versetzt nebeneinander zugeschnitten), Bügeleinlage für den oberen Teil und den Bund

Dienstag, 25. Januar 2011

Gestempelte Etiketten


Webetiketten, Labels, Namensetiketten, oder wie man die Dinger sonst noch nennen mag - beim Nähtreffen neulich waren wir übereinstimmend der Meinung, dass jede von uns eigentlich mindestens drei bis vier verschiedene brauchen könnte: Für Kindersachen, für die eigenen Sachen, für Taschen, für Geschenke, für Patchwork. Ein ein witziger und passender Name für alles ist einfach ungeheuer schwer zu finden. Dann auch noch die verschiedenen Farben, Schriftarten und Symbole - ich scheitere ja schon an der Entscheidung, ob eine helle Schrift auf dunklem Band oder eine dunkle Schrift auf hellem Band grundsätzlich besser in meine Nähwerke passen würde. Und im Grunde möchte ich lieber jedem Stück einen individuellen Namen geben, als in jedes das gleiche Etikett einzunähen.

Auf eine Lösung für diesen Wunsch bin ich nun zufällig gestoßen, weil ich auf irgendeiner Stempelwebseite gelesen hatte, dass es im Scrapbookingbereich waschfeste Stempelkissen für Stoff (Naturfasern) gibt. Zusammen mit einem Alphabetstempelset von Muji kann ich mir nun auf Baumwollband für jedes Kleidungsstück genau ein passendes Etikett stempeln, das auch noch richtig handgemacht aussieht. Nach dem Einbügeln hat die Stempelfarbe meinen Waschtest tatsächlich bestanden.

Und apropos Waschtest: Ich stempelte gerade begeistert vor mich hin, als der Liebste den Wäschekorb sortierte und sich über fehlende Pflegehinweise in meinen selbstgenähten Sachen beschwerte. Er hatte völlig recht, schließlich haben wir ja gesehen, was alles schreckliches passieren kann. Kleine Waschtrog- oder Bügeleisensymbole zum Stempeln sind im Set zwar nicht enthalten, aber ich sag mal so: gebügelt wird in diesem Haushalt sowieso kaum, einen Wäschetrockner haben wir nicht, dass bunte Sachen nicht mit scharfer Bleiche behandelt werden dürfen, ist eh klar - also bleibt nur Waschprogramm und Temperatur, und das lässt sich auch im Klartext auf ein Stück Stoff stempeln (schräg zugeschnittene feine Baumwolle, sollte kaum ausfransen).

Ähnliche Stempelsets wie meins habe ich auch bei Boesner gesehen, und im erwähnten Scrapbookingbereich sollte es auch Buchstabenstempel geben. Mein Stempelkissen ist ein Colorbox fluid chalk inkpad (gabs bei Idee in Leipzig). Für Stoff werden in Stempelforen ansonsten noch Versacraft-Stempelkissen empfohlen, oder die Fabrico-Marker vom gleichen Hersteller.

Samstag, 22. Januar 2011

Twinkle sews - Designermode zum Selbernähen

Jede aufstrebende neue Modedesignerin braucht eine gute Geschichte. Die von Wenlan Chia, Gründerin und Chefdesignerin des Labels twinkle, geht in etwa so:

Wenlan wuchs in Taiwan auf und kam schon als Kind mit Stoffen und Schnitten in Berührung, denn ihre Mutter arbeitete als Schnittdirektrice und entwarf privat für Wenlan und ihre Schwester wunderbare Kleider. 1991 zog die 23-jährige Wenlan zum Kunstgeschichtsstudium nach New York und belegte gleichzeitig Abendkurse am New Yorker Fashion Institute of Technology. Fortan wurde sie auf der Straße auf ihre Kreationen angesprochen und brachte schließlich ihre erste Kollektion farbenfroher handgestrickter Pullover und Accessoires im Herbst 2000 heraus - ein Jahr, nachdem sie selbst stricken gelernt hatte. Twinkles erster Auftritt im Nachwuchssegment der New Yorker Modewoche 2002 wurde gleich ein voller Erfolg, und das Label ist seither in den Kleiderschränken so berühmter Kleidträgerinnen wie Jessica Simpson, Mischa Barton, Maggie Gyllenhaal, Kate Hudson und Molly Sims zu finden.

So weit die Legende. Zugleich, und das unterscheidet Wenlan Chia von unzähligen anderen, hat sie ein großes Herz für Selbermacherinnen. Seit 2006 erschienen drei Strickbücher über die voluminösen Wollkreationen Wenlans, im Herbst 2009 ein Nähbuch – twinkle sews - das 25 Modelle aus früheren twinkle-Kollektionen enthält, komplett mit Schnittmustern auf einer beiliegenden CD.
Kurze und lange Röcke, Blusen und jackenartige Oberteile im Raglanschnitt, Tunikakleider, Spaghettiträgerhemdchen, ein Sweatshirt mit Känguruhtasche, bodenlange, fließende Sommerkleider lassen sich in den Größen 0 bis 16 nacharbeiten (die Schnittübersichtsseiten aus dem Buch kann man hier sehen). Die Schnittführung ist außergewöhnlich – nichts, was sich rasch aus einem Grundschnitt ableiten ließe, sondern raffinierte Faltenpartien, ungewöhnliches Volumen, nicht offensichtliche Asymmetrien und aufwendige gefaltete Verzierungen. Eben „from the runway to your wardrobe", wie es der Untertitel verspricht.

Als ich vor einem Dreivierteljahr das bestellte Buch zum ersten Mal durchblätterte, befiel mich ein vorfreudiges Kribbeln, wie es ansonsten vielleicht nur noch die Aussicht auf freie Auswahl im Lieblingsschuhgeschäft hervorrufen könnte. Das war alles so außergewöhnlich, so raffiniert, so großstädtisch-chic! Etwa die Hälfte der Modelle im Buch gefiel mir, und das bedeutete immer noch eine komplette twinkle-Garderobe in Reichweite meiner Nähmaschine!
Die aufmerksame Leserin wird sich jetzt berechtigter Weise fragen, warum ich, wenn doch die Schnitte so großartig sind, noch nicht die Hälfte des Buches nachgenäht und hier jubelnd vorgestellt habe – und damit kommen wir zu den Problemen.
Neben kleineren, aber grundsätzlich lösbaren Schwierigkeiten - die Schnitte als pdf sind zwar für Papier im amerikanischen Letter-Format ausgerichtet, lassen sich aber durchaus auch auf A4 drucken, die Anleitungen sind sehr knapp, aber vieles erklärt sich durch die Fotos der fertigen Modelle im Buch - ist die idiotisch verkomplizierte Größentabelle das größte Ärgernis.

Zwar gibt twinkle sews, so wie man das von Schnittmustern gewöhnt ist, eine mit "Körpermaße" bezeichnete Tabelle für Ober- und Hüftweite und Taille an (Seite 12). Im erklärenden Text heißt es im Widerspruch dazu aber, es handele sich nicht um Körpermaße, sondern man solle zu den eigenen Maßen eine Nahtzugabe von 2 inches und eine Bequemlichkeitszugabe von 2,  zum Teil auch 3 inches dazu addieren und erhalte damit das Maß, nach dem man in der eben dieser Tabelle die passende Schnittgröße auswählen könne. Geht es komplizierter? Zudem verstehe ich nach nun zwei fast fertigen Teilen weniger denn je, wie die Zahlen der Tabelle mit den Maßen des fertigen Kleidungsstücks korrelieren sollen, denn egal wie ich rechne, ob ich sie nun tatsächlich als Körpermaße verstehe, oder ob ich Zugaben einrechne, sie ergeben keinen Sinn.

Ein weiterer dicker Minuspunkt ist die Aufteilung der verschiedenen Größen in einzelne Dateien. Anstatt wie bei einem Fertigschnitt die Linien für alle Größen übereinander zu legen, so dass man mit einem Ausdruck einen vollständigen Schnittbogen erhält, auf dem man die Schnitteile ausmessen, die verschienden Größen vergleichen und die passendste wählen könnte, enthält die CD für jede zweite Größe eine separate Datei. Man muss den Schnitt also zunächst einmal ausdrucken, zusammenkleben – wegen der sehr lockeren Verteilung der Schnitteile leicht 50 Seiten und mehr – um zu messen und eventuell festzustellen, dass er nicht passen wird. Dann kann man das Spielchen zwei Größen größer oder kleiner wiederholen und muss sich eventuell noch aus dem gedruckten Material die Größe dazwischen selbst basteln. 

Es ist also viel Gedrucke, Geklebe, (Gefluche) und eine gewisse Abenteuerlust nötig, um zu einem Nähergebnis zu kommen. Abenteuerlustig waren z. B. schon Eva - Atelier Schmuckstück, die den "Skyline skirt" genäht hat, oder Lucia - Au café couture mit einer Version des "Budding romance"-Kleids und der Origamibluse. In die Reihe dieser Abenteuerlustigen kann ich mich nun einreihen, und obwohl der Praxistest der Teile noch aussteht und man an auch den Nähanleitungen viel kritisieren kann, kann ich schon jetzt sagen, dass die Schnitte nicht nur außergewöhnlich, sondern auch außergewöhnlich gut gezeichnet sind. Eine lohnende Herausforderung für jeden, der sich an den Burda-Ottobre-dieüblichenVerdächtigen-Schnitten sattgesehen hat.

Zum Ausprobieren gibt es zwei Schnittmuster aus twinkle sews kostenlos im Netz, einmal den "A plus A-line skirt", einen vielseitigen, aber nicht langweiligen Rock mit weichen Falten im Vorderteil, hier herunterzuladen bei Burdastyle (Registrierung erforderlich). Zweitens ein luftiges kleines Ballonkleidchen namens "Love in the afternoon", hier bei Craftstylish.

Montag, 17. Januar 2011

Geschenk für Nerds

Monika hatte in ihrem Kommentar nicht ganz unrecht - ich hatte mich im Dezember tatsächlich am Musterstricken versucht, allerdings an einem Muster, das stricktechnisch bei weitem nicht so komplex ist wie die Werke der Strickerinnen aus Estland.

"Binary", den Schal mit Binärcode aus Knitty Winter 2006, fand ich von der Idee her einfach genial - und noch dazu ein gutes Geschenk für Männer mit Computeraffinität, die sind ja bekanntlich immer besonders schwer zu beschenken. Die schwarz-grüne Farbgebung wie die Computerbildschirme vor 15 Jahren und das Muster mit jeweils acht Nullen und Einsen pro Zeile wird von jedem Computernerd nämlich sofort als ASCII-Code identifiziert.

Die Knitty-Anleitung schlägt vor, Nullen und Einsen beim Stricken in jeder Zeile zufällig zu verteilen - das lässt sich am schnellsten stricken. Allerdings ergibt das Zufallsprinzip einen ebenso zufälligen Zeichenwirrwarr auf dem Schal, auch wenn das nur die wenigsten Menschen ohne einen Blick auf die Codetabelle erkennen können. Für ein Nerdgeschenk kann man sich aber den Spaß machen, den Schal zu personalisieren und Namen, Daten, sinnige Sprüche oder andere persönliche Botschaften einzustricken. Für diesen Zweck bietet das Internet einige Tools, mit denen man jeden Text mühelos in einem 8-Bit-ASCII-Code umwandeln kann, zum Beispiel hier.

In den ersten Kasten tippt man den Text ein, der umgewandelt werden soll, drückt auf "encode" und erhält im zweiten Kasten den strickbaren Binärcode.
Nahtzugabe wird z. B. zu 01001110 01100001 01101000 01110100 01111010 01110101 01100111 01100001 01100010 01100101

Den Code hatte ich mir mit Kopieren und Einfügen ins Schreibprogramm geholt, etwas übersichtlicher angeordnet, ausgedruckt und beim Stricken jeweils die Zeilen abgestrichen. Der Schal wird als Schlauch auf fünf Nadeln oder einer Rundstricknadel gestrickt, jede Zeile des Schals enthält zweimal acht Ziffern und entspricht zwei Buchstaben oder Zahlen.
Da ich etwas dünneres Merinogarn als in der Anleitung verwendet hatte, fügte ich zwischen den Zahlengruppen zusätzlich fünf Maschen in schwarz ein, um eine angemessene Schalbreite zu erreichen. Für die Fadenspannung im Muster war das nicht förderlich, und auch mit der richtigen Nadelstärke hatte ich mangels Erfahrung etwas Probleme. Mit 5er Nadeln wurde das Gestrick sehr dicht und schwer und damit nicht besonders gut geeignet für einen Schal. Als ich schon zu Dreiviertel fertig war, sah ich endlich ein, dass dieser Schal ungefähr so bequem wie ein Brett werden würde, sollte ich so weitermachen. Daher ribbelte ich knapp zwei Wochen vor Weihnachten alles noch einmal auf, fing mit Nadeln Nr. 6 noch einmal von vorne an und verschenkte schließlich ein Teil, in dem noch die Stricknadeln steckten und das ich erst über die Weihnachtsfeiertage zuenedestrickte. Davon abgesehen hätte ich in der Wohnung ein zwei Meter langes Teil sowieso niemals heimlich spannen und trocknen lassen können.

Decodiert wurde die Schalbotschaft übrigens erst vor wenigen Tagen, da die Computerlesbarkeit des Wollmediums doch noch zu wünschen übrig lässt. Strickmode ist also beispielsweise im Spionagebusiness nicht sonderlich praktisch, aber die Vorstellung, James Bond könnte im nächsten Film im Strickanzug auftreten, dessen Muster die Baupläne für die Atomanlage des Oberschurken enthält, die hat doch was, oder?

Donnerstag, 13. Januar 2011

Mission 2011: Neues Leben für alte Kleider...


... oder: aus alt mach anders (Danke, Allerleirauh, für die Formulierung).

Wer hat das nicht: einen wachsenden Stapel mit nicht mehr passenden Sachen, die auf Änderungen harren, die zu schade zum Wegwerfen sind, die irgendwann in anderer Form wieder auferstehen sollten? Das schont schließlich die Ressourcen und bietet Gelegenheit zum Experimentieren, denn das Material hat ja sozusagen schon sein Brot verdient, und wenn was mißlingt ist das nicht schlimm.

Einziger Haken: Man muss es auch tun, und gerade daran haperte es bei mir. Aber dieses Jahr wird das anders. Ich erkläre hiermit 2011 zu meinem Jahr der Verwandlungen. Meinen Stapel seht ihr oben, oder zumindest einen kleinen Teil davon. Dieses Jahr werde ich den Stapel abbauen, jeden Monat ein Teil - und ich hoffe auf eure Unterstützung.

Habt ihr auch so einen Stapel? Wolltet ihr auch schon längst aus alten Lieblingsteilen neue Lieblingsteile machen? Oder liegt noch ein altes Stück aus besonders schönem Stoff bei euch, den ihr immer schon weiterverwenden wolltet? Egal, ob ihr aus einem Steppmantel ein paar Topflappen näht, aus einer Tüte gesammelter Babykleidung eine Decke, aus Opas Krawatten ein Stoffbild, oder ob ihr aus Jacken, Hosen, Röcken wieder Jacken, Hosen, Röcke macht, die euch aber besser gefallen als zuvor - lasst es uns gemeinsam angehen.

Wie wärs? Jeder kann jederzeit einsteigen (und auch wieder aussteigen), es ist kein Wettbewerb, es geht nur darum, Ideen zu teilen und nicht nur über Refashion nachzudenken, sondern es tatsächlich zu tun. Wenn sich Mitmacherinnen finden, würde ich einmal im Monat (z. B. immer am ersten Sonntag im Monat) die Ergebnisse versammeln, so haben wir alle was davon.

Ich war Das Grüne Grauen, jetzt bin ich Lieblingsrock
Und man wird dann hoffentlich sehen, dass "Wiederverwertung" (wie das schon klingt! und "alte Kleider" erst!), also dass Wiederverwertung nichts damit zu tun hat, schlecht gelaunt mit fünffach gestopften Socken herumzulaufen. Im Gegenteil, wenn ich mich denn dazu aufgerafft hatte, war das Ergebnis bunter und verspielter als das, was ich üblicherweise nähe. Der gerettete Rock vom Sommer 2008 ist sogar, ganz gegen meine eigene Erwartung, zu einem echten Lieblingsteil avanciert.  Noch unentschieden? Der Wardrobe-refashion-Blog, der allerdings gerade dieser Tage eingestellt wird (die alten Beiträge bleiben abrufbar) bietet eine schier unerschöpfliche Ideenquelle.

Die Ergebnisse:

Neues Leben für alte Kleider im Januar
- im Februar
- im März
- im April
- im Mai
- im Juni
- im Juli
- im August
- im September

Sonntag, 9. Januar 2011

Gestricktes aus Estland


Strümpfe und Fausthandschuhe mit Einstrickmustern haben in Estland als Bestandteil der Trachten eine lange Tradition. Die klassischen zweifarbigen Muster, oft in grau mit rot oder weiß mit braun, sollen früher sogar magische Bedeutung gehabt haben - der achteckige Stern wehrte zum Beispiel böse Geister ab, andere Muster waren mit bestimmten Regionen verbunden, oder bildeten in abstrakter Form Tiere und Gegenstände aus der bäuerlichen Umgebung ab, wie Namen wie "Ochsenauge", "Windmühlen", "gackernde Hühner" zeigen. Die Handschuhe beginnen meistens mit einem zweifarbigen Maschenanschlag, manchmal auch mit einer Bogenkante, darauf folgt ein engeres Bündchen, das häufig aus schräg laufenden Zöpfen besteht. Nach einer zweifabigen schmalen Borte beginnt dann das eigentliche Muster, das den ganzen Handschuh in einem dichten Raster bedeckt.

Im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf sind noch bis zum 30. Januar etwa 40 dieser kleinen farbenfrohen Srickwerke zu sehen, außerdem einige moderne Interpretationen der Muster in der Strickmode der jungen schwedisch-estnischen Designerin Liina Viira. Die Ausstellung ist recht klein, aber für passionierte Strickerinnen sicherlich sehenswert, denn wann kann man schon einmal estnische Strickmuster ganz aus der Nähe betrachten. Auch einige hundert Jahre alte Exemplare sollen gezeigt werden - leider verrät uns die Beschriftung dort nicht, welche das sind, denn bunt und leuchtend sind sie alle gleichermaßen.
Dass die estnische Stricktradition aber durchaus noch lebendig ist, beweist der Fotostream von Tiina/Lola 69, die in ihrem Blog auch auf Deutsch über ihre Strickwerke schreibt.


Museum Charlottenburg-Wilmersdorf
Schloßstraße 69
14059 Berlin

Bis 30. Januar, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10-17.00 Uhr
Eintritt frei

Samstag, 1. Januar 2011

Die schwarze Kiste


Diese Kiste stand zuletzt zwanzig Jahre lang im Keller meiner Schwiegereltern. Eine Kiste voller Werkzeug, voller Möglichkeiten. Jetzt steht sie bei mir.


Das Werkzeug meines Schwiegervaters, eines Feintäschnermeisters. Seine Geschichte ist - so weit ich weiß, denn viel erzählt er nicht, schon gar nicht über sich selbst - keine Geschichte von glücklichem Handwerk und goldenem Boden, aber gerade deshalb nicht untypisch.

Die Entscheidung für diese Ausbildung war wohl nicht seine eigene. In den frühen 50er Jahren entschieden das die Eltern. Basta. Möglicherweise kannten sie über drei Ecken einen Lehrherren, möglicherweise erschien ihnen die Lederverarbeitung als ein zukunftsträchtiges Geschäft. Wurden Koffer und Taschen, Börsen und Gürtel nicht immer gebraucht? Na also. - "Warum halt net", wird mein Schwiegervater gedacht haben.


In der Lehre verdiente mein Schwiegervater fast nichts, und die Werkzeuge aus der Kiste musste er aus eigener Tasche bezahlen. Und noch Geld zuhause abliefern, und sich kontrollieren lassen.

Nach der Ausbildung ging er in einen kleinen Ort in Bayern, weit weg von der besitzergreifenden Familie. Dort wurde alles besser. Er arbeitete in einer Lederwarenfabrik und verdiente als Geselle viel mehr als die ganzen Ungelernten. Das Geld reichte zwar nicht immer bis zur nächsten Lohntüte, aber bei der freundlichen Wirtin des Dorfgasthofs bekam er trotzdem ein Mittagessen, und er lernte die hübsche und lustige Tochter der Wirtin kennen. In die er sich verliebte und die später heiratete, nicht ganz unwichtig für diese Geschichte: Deshalb steht die Kiste jetzt hier.


In den Sechzigern florierte die Fabrik noch. Mehrere Dutzend Mitarbeiter fertigten Brieftaschen, Portemonnaies, Schlüsseletuis und Schreibmappen. Stanzen für Kleinteile und Pappen gab es, eine Zuschneidemaschine, mit der mehrere Lagen Leder geschnitten werden konnten, ein paar Nähmaschinen, sonst war alles Handarbeit, fast wie vor hundert Jahren.


Die Siebziger waren schon schwieriger. Noch bestellten die Autohäuser Schlüsseletuis mit eingeprägtem Firmenschriftzug, die Firma zog sogar in einen Neubau im Ort um. Aber die Gaststätte der Schwiegermutter warf schon längst viel mehr ab, als die Arbeit in der Fabrik. Ein Häuschen wurde davon gebaut. Mein Schwiegervater machte den Meisterbrief, um mehr zu verdienen. Sein Meisterstück war eine trapezförmige Handtasche, die es aber nicht mehr gibt - "die ist schon lange weg."


Die Achtziger brachten die ersten Anzeichen der Globalisierung. Der Sohn des Firmeninhabers übernahm den Betrieb. Die Konkurrenz im Ausland produzierte längst viel billiger, also kaufte er die Standardgeldbörsen selbst im Ausland ein. Das schien ihm betriebswirtschaftlich vernünftig. Für die paar Spezialaufträge, die man noch hatte, brauchte man dann auch viel weniger Mitarbeiter. Jedes Jahr weniger. 1990, als der Betrieb schließlich geschlossen wurde, hatte er noch acht Angestellte, darunter meinen Schwiegervater. Sie wurden entlassen, mein Schwiegervater in die Frührente. "Das war das beste, was mir passieren konnte." In den letzten Jahren hatten sie nur noch Schlüsseltaschen mit Reißverschluss zusammengenäht, Tag für Tag.


Seitdem stand die Kiste im Keller, fast unberührt, bis auf das Locheisen Nummer 4, das ist nämlich die Größe, die man braucht, um einen Gürtel mit zusätzlichen Löchern zu versehen, und sowas kommt ja häufiger vor. Beim letzten Besuch gab er mir die Kiste mit, einfach so.

Jetzt steht sie bei mir. Mit unvollständiger Geschichte, aber voller Möglichkeiten. Ich werde mich 2011 also ganz sicher mit Lederverarbeitung befassen. Noch weiß ich zum Teil nicht, wie diese Werkzeuge eigentlich heißen, und was man genau damit anstellt. Mit Hilfe einiger Arbeitsproben von mir hoffe ich, beim nächsten Besuch etwas mehr zu erfahren (und sei es, dass er über meine stümperhaften Versuche lacht).


Ich wünsche euch für 2011 eine solche Kiste voller Werkzeuge und Möglichkeiten - macht was draus!
Für euer nie erlahmendes Interesse und eure vielen Kommentare im vergangenen Jahr danke ich euch - dieses Blog wäre nichts ohne seine Leserinnen! Danke. Auf ein gutes Jahr 2011.