Montag, 14. November 2011

Selbstgemacht - Wochenrückblick KW 45






1. Der November ist Kirchenbasar-Zeit und ich bin wieder als mobile ein-Frau-Handarbeitsrettung unterwegs. Dieses Jahr: Spitzen. Das gestrickte Deckchen (die letzte Runde ist gehäkelt) besteht aus einem sehr feinen Baumwollgarn, viel feiner als das, was man von umhäkelten Taschentüchern kennt.

2. Diese Spitze wurde zwar maschinell hergestellt, sie ist aber aus Baumwolle, was es heute kaum noch gibt. Leider sind es nur 75cm, daher zu wenig, um mir den Rock mit Spitzenpasse aus dem twinkle sews-Buch zu nähen.

3. Hier war ich mir erst nicht sicher, ob Handarbeit oder Maschine: die Ornamente bestehen aus feinem Garn, teils matt, teils glänzend, auf einem Untergrund aus Baumwolltüll.

4. Im Gegenlicht sieht man aber: eindeutig Handarbeit. Der Tülluntergrund besteht nämlich aus zwei Teilen. Seht ihr die dickere Linie, die etwa in der Mitte quer durch das Deckchen verläuft, immer an den Kanten der Ornamente entlang? Hier wurde der Tüll zusammengesetzt und mit unfassbar dünnem Faden entlang der Musterkonturen überstickt. Auch die Stickerei verwendet so ein feines Garn, das ganze erinnert mich an die Handarbeiten der Damen aus Liliput, die in Gullivers Reisen geschildert werden: die Liliputanerinnen nähen nämlich mit Nadeln und Fäden, die so fein sind, dass Gulliver sie gar nicht sehen kann.

Das Handarbeitsbuch von Mizi Donner und Carl Schnebel (1913) weiß über Tüllspitze:

Nach der Einführung des gewebten Tülls in den Handel wurde der Tüll für die mannigfachsten Imitationen der echten Nadelspitze benutzt. Im besonderen sind Spitzentechniken entstanden, die nur auf Tüllgrund ausgeführt werden und unter dem Namen "Tülldurchzug" und "Tüllstickerei" bekannt sind.

Als Stickmaterialien nennen Donner/Schnebel "Mouliné-, Glanzgarn, Twist, Stickbaumwolle, weicher Seidenfaden, Filoflosse-, Filoselle- und offene Seide, Spitzenseide, Chenille, weiche Seiden- oder Baumwollitze". Filoflosseseide ist - das verrät das Glossar der gebräuchlichsten Stickfäden im gleichen Buch - "ein sechsteiliger Büschelfaden, der sich beim Verarbeiten beliebig zerteilen läßt. Jeder Einzelfaden ist zweidrähtig. Dieses Material zeichnet sich durch Weichheit und schöne Glanzwirkung aus." Die Filoselleseide hingegen ist "eine unedle Seidenart", der Faden ist zwar gleich aufgebaut wie bei der Filoselleseide, "jedoch läßt sich der Einzelfaden nicht gut teilen, weil die Seide zu schwach und minderwertig ist."

Mehr Spitzen bei Lace for study - digital lace collection.

5. Von Gulliver zu Alice im Wunderland: Eindeutig ein Dodo bzw. eine Dronte. Stencil am Oranienplatz, Kreuzberg.

4 Kommentare:

  1. Tolle Spitze!! Und vielen Dank für den kleinen Exkurs aus dem Handarbeitsbuch! Find ich immer sehr interessant, ein wenig über die Hintergründe zu erfahren! Am besten gefällt mir das zweite Bild, find ich genau die richtige Mischung aus Tradition und 'modernem' Muster! Liebe Grüße am Montag! Thea

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  2. Gerade habe ich mich durch den Link, den Spitzenblog, geklickt. Das ist ja eine tolle Fundgrube, und die Fotos lassen sich so vergrößern, dass man z.B. die Häkelsachen so nacharbeiten könnte. (Wenn man es könnte).
    Interessant auch, dass selbst Kennerinnen manchmal auf dem Schlauch stehen und um "Help vor Identification" bitten müssen. Ich habe auch schon bei Onlineauktionshäusern für antike Textilien ganz falsche Angaben gefunden, z.B. gestrickt statt gehäkelt. Da braucht man mit Nadelspitze und Co gar nicht erst zu kommen.
    Vielen Dank für Handarbeitsrettung und Detektivarbeit, auch was die Frage angeht, wo die ganz feinen Fäden herkommen. So viel verlorenes Wissen, ich fass es immer wieder nicht.
    Was eine Dronte ist, hätte ich natürlich außerdem nicht gewusst.

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  3. Ja, nicht nur verlorenes Wissen, auch verlorene Materialien - wo kann man denn heutzutage noch Seide zum Sticken kaufen?

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  4. Seide zum Sticken gibt es beispielsweise hier:
    http://www.tentakulum.de/Seiten/StartSeite.Deutsch.html

    Und die Idendifikation von alten Spitzen ist eine Wissenschaft für sich... Viele sind in den Zeiten, die wir heute second-hand finden nämlich tatsächlich eine Kombination aus Maschine und Hand, sei es, daß der Tüllgrund maschinell gefertigt ist und dann per Hand veredelt wird, sei es, daß ganze Ornamente vorgefertigt sind, um dann zusammengefügt zu werden. Da frage auch ich als "eigentlich-Fachfrau" im Zweifelsfall jemanden, der sich ausschließlich mit Spitzen beschäftigt...
    Über die Angaben bei Auktionshäusern, insbes. online reden wir diesbezüglich besser nicht.

    Gruß, Bele

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