Mittwoch, 6. August 2014

Dirndl-Sewalong II: Schnitt und Stoff

Berliner Dirndl-Tristesse im nahen Einkaufszentrum

Ob im Einkaufszentrum am Berliner S-Bahn-Ring oder auf Sylt: die süddeutsche Folklore breitet sich anscheinend bundesweit aus und zeigt sich an den absurdesten Orten. Wesentlich erwartbarer war das große Dirndlangebot in München, wo ich bei einem Wochenendaufenthalt eine Schaufensterrecherche einschieben konnte. Ich hatte mich sehr darüber gefreut, dass sich die kurze Reise zufällig gerade jetzt während des Dirndl-Sewalongs ergab - aber ehrlich gesagt sah ich wenig bis nichts in den Läden, was mir gefallen hätte. Und dabei war es völlig egal, ob es sich um Kaufhausdirndl für unter hundert Euro, um die gehobene Dirndl-Konfektion bei Angermaier oder um die maßgefertigten Dirndl von Tracht und Heimat handelte. Mir hängt da generell zu viel Gedöns dran: Zu viel Borten, Rüschen, zu viel Knöpfe, Kettchen, Anhänger, Schnürungen, zu viel rosa, zu viel Müsterchen, und auf der assoziativen Ebene sehe ich teils zu viel Heimattümelei, teils zu viel plumpe Sexyness. Eines ist sicher: es gibt im Prinzip keine Kaufdirndl, die ich anziehen würde.

Aber (und jetzt im Chor mitsprechen): wie gut, wenn man nähen kann! Und ich freue mich sehr darüber, dass sich einige Mitnäherinnen beim Dirndl-Sewalong ebenfalls die Aufgabe gestellt haben, ein schlichtes, norddeutsch-städtisches Dirndl für Nicht-Dirndlträgerinnen zu nähen.


Was die norddeutsche Komponente betrifft, bin ich auf der Suche nach Fachliteratur auf das Buch von Christiane Gädtgens, Norddeutsche Stickmuster aus Vierlanden, Rosenheim 1986 gestoßen. Ich bin ja in den Vierlanden, aber leider ohne nähere Berührung zur dortigen Tracht aufgewachsen, wie ich hier schon geschrieben hatte. Das Buch von Gädtgens enthält nicht nur Stickvorlagen nach historischen Vorbildern, sondern auch Informationen zu den Bestandteilen der Vierländer Tracht nebst Schnittmustervorlagen.


Wobei das Sprechen von "der Vierländer Tracht" im Grunde schon verkehrt ist: Was heute als Tracht gepflegt wird, war die Festkleidung wohlhabender Familien zwischen 1850 und 1900, das liest man zwischen den Zeilen in diesem Buch. Interessant ist auch ein Text über die Vierländer Tracht von 1922, von Ernst Finder, der hier in Heft 29, S. 9-15 wieder abgedruckt wurde. Schon in den 1870er Jahren wurde bei Tanzveranstaltungen in den Vierlanden ausdrücklich um "städtische Kleidung" gebeten, um 1900 galt die Tracht als altmodisch und in den 1920er Jahren, als der Artikel publiziert wurde, war sie fast schon verschwunden.


Die aufwendigen Stickereien im Plattstich, oft mit Perlen, Pailletten und Golddraht und in Kombination mit Seidenbändern, wurden zum größten Teil von berufsmäßigen Stickerinnen angefertigt. Zuhause wurde zwar auch gestickt, zum Beispiel die Vierländer Stickmustertücher im Kreuzstich aus schwarzer Seide auf Leinen oder Muster und Monogramme auf Bettwäsche und Hemden, die Ausschmückung der Tracht aber erforderte ein handwerkliches Können, das die Gelegenheitsstickerin nicht vorweisen konnte. Heike war am Sonntag so begeistert von den Stickvorlagen, dass sie meinte, ich müsse so eine Stickerei unbedingt einbeziehen - allerdings ist es fraglich, ob ich das nötige handwerkliche Können besitze. Aber so eine Stickerei wäre schon schön, denn davon abgesehen sieht meine Planung im Moment schlicht und schmucklos aus.

Hier sind die Stoffe: 


Ganz links eine dünne schwarze Wolle-Polyester-Mischung für den Rock, den ich ganz traditionell stifteln, also in gleichmäßige, enge Falten legen möchte. In der Mitte ein mitteldicker anthrazitgrauer Wollstoff mit eingewebten weißen Streifen, daraus möchte ich das Dirndlmieder aus Burda 9/2011 (Modell 118) nähen, allerdings mit einem Knopfverschluss vorne, also eher an eine Weste erinnernd. Ganz rechts liegt ein blassroter Hemdenstoff mit etwas Struktur, aus dem möglicherweise eine Bluse wird, ich habe aber auch noch einen weißen Blusenstoff aus Baumwolle. Über den Schnitt für die Bluse und über Schnitt und Material für eine Schürze bin ich mir noch nicht ganz im klaren - aber bis wir im so weit sind, dauert es ja auch noch etwas. Einstweilen verweise ich auf die Stoff-und-Schnittsammlung beim Dirndl-Sewalong, wo auch viel Bunteres und Interessanteres genäht wird.

12 Kommentare:

  1. Von deiner unbunten Stoffauswahl bin ich ganz angetan. Gerade die Kombination von dem Nadelstreifen mit dem schwarzen Stoff gefällt mir gut.
    Als Dirndl-Skeptikerin ist es sehr aufschlussreich dem Sewalong zu folgen und immer aufgeschlossener für das Dirndl an sich zu werden.
    LG,
    Claudia

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    1. Pass auf - nächstes Jahr bist du auch soweit. Bei mir hat es auch eine Weile gedauert: Wenn man das Thema erstmal im Hinterkopf wälzt, dann tut sich da was, fast ohne eigenes Zutun.

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  2. Da kann ich Claudia nur zustimmen. Sehr schöne Stoffauswahl. Und sehr sehr spannend, wie du dich an das Großstadtdirndl herantastest. Weste statt geschnürtes Mieder finde ich z.B. eine super Idee! Auch Stickereien würde ich sehr befürworten! Und was deinen Dirndl-Eindruck angeht: mir geht es da ähnlich. Die Ex-Frau meines Ex-Chefs designt mittlerweile sehr erfolgreich Dirndl, mit viel Gold und Spitze und glänzender Seide, in den schillerndsten Farben, ziemlich auf Glamour gemacht. Naja, zu ihr passt´s, und zu einigen anderen sicher auch. Aber für mich wäre das nichts.
    Liebe Grüße!

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  3. was mich beim Dirndl sehr beeindruckt, ist die Körperhaltung einiger Frauen, die es tragen. Sie wirken stolz und unabhängig.
    Deine Farbkomposition erinnert auch an die Kleidung von Frida Kahlo. Die Teilnehmer des Dirndl2-Sewalongs scheinen sehr motiviert und voller inspirierender Einfälle, auf die Umsetzung Deiner Ideen bin ich besonders gespannt.

    LG,
    Hala

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    1. Über die Kleidung Frida Kahlos gibt es einen wunderschönen Bildband, den ich schon oft (im Laden) durchgeblättert habe - das ist sehr interessant, sie ließ sich die meisten Sachen schneidern, oft sind Stickereien und Applikationen darauf. Im Grunde eine nach eigenen Vorstellungen modifizierte mexikanische Folklore. Da kann man sich einiges abgucken. Mal sehen, ich bin selbst gespannt, wie das alles dann aussieht.

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  4. Mir geht es gerade ähnlich, dass ich mit großer Verblüffung beim letzten Stadtgang in diversen Läden Dirndl sah, wo ich sofort denke :. Das kauft doch hier keiner,Hm,oder doch? Allerdings sehen es gerade die Massen an ausländischen Touristen, die durch die Stadt ziehen und bei denen bleibt dann der allgemein dt.Erinnerungseindruck hängen: Dirndl, Wurst und Bier! na toll, selbst wenn sie in Dresden waren.
    Vielleicht hängt aber einen neuerliche Vorliebe auch mit dem Massenangebot an Klamotte an sich zusammen.Man muß nicht Stück für Stück zusammensuchen und sich für etwas entscheiden, sondern hat so ein Komplettpaket und ist fertig.
    Bin sehr auf eure städtische Variante gespannt. In den 80ern habe ich mal interessante Ausgaben in Jeans gesehen in einer Zeitschrift.Vg kaze

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    1. Dass es überall Dirndl gibt, ist aber eine relativ neue Entwicklung, oder? Oder fällt es mir jetzt nur auf, weil ich für das Thema gerade sensibilisiert bin? Ich weiß das jedenfalls auch nicht so recht zu deuten - in das Einkaufszentrum, in dem ich das Foto machte, kommen keine Touristen. Wer soll das kaufen?

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  5. Ahhh wie cool ..ich hab auch erst überlegt eine Vierländer Tracht zu machen ,weil ich ja in hamburg lebe und nichts über eine Bremer Tracht gefunden habe ,aber genau die Stickerein schreckten mich ein bisschen ab .Von daher finde ich es toll nun bei dir der Entstehung zu folgen

    LG Ker

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    1. Mal sehen, ob und wie viel ich tatsächlich sticke! Plattstich braucht viel Übung, damit er gut aussieht, und die habe ich nicht. Aber die aufgesteppten dekorativen Bänder auf den Schürzen sind z. B. eine Idee, die sich umsetzen ließe. Was du von der Bremer Tracht gezeigt hattest, fand ich auch interessant - die schwarzen Schößchenjacken könnte man doch ohne weiteres heute tragen.

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  6. Fundsache ;) :
    http://folkcostume.blogspot.de/2014/07/dirndls-of-lower-austria.html

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