Donnerstag, 25. September 2014

Ein Dirndl in Preußen: Das Mieder

"Was wurde eigentlich aus dem preußischen Dirndl?" mögen sich aufmerksame Leserinnen und Leser fragen. "Hatte Lucy nicht von großen Plänen berichtet und Stoff gezeigt? Und dann nichts mehr? Aha!" Also liebe Leserinnen und Leser, nach einigen Startschwierigkeiten ist das Dirndlmieder fertig und ich bin gespannt, ob es den Weg in den Alltags-Kleiderschrank findet.


Ich finde das Tragegefühl sehr ungewohnt, aber interessant. Das Mieder umschließt den Körper wie eine leichte Umarmung, es sitzt eng, aber nicht einengend. Es gibt Form, stellt eine strukturierte äußere Hülle her, die ich ausfülle. Ich habe noch nicht ausprobiert, wie es ist, den ganzen Tag darin zu stecken, ob es an einem normalen Tag zwischen Schreibtisch und Staubsauger nicht doch nervt. Oder ob so eine strukturierte Kleidung zu mehr Struktur führt: vielleicht ist es ja ein Unterschied, ob ich wie jetzt in einer labberigen Baumwollstrickjacke am Schreibtisch sitze, oder ob ich das Mieder anziehe. Das Außen und Innen stehen im allgemeinen ja in einer Wechselbeziehung zueinander, sagt man.

Auch das Nähen fand ich spannend und ungewohnt: Der Schnitt 118 aus Burda 9/2011 hat sehr große Ähnlichkeit mit einem historischen Mieder- oder Korsettschnitt und es ist faszinierend, was für ein plastisches, dreidimensionales Gebilde aus den zweimal sechs Schnittteilen entsteht. Der Beginn des Projekts fiel allerdings mit einer Phase größter Unkonzentriertheit zusammen, was zu allerlei selbstgemachten Problemen bei der Umsetzung führte (so ist DIY: sogar die Probleme werden selbst gemacht!).


Ich hatte ja einen dunkelgrauen Wollstoff mit eingewebten Streifen vorgesehen  und dachte es mir schön, wenn die Streifen der Seitenteile an der Naht schräg aufeinander treffen würden. Den Streifenverlauf bei den anderen Teilen konnte ich mir nicht richtig vorstellen, daher wollte ich das vor dem Zuschneiden testen. Mit ziemlich häßlichem gestreiften Geschenkpapier. Was soll ich sagen: vier Mal schnitt ich eines oder mehrere Schnittteile falsch aus. Zweimal lag die weiße Rückseite oben, ein Teil schnitt ich spiegelverkehrt aus, so dass es nicht zu den anderen passte, und beim allerletzten Versuch (im Bild) schnitt ich zweimal dasselbe Seitenteil zu.   

Immer noch falsch: zweimal dasselbe Seitenteil ausgeschnitten.
Ich entschied dann, dass der obige Test reichen muss, um festzustellen, dass die schrägen Streifen an der Seite großartig aussehen würden! Damit die Streifen an den Seitennähten wirklich zusammenträfen, zeichnete ich den Verlauf auf den Folienschnittteilen ein. Einmal wars verkehrt, aber das merkte ich glücklicherweise, ehe es an den richtigen Stoff ging. An dem Probeteil aus alter Bettwäsche änderte ich ein bißchen herum: nahm in der Taille im Rücken noch etwas weg, setzte den Ausschnitt 1 cm höher und die Träger 1 cm nach innen.

Beim Zuschnitt des richtigen Stoffs dachte ich dann nicht an die extragroßen Nahtzugaben an den Seitennähten, die nötig sind, um das Oberteil wie ein klassisches Dirndl zu verarbeiten, bei dem die Weite leicht geändert werden kann, so wie hier,  also eine kurzfristige Änderung der Pläne: ich würde sämtliche Nähte bei Außenstoff und Futter separat steppen und dann Stoff und Futter links auf links legen.


Die offenen Kanten am Ausschnitt und an den Armausschnitten versäuberte ich dann mit Schrägband: rechts auf rechts angenäht, nach innen umgeklappt und von Hand anstaffiert. Anders als bei einem traditionellen Dirndl gibts keine Paspeln am Ausschnitt und in den Teilungsnähten und schon gar keine Verzierungen, ich möchte das Mieder so schlicht wie möglich halten. Der Oberstoff ist komplett mit Klebebatist verstärkt und gibt im Gegensatz zum Probeteil nicht ein bißchen nach. Daher musste ich an den vorderen Teilungsnähten wieder ein bißchen herauslassen, was den sorgfältig ausgeklügelten Streifenverlauf zerstörte.  


Paspelknopflöcher fand ich für so eine Mieder-Weste-Chimäre passend. Ich schob das Nähen zwei Wochen heraus, obwohl es mit dieser Anleitung wirklich einfach ist. Es kommt nur auf das sorgfältige Markieren der Platzierung und der Länge an, das ist alles.


Die Knöpfe stammen vom Flohmarkt, es sind recht alte, halbkugelige Metallknöpfe, schon benutzt, einer ein bißchen eingedellt, die gut zu dem historischen Flair dieses Schnittes passen. Und diesem historischen Flair - das ich mir möglicherweise nur einbilde - möchte ich auch beim Rock treu bleiben: es wird ein gestiftelter Rock aus zwei geraden Stoffbahnen. Bisher war ich mir noch nicht sicher, ob ich nicht doch einen "vorteilhafteren", weil um die Hüften weniger voluminösen Bahnenrock nähe, aber jetzt habe ich sozusagen Blut geleckt: ich möchte wissen, wie ein gestiftelter Rock aussieht, wie er sich trägt, wie er sich anfühlt.

Die anderen Teilnehmerinnen des großartigen Dirndl-sewalongs von Julia haben längst die Ziellinie überschritten - hier geht es in meinem eigenen Tempo weiter. Wer hätte denn gedacht, dass die Dirndlnäherei gleich so ein Selbsterfahrungstrip wird!

13 Kommentare:

  1. Hach, das wird schön.
    Hast du während des Streifenausarbeitens nachts nicht auch streifig geträumt?
    LG

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  2. Ist aber wirklich schön geworden!

    (Und wenn man Streifen exakt angepasst haben will, muß man beim Probemodell tatsächlich auch sehr exakt arbeiten, also auch mit der gleichen Einlage. Aber.... das lernen wir vermutlich alle mal beim Machen. :D )

    Ob man mit Mieder anders arbeitet als mit Strickjacke kann ich nicht sagen, aber ich sitze im Jacket definitiv anders am Schreibtisch als im Morgenmantel. (Heimarbeitstag...) Und daß meine Stimme am Telefon im Bademantel genauso klingt wie im Blazer... das war längere Übung...

    Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß mit dem Mieder. Zieh es auch an! Wäre sonst schade.

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  3. Wunderschön das Mieder, zu der Friemelei mit den Streifen kann man Dich nur beglückwünschen. Bin schon sehr gespannt auf den Rock, kann mir den nicht vorstellen.
    Viele Grüße
    schurrmurr

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  4. Hallo Lucy,

    das Mieder sieht sehr schön aus. Klasse Arbeit mit den Streifen!
    Kann mir das "Umarmungsgefühl" gut nachvollziehen, so geht es mir mit meinen Korsagen auch immer. Bilde mir ein, dass ich dann automatisch auch aufrechter laufe und nicht so "zusammenfalle".
    Bin sehr gespannt auf Tragefotos und wie sich das Mieder bei Dir im Alltag macht.

    Lieber Gruß, Muriel

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  5. Ein Erlebnisbericht nach einiger Tragezeit wäre sehr spannend. Ich stimme dir voll und ganz zu, Kleidung wirkt sich in erheblichem Umfang auf das Lebensgefühl aus. Für mich wäre das umarmende Gefühl eher beengend. Umso mehr fände ich dein ErLeben damit sehr interessant .
    LG,
    Claudia

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  6. Sieht total schön aus, tolle Knöpfe. Ein Mieder kann ich mir gut an dir vorstellen.
    Ich glaube gern, dass es schierig war, den gewünschten Streifenverlauf bei so vielen Einzelteilen so hinzubekommen, wie man sich das vorgestellt hat. Bei solchen Sachen verrenke ich mir auch gern das Gehirn, : )
    LG von Susanne

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  7. Chapeau!
    Dein Mieder gefällt mir sehr gut - ausgesprochen gut! (Sofort sprang das Kopfkino an und ich sah mich mit deinem Mieder, langer Bluse und abgelagerter Jeans durch Auen und Bächer springen.)

    Ab und an trage ich eine Unterwäschenkorsage und fühle mich anders. Kein Witz! Ich stehe und sitze aufrechter und atme (komischerweise) viel tiefer. Ich fühle mich gehalten und gestützt und bin mir selbst bewusst. Natürlich will ich nicht immer dieses Gefühl - nein, zusammengesackt in Jeans und Strickjacke trifft man mich hauptsächlich an.
    LG Martina

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  8. Also zum Tragegefühl fällt mir ein, ich hab letztens auf einem Blog gelesen... Hosenträger haben immer in der Taille etwas eng anliegendes... während Kleidträgerinnen eben dieses lässige Gefühl mögen nichts in der Taille zu haben... daher hat eine Hosenträgerin kurzerhand einen Gürtel umgemacht und schwupps war das Hosengefühl da....wegen der Taillenenge... ich denke genau das Gleich dürfte die Sache mit dem Dirndl sein... wir sind in der heutigen Zeit eher den lässigen Look gewöhnt und es fühlt sich fremd an etwas "umarmendes" zu tragen. ...Vermutlich alles eine Gewohnheitssache.
    Liebe Grüße und ich bin natürlich total gespannt auf das Ergebnis.
    Jacky

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    1. Ja, ich glaube auch, dass das alles Gewohnheitssache ist. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass es keine historischen Zeugnisse gibt, dass Korsettträgerinnen im 19. Jh ihre Kleidung unbequem und einengend gefunden hätten.

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  9. Ich bin ja nun alles andere als eine bekennende Dirndl-Liebhaberin, aber das Mieder finde ich sehr gelungen und es gefällt mir wirklich. Es ist auch eher so Tracht im allgemeineren Sinn, oder? Denn Mieder kommen bei Trachten landauf, landab ja häufig vor, glaube ich wenigstens.
    Das Geschenkpapier zu verwenden, um einen Eindruck der Streifen zu bekommen, war pfiffig gelöst! Die Frage bleibt nur: wie kommt das Papier in deinen Haushalt? Lag wahrscheinlich neben dem Pannesamt! :-) (Immer wenn ich jetzt einen Tisch voll Pannesamt sehe, denke ich an dich! Klingelten gestern deine Ohren? Das war ich!) (Und was fand ich in meiner großen Stofflade, die ich neulich sortierte? Genau!)
    LG, Luise

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    1. Oh, ich muss hier dringend an meinem Ruf arbeiten - nicht, dass nur Pannesamt und häßliches Geschenkpapier von mir im Gedächtnis bleibt ;) Wobei ich wirklich nicht weiß, wie das Papier hierher gekommen ist. Ich habe das nicht gekauft.

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  10. Das Ergebnis kann sich echt sehen lassen. Es sieht einfach nur schön aus... bin gespannt, wie du darin aussiehst... bitte nächstes Mal vorführen :)
    Lg

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  11. Es sieht ganz wunderbar aus, Dein Mieder und ich hoffe hier auf Tragebilder. So sauber genäht! Und bist ja nicht allein mit Deinem eigenen Tempo. Ich z.B. hab meine Weste auch noch nicht genäht. Ausserdem rechtfertigt das Ergebnis die Zeit, die Du dafür verwendet hast. Ich mag das Gefühl von Westen. Sie haben auf mich eine stabilisierende Wirkung, bieten aber trotzdem genügend Bewegungsfreiheit, da sie ja (meist) auf Taille aufhören und keine Ärmel haben.
    Lieben Gruss heike

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