Dienstag, 20. Februar 2018

Nähen im Kino: "Der seidene Faden" von Paul Thomas Anderson


Die ganze Textilbranche ist im Kino ein eher randständiges Milieu, was nicht wirklich nachzuvollziehen ist, schließlich ist die Schneiderei ein Geschäft mit viel Kundenkontakt und dem Potential für allerlei Verwicklungen. Auf den Film Der seidene Faden mit Daniel Day-Lewis in der Rolle eines Modeschöpfers in London in den 1950er Jahren war ich deshalb sehr gespannt, seitdem ich Anfang des Jahres eine Ankündigung gelesen hatte - und dann hatte ich das Glück, dass ich zu einer Voraufführung des Films mit anschließender Diskusion in das schöne Cinema Paris am Kudamm eingeladen wurde, ein sehr passender Rahmen für diesen Film.

Ich erwartete einen behaglichen Kostümfilm mit ein bißchen harmlosem Drama und war nicht so richtig vorbreitet auf das, was dann kam: Der seidene Faden ist eher ein Psychothriller als ein Historiendrama, und ja, es geht um das Verhältnis des Designers Reynolds Woodcock zu seiner "Muse" Alma, aber anders, als man erwarten könnte.

Der Anfang der Geschichte ist zunächst wenig überraschend: Woodcock, ein pedantischer Perfektionist mit ritualisierten Tagesablauf, der Unterbrechungen und Überraschungen gar nicht schätzt, ist hochgradig genervt von seiner derzeitigen Freundin. Woodcocks Schwester Cyril lebt mit im Haus, sie kümmert sich um die Finanzen des Modehauses und auch alle anderen unangenehmen Dinge, also übernimmt sie auch die Aufgabe, die Freundin kurz und schmerzlos abzuservieren. Woodcock fährt währenddessen aufs Land, und beim Frühstücken in einem Lokal fällt ihm die Bedienung ins Auge, Alma, ein scheinbar etwas trampeliges Landei, Typus "nettes Mädchen". Woodcock lässt seinen Charme spielen, verabredet sich mit ihr, drapiert ihr ein Kleid auf den Leib und nimmt sie schließlich nach London mit, wo sie als Hausmodel arbeitet, aber bald auch seine Geliebte wird.

Alma versteht Woodcocks Perfektionismus und seine Ernsthaftigkeit, was seine Arbeit betrifft, aber seine Überempfindlichkeit im täglichen Leben akzeptiert sie nicht und lässt sich das Buttern von Toastscheiben nicht verbieten. Die kleinen Machtkämpfe zwischen den beiden, das Spiel um Aufmerksamkeit und Zuwendung eskalieren in einer unvorhergesehenen Weise, die ich hier nicht verraten will. Zum Schluss aber scheint ein neues Gleichgewicht gefunden, wenn auch eines, das mit herkömmlichen Vorstellungen von Partnerschaft nichts zu tun hat.

Und was ist mit Schneiderei und Mode im Film? Mir scheint, es fehlt die Sinnlichkeit. Die Kamera schwelgt weit mehr in Landschaften als in Stoffen, und Woodcocks Kleider sind wohl das Gegenteil von leger und selbstverständlich elegant. Sie verwandeln Frauen in Statuen, die Trägerin wird in sie hineingeschnürt, sie pressen nachgiebiges Fleisch in Form, kurz: das Kleid zwingt seiner Trägerin eine bestimmte Haltung auf. Das Kleid trägt die Frau, nicht umgekehrt.

Dass das alles vielleicht doch nicht das Wahre ist, scheint auch Woodcock zu dämmern, als er ein gerade fertiggestelltes Brautkleid als scheußlich, als "ugly" bezeichnet - und ich musste ihm vom Kinosessel aus rechtgegeben. Dieses Kleid, das die Brust der Trägerin, mit Spitze umhüllt, hochschiebt und tablettähnlich päsentiert, betont durch eine unter der Brust angebrachte Schleife, erschien erschreckend unproportioniert, wie die Karikatur einer Frau.

Die Schneiderei selbst kommt im Film nur am Rande, in Ausschnitten vor: Wenn Woodcock skizziert, an Probemodellen oder bei Anproben herumdrapiert, wenn sich eine Gruppe von Näherinnen um ein ausgebreitetes Kleid auf einem Tisch versammelt und ans Werk geht, wie die Operateure bei einem schwierigen Eingriff. Für die Logik der Handlung ist es unerheblich, dass Woodcock Modedesigner ist - er könnte ebensogut Gesellschaftsmaler oder Bildhauer, Klaviervirtuose oder ein erfolgreicher Schriftsteller sein. Letztlich geht es um die Seelenqualen eines männlichen Genies, die mich ziemlich kaltließen, und als dem großen Künstler dann auch noch die verstorbene Mutter erschien, bin ich gedanklich ausgestiegen. Auch mit Alma habe ich nicht richtig mitgelitten, wobei ich nicht mal genau sagen kann, woran das lag.Die weitaus interessanteste Figur war für mich Woodcocks Schwester Cyril, über sie und ihren Blick auf die Geschichte hätte ich gerne mehr erfahren.

Aber trotz dieser Einschränkungen fand ich den Film wirklich sehenswert - schon allein, weil die Kostüme großartig sind und weil man viel über ihn diskutieren und sicher auch ganz anderer Meinung sein kann. Der deutsche Trailer des Films ist hier zu finden. Thomas von Nordheim fertigte einen Teil der Kleidung an (Mäntel, Wollkleider, Kostümjacken), er zeigt in seinem Instagramfeed auch Bilder vom Entstehungsprozess. Cecile van Dijk setzte die Kleider für den Film um.

Donnerstag, 1. Februar 2018

Stoffspielerei im Januar: Eine Kalenderhülle mit Biesen


Martina Machwerk hatte für die Stoffspielerei im Januar das Thema Biesen vorgeschlagen. Kein Thema, zu dem mir spontan etwas einfiel - Biesen, da denke ich an strenge weiße Blusen oder Frackhemden, bei denen solche feinen, abgenähten Falten ja oft als Schmuck im Vorderteil vorkommen.

Den Kick, Biesen wenigstens auszuprobieren, gab mir ein Prozess-Foto von ihr bei Instagram, in dem sie verschiedene Biesen mit Schnurfüllungen zeigte und dazu schrieb, sie seien mit der Zwillingsnadel genäht. Zwillingsnadel, das war mein Stichwort! Ich habe seit über zwei Jahren eine neue (jetzt nicht mehr ganz so neue) Nähmaschine, bei der ich die Zwillingsnadel immer noch nicht ausprobiert hatte. Meine alte Maschine tat sich mit der Zwillingsnadel schwer, ließ häufig Stiche aus, Jerseysäume mit der Zwillingsnadel konnte man vergessen, mit festem gewebtem Stoff ging es einigermaßen.

Ich spannte also die einzige Zwillingsnadel ein, die ich noch besaß, fädelte rechts rotes und links weißes Garn ein und nähte los. Das klappte tatsächlich tadellos, ja sogar so gut, dass der Stoff ganz glatt lag und sich zwischen den beiden Stichreihen nicht im mindesten hob. Die Zwillingsnadel funktioniert ja so, dass sich die zwei Fäden auf der Unterseite abwechselnd mit dem Unterfaden verbinden. Wenn die Fadenspannung schlecht abgestimmt ist - oder bei meiner alten Maschine auch einfach so - zieht sich die Doppelnaht dabei so zusammen, dass der Stoff zwischen den Stichreihen hochsteht und eine Biese bildet. Diesen Effekt will man normalerweise vermeiden, wenn man mit der Zwillingsnadel säumt - wenn es hingegen Biesen werden sollen, ist genau das das Ziel. Mit einem speziellen Biesenfuß kann man dann auf der Rückseite auch noch einen dickeren oder dünneren Faden mitlaufen lassen, der übernäht wird und die Biese ausfüllt und ihr richtig viel Struktur gibt. Martina hat damit richtig viel experimentiert.


Ich änderte ein bißchen an er Fadenspannung herum und erhöhte schließlich sowohl die Oberfadenspannung, als auch die Unterfadenspannung. Bei der Maschine kann man den Unterfaden durch eine zuätzliche Öse an der Spulenkapsel einfädeln und so die Unterfadenspannung erhöhen, das wird z. B. für Knopflöcher empfohlen. Die Biesen nähte ich dann diagonal in ein rechteckiges Stück Stoff, das sich, wie man oben sieht, durch die Biesen etwas verzieht. Bei einem Kleidungsstück sollte man Biesen auf jeden Fall parallel zum Fadenlauf anordnen.


Der Effekt von dicht an dicht genähten rot-weißen Biesen gefiel mir. Je nach Blickrichtung sieht der Stoff eher rot oder eher weiß aus, und er bekommt eine gewisse Stabilität und Dreideimensionalität, ähnlich wie Wellpappe.


Die Rückseite sieht auch ganz interessant aus.

So weit kam ich am letzten Wochenende, dann lag das interessante Stoffstück ein paar Tage herum. Ich wollte erst ein Reißverschlusstäschchen daraus nähen (naheliegendste Option, kann man immer brauchen, schnell genäht), aber glücklicherweise kam ich nicht dazu. Dann fiel mir ein, dass mein Kalender für 2018 noch eine Hülle brauchte. Ich kaufe immer denselben Kalender in einem Format zwischen A6 und A5 und habe mich an ihn gewöhnt - dieses Jahr gab es ihn nur in Pink mit einem Einhorn und einem blöden Spruch auf dem Umschlag, daher war ein Umschlag für den Umschlag dringend nötig.



Die Hülle - ganz einfach genäht mit zwei Klappen zum Einstecken des Kalenders - gefällt mir sehr, die tolle Haptik und die Dreidimesnionalität des Stoffes kann man mit einem Foto aber gar nicht richtig einfangen.


Auf die Rückseite des Biesenstoffs habe ich zwei Lagen Einlage gebügelt, um den eher dünnen Stoff zu stabilisieren. Da die Hülle  nur für diesen Kalender ist und nicht zum Verschenken und auch nicht ständig an- und ausgezogen wird, habe ich sie nicht gefüttert, sondern nur die Kanten zwischen den Klappen eingeschlagen und von rechts festgesteppt.


Sogar ein Gummiband zum Zusammenhalten des Kalenders konnte ich einbauen! Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieser kleinen Spielerei, vielen Dank Martina, für die Vorgabe, mit der ich erstmal nicht viel anzufangen wusste. Wie so oft zeigte sich mal wieder, dass man einfach machen und ausprobieren muss, nur dann passiert auch was!

Alle Stoffspielereien zum Thema Biesen finde sich hier im Machwerk-Blog.

Die nächsten Themen und Termine:

25.2.2018: Gesichter  (Nahtlust)
25.3.2018: Falten (Schnitt für Schnitt)
29.4.2018: Schlipse  (FeuerwerkbyKaze)
27.5.2018: Japan  (madewithBlümchen)
24.6.2018: Thema noch offen  (Nahtzugabe)
 
Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat sammeln wir die Links mit den neuen Werken – auch misslungene Versuche sind gern gesehen, zwecks Erfahrungsaustausch.