Es gibt Nähbücher, die sind einfach legendär. 2006, als ich die Welt der Nähblogs gerade erst entdeckt hatte, las ich zuerst bei Sew-mad davon, dass sie japanische Anleitungsbücher verwendete. Ich war schwerst beeindruckt: Bücher aus Japan! In japanisch! Man kann nichts davon lesen, und Katrin schaffte es, nur anhand von Zeichnungen, Fotos und ein paar Maßangaben unglaublich raffinierte Teile zu konstruieren.
Das beeindruckendste Buch damals stammte von Tomoko Nakamichi, einer Professorin des Tokyoter Bunka Fashion College: Pattern magic. Ihre Bücher - es gibt drei Bände - sind mir seither noch öfter begegnet. 2010 erschienen sie auf englisch, und von da an tauchten die Modelle mehr und mehr in Nähblogs auf, zum Beispiel bei der Australierin Carolyn.
Weihnachten lagen Pattern magic 1 und 2 nun für mich unter dem Weihnachtsbaum – in der deutschen Ausgabe des Münchner Stiebner Verlags, der auch davon abgesehen ein ganz interessantes Programm in Sachen Mode und Modedesign hat. Sie verlieren gar nichts von ihrem Reiz, auch wenn man nun jedes Wort darin lesen kann, im Gegenteil.
Die Gestaltung der Bücher ist eine Augenweide, und die Kleider erst! Da fächern sich Ärmel wie eine Zieharmonika auf, ein um den Hals geschlungener Schal verschwindet im Vorderteil, ein Kragen wächst scheinbar aus dem Nichts heraus oder ein Tunnel durchquert einen Rock. Manche Entwürfe erscheinen total verrückt, als wollte man beweisen, was mit Stoff alles möglich ist – manche andere wie zum Beispiel die drapierten Ausschnittvariationen wirken klassisch wie ein Stück von Christobal Balenciaga aus den 50er Jahren.
Der Ausgangspunkt der Pattern-magic-Schnitte ist immer gleich: ein Grundschnitt nach der Methode des Bunka fashion College, dessen Erstellung zu Anfang im Schnelldurchlauf erklärt wird. Die Anleitungen zu den einzelnen Modellen zeigen dann mit Hilfe von Schemazeichnungen und spärlichen Erläuterungen, wie aus diesem Schnitt durch Einschneiden, Aufspreizen, Aufdrehen, Zusammenschieben und Aufteilen der Modellschnitt abgeleitet werden kann. Die Bücher enthalten also keine fertigen Schnittmusterbögen, man entwickelt die Schnitte selbst, und zwar von Grund auf.
Das ist auch in der eigenen Sprache anspruchsvoll. Von den eineinhalb Seiten Anleitung, die die Konstruktion den Grundschnittes erklären, bin ich gnadenlos überfordert. Ich vermute aber, dass man die Modelle genauso gut aus jedem beliebigen gut passenden Basisschnitt mit Abnähern ableiten könnte. Wenn man denn die Zeichnungen zu deuten versteht, die anzeigen, wo und wie aufgeschnitten, zusammengelegt, gedreht und gefaltet werden soll. Ob verschlungene Kragen, verschwindende Revers, Fächerfalten und Raffungen in Stoff dann so herauskommen, wie man sich das vorgestellt hat, dazu ist ohnehin ein Probeteil nötig. Und auch um festzustellen, ob die exzentrischen Schnittdetails mit einer mitteleuropäischen Oberweite kompatibel sind. An quasi brustlosen Schneiderpuppen wie auf den Abbildungen im Buch sieht ja alles gut aus.
Wobei das "gut aussehen" letztlich auch eine Frage der Sehgewohnheiten ist: weibliche Kleidung basierte in Europa bis auf wenige Ausnahmen immer auf dem Prinzip, eine deutliche Brust-Taille-Hüfte-Differenz zu betonen, das kennen wir, das sind wir so gewohnt, so soll es sein. Die traditionelle japanische Silhoutte hingegen ebnet diese Differenzen ein, sie folgt nicht den Konturen des Körpers - das war und ist schon bei den Kimonos so und setzt sich fort bei einigen japanischen Modemachern, man denke nur an Yohji Yamamoto, der übrigens auch ein Absolvent des Bunka Fashion Colleges war. Ich werde mit dem wie mir scheint einfachsten Stück aus Pattern magic 2 beginnen, dem Rechteck zum Anziehen (S. 30/31), hier zum Beispiel zu sehen bei Carolyn, hier bei Lauriana (petit main sauvage), und dann mal sehen, ob ich so eine lockere Stoffhülle tatsächlich anziehe.
Ha, das ist ja spannend, was du schreibst! Erst dachte ich, ach, das brauche ich auch, als du von Grundschnitt und selbst konstruieren schriebst. Aber weiter unten bei "brustloser Schneiderpuppe" bin ich dann wieder ausgestiegen. Ja genau, das war bisher der Grund, wieso ich in die Japan-Bücher-Begeisterung nie eingestiegen bin. Ob es an meinen Sehgewohnheiten oder meiner Figur liegt. Vermutlich an zweiterem, denn ich hasse Säcke an dicken Frauen.
AntwortenLöschenUnd doch bin ich gespannt, was du vom Konstruieren und so weiter berichten wirst. Danke Lucy, für deine ausführlichen Besprechungen!
Oh, da bin ich aber gespannt. Ich finde diese an moderne Architektur erinnernden Schnittkonstruktionen ziemlich interessant.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße,
Malou
das rechteck zum anziehen sieht genial aus! ich bin gespannt auf dein ergebnis!!
AntwortenLöschenSuper, das zweite Buch hab ich auch. Vielleicht probieren wir ja in etwas fernerer Zukunft ;) mal den gleichen Entwurf aus?
AntwortenLöschenMich interessieren da schon so ein paar Sachen... der Kragen, der ins Oberteil verschwindet (bei "wearing a balloon" vorne im Buch, der "Flip-turn"- Kragen weiter hinten, sowie die verschwindende Krawatte oder der verschwindende Reverskragen. Ich habe die englische Ausgabe.
Also, da muss ich aber vorher noch ein bisschen an meinem Grundschnitt basteln (hüstel).
Genau, das 2. Buch habe ich auch seit kurzem und bin ganz scharf auf das Dreieck. Haken bei der Sache: Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie die Ärmelkonstruktion funktioniert ... Aber ich bleibe dran! Und das Rechteck hat mir auch sehr gefallen.
AntwortenLöschenViel Erfolg, und ich bin gespannt auf Dein Rechteck!
LG, Kaeru
Ich hab beide Bücher auch, 'schwer sich zu entscheiden, welche Projekt man nachnähen soll :)
AntwortenLöschenIch bin zwar Filzerin, aber die Bilder die Du zeigst, haben es mir angetan. Sehr inspirierend.
AntwortenLöschenBeste Grüsse Doris
Das ist ja klasse, dass so viele eines oder beide Bücher auch haben! Da würde sich ja ein konstruier-along anbieten - denn ehrlich gesagt, diese winzigen Zeichnungen und die Symbole und Maßangaben überall, das ist schon sehr komplex und beim ersten Anschauen kapiere ich NIX. Die Modelle mit den besonderen Kragenformen könnte man ja an einen normalen Blusenschnitt drankonstruieren (also, wenn man das kapiert hat). Lauriana/petit main sauvage hat sowas geplant. Der Schnitt fürs Viereck war bis jetzt einfach, mal sehen, obs dann passt und vor allem, wie es aussieht...
AntwortenLöschenGenau - mein Gedanke bei den besonderen Kragen war auch, die an einen einfachen Grundschnitt (oder Blusenschnitt) für einen selbst dranzubasteln. Das war zumindest mein Plan, gaaanz einfach in der Theorie ;)
AntwortenLöschenHallo Lucy,
AntwortenLöschenvielen Dank für die kurze Vorstellung. Die Bücher kannte ich bisher nicht. Die Bilder/Konstruktionen sehen wirklich aufregend aus. Ich bin sehr gespannt, was du daraus machst.
Liebe Grüße
Maria
Ich freu mich auf deinen Bericht. Mit genau diesem Teil liebäugle ich auch. Es gibt so abgefahrene Schnitt-/Konstruktionstechniken. Kennst du die Videos hier von Shingo Sato? Er entwickelt auch sehr dreidimensionale Sachen: http://www.youtube.com/user/trpattern/videos
AntwortenLöschenMit Stoff bauen ist faszinierend. Ich wußte bis jetzt nicht, dass sie in Deutsch erschienen sind.Japaner waren schon zur Zeit meines Studium die heimlichen Favoriten. Man kann sich helfen, wenn man mit Papier,am besten Packpapier oder sehr stabiles Seidenpapier (bedrucktes irritiert zu sehr) solche Teile erarbeitet.Frei oder an der Puppe formen, stecken anzeichen, dann wieder plan legen, schneiden und neu falten, kleben etc.bis zur gewünschten Form.Danach in Stoff schneiden. Ist sehr effektiv.Wenn man mathematisch veranlagt ist, kann man es auch berechnen.
AntwortenLöschenPlastische Grüße
karen
Tatsächlich sollen einige Schnitte in den Büchern auch genau so entwickelt werden, zum Beispiel das Würfel-Oberteil vom Titelbild, oder ein Rock aus steifen Material, der oben so einen "Krater" hat!
LöschenInteressant ... musste sogleich an Origami denken! ;)
AntwortenLöschenich werde gespannt mitlesen, ich habe mir Teil 1 auch gekauft und mich dann nicht dran getraut. ich verstehe leider nie Beschreibungen. Mein in dieser Hinsicht begabterer Sohn hat schon einen Kissenbezug mit Verdrehung genäht. In Teil 1 ist hinten ein Grundschnitt für ein Oberteil drin, den kann man vergrößern und anpassen.
AntwortenLöschenMein Favorit ist das verdrehte Shirt, vielleicht traue ich mich mal daran. ich in total neugierig auf deinen Erfahrungsbericht.
LG, Claudia
ich bin auch gespannt. habe diese bücher auch schon bewundert.die schnittkonstruktionen finde ich auch sehr spannend.das ist kunst im wahrsten sinne des wortes.aber ich bin auch gespannt was du weiter berichtest.
AntwortenLöschenliebe grüße
stella
Hmm, gibt mir etwas zu denken, naemlich: zurueck zur Japanischen Version? Wenn man NUR Bilder und seine eigene Denkweise miteinander kombinieren KANN, kommen viele Leute damit besser klar als mitunter mit der einfachsten Version von egal welcher Sprache.
AntwortenLöschenMan stelle sich vor, Australien muss damit oefter als oft 'arbeiten', da es mitunter etwas seeehr lange dauert, bis dass jeder seiner Immigranten ausreichend der Landesprache maechtig ist.
ABER, having said so, da ist noch folgende Story von mir selbst als Landpommeranze in Muenchen landend und das dortige oeffentliche Verkehrssystem verstehen sollen/wollen: Ging nicht!
Folge: Wutentbrannt zum Hauptbahnhof gefahren zur Zentral-Touristen-Info und nach einer englischen 'Gebrauchsanweisung' gefragt. Wurden leichte 'Zwergerl-Aufstaende' vollzogen, weil ich deutschsprachig war. Folge: Ich ging fuer 1 bis 2 Stunden zum Kaffee trinken plus schmoeckern in der dorten damals herrlichen Internationalen Presse (Magazine und Zeitungen in nicht-deutschen Versionen). Danach kehrte ich zurueck zur Tourist-Info und fragte cool auf englisch nach der gewuenschten Gebrauchsanweisung: BingO (Dame erkannte mich nicht mehr - sofort; danach hatte ich schon, was ich wollte ;-) !)
Ergebnis: voll und einfachst zu verstehen!
Schoenes Wochenende noch und hoffentlich doch einigen Spass mit Deinen Weihnachtsgeschenken.
Liebe Gruesse,
Gerlinde
PS: habe mich in der Welstadt mit 'Schmerz' auch schon einmal ordentlich verbal duelliert, weil die Akzeptanz von Kreditkarten leider sehr eingeschraenkt ist. Leider tat ich dies in der 'Landesprache'. Selbiges
triggerte natuerlich die Frage "aber - verdammt - sie sind doch Deutsche, oder?"
Ja, ich bin Deutsche, ich spreche diese Sprache (noch) ausreichend fliessend (wenn auch altmodischer werdend) ABER ich bin mittlerweile Tourist im eigenen Lande und Devisen-Auslaender; wie werde ich mein Geld dorten los?!
Kenne dieses Problem auch von etlichen anderen Touristen. Die Folge ist meist: dorten wenig, woanders mehr!
Danke für den Tip - ich glaube, das sind Bücher, die ich im Grunde meines herzens schon lange gesucht habe ... sobald meine Schneiderpuppe da ist ... :) das sieht alles ziemlich spannend aus!
AntwortenLöschenDanke für den schönen Post. Wunderbar geschrieben. Sehr interessant zu lesen.
AntwortenLöschenWerde mit Spannung verfolgen, was Du aus dieser Kleiderkunst für Dich zauberst.
Beste Grüße,
Caterina
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