Bis vor einem Jahr wohnte ich in einer Stadt, die beim Stoffkauf nur die Wahl zwischen
teuer und
sehr teuer ließ. Die Gleichung
teuer=schön und hochwertig geht bei Stoffen leider längst nicht immer auf, jedenfalls nicht in meiner alten Stadt, und so saß ich immer wieder staunend am Rechner, wenn ich in Blogs oder im Hobbyschneiderinnen-Forum die Stofflager anderer Näherinnen entdeckte. Ich war ja schon froh, wenn ich wenigstens einen einzigen schönen Stoff fand.
Tja, nach einigen Besuchen auf dem Maybachmarkt bin ich nun selbst auf dem besten Weg zum Stofflager. Der Maybachmarkt ist eigentlich ein Wochenmarkt, der mittlerweile den Weg in die Berlin-Reiseführer gefunden hat. Im Sommer sieht man denn auch eine Menge Besucher, die bisweilen wie im Freilichtmuseum durch die Reihen streben, während die Marktschreier abwechselnd auf Deutsch und Türkisch ihre Angebote ausrufen. Es gibt Obst- und Gemüsestände, Blumen, Brot, süßes Gebäck, Gewürze, Fleisch, Fisch, Käse und Oliven, Haushaltswaren, Kleidung, Schuhe - und Stoffe.
Kommt man vom Kottbusser Damm, ist vorne im linken Gang zuerst ein Stand mit ungebleichten Baumwollstoffen unterschiedlicher Qualitäten von Schleiernessel bis Malerleinen, dann folgen einige Kurzwarenstände mit Reißverschlüssen, Garn, Schrägband, Bügeleinlagen, Knöpfen, Borten und Perlen. Die gut 25 Stoffstände wechseln sich in beiden Reihen mit den Lebensmittelständen ab - Gardinen- und Polsterstoffe, Baumwollstoffe, Jerseys, Jeans, Organza, Futterstoffe, Polyestersatin, zur Zeit winterliche Woll- und Strickstoffe, Fleece, Schottenkaro und Cord. Dazwischen Ananas - "nur ein' Euro!"-, Sesamringe, Schafskäse, französische Salami, Berge frischer Petersilie und Pfefferminze, gekochte Maiskolben, Hähnchenschenkel und Hülsenfrüchte. Die meisten Stoffe kosten zwei oder drei Euro der Meter, die neuen Winterstoffe zum Teil auch fünf, sechs oder gar acht Euro, das ist aber für den Maybachmarkt dann schon richtig teuer. Abgeschnitten wird meist großzügig.
Wie man in dem Regal wohl etwas findet? Glücklicherweise gibt es noch zwei andere Reißverschlusstände
Anfangs war ich ja selber skeptisch, wollte eigentlich "nur mal gucken" und fasste die Stoffe vom Markt nur für Probeteile ins Auge, wenn mir die alten Laken ausgehen. Und natürlich gibt es auch viel Schrott - Polyesterscheußlichkeiten, Fehldrucke oder nicht durchgefärbten Cord (Vorderseite dunkelblau, Rückseite fast weiß). Einige Stoffe haben Fehlermarkierungen mit eingeknoteten Fäden oder Aufklebern an der Webkante, und manche Ballen sind am Rand derartig befranst, dass der Stoff dann wohl nur aus Fehlern besteht...
Mittlerweile habe ich schon gekauft, gewaschen und teilweise genäht und bin positiv überrascht. Klar, Wunder sollte man nicht erwarten, und so wenig wie man auf dem Flohmarkt zufällig einen Rembrandt findet, wird man wohl auf dem Maybachmarkt einen Mailänder Seidendruck ergattern. Den Versicherungen der Händler - "Alles reine Wolle!" - sollte man auch nicht unbedingt Glauben schenken, lieber ausgiebig Stoffe befühlen und dem eigenen Urteil vertrauen. Dennoch finde ich das Preis-Leistungsverhältnis unschlagbar und nach den Jahren mit teuren Stoffeinkaufsquellen ist es für mich sehr befreiend, einfach mal draufloszuschneidern. Dazu kommt noch der Jagdtrieb - jede Woche gibt es wieder etwas anderes, die "Schätze" muss man in dem Wust erstmal finden und dann zugreifen, denn beim nächsten Markt könnte der Stoff schon weg sein. Außerdem gönne ich mir nach erfolgreicher Jagd ganz dekadent noch einen Cappucino am äthiopischen Kaffeestand neben dem Bio-Bäcker.
Die beste Zeit für einen Jagdausflug ist übrigens gegen Mittag, ab etwa 14.00 Uhr wird es voll, ab 16.00 Uhr sehr voll, besonders an Freitagen. Ab 17.00 Uhr wird das Obst an vielen Ständen nur noch kistenweise abgegeben und die Händler räumen langsam zusammen. Die Stoffhändler packen ihre Reste wieder ein - wird ja nicht schlecht - aber wenn man an einem Stand zehn Meter Stoff oder so kauft, kann man auch schonmal feilschen.
Wochenmarkt Maybachufer
Maybachufer, Ecke Kottbusser Damm
Dienstag und Freitag ca. 11.30-18.00 Uhr
Haltestelle Schönleinstr. (U8)