Ihr kennt doch sicher alle das Burda-Punktesystem, mit dem der Schwierigkeitsgrad eines Schnittes angegeben wird? Die Schnitte bewegen sich zwischen einem Punkt (Poncho aus zwei zusammengenähten Stoffrechtecken) und vier Punkten (Mantel mit Reverskragen, Paspeltaschen mit Klappe und noch einer Handvoll Extras). Interessanterweise entspricht die angegebene Schwierigkeitsstufe nicht immer meiner gefühlten Schwierigkeit. Ich habe von Trenchcoat bis zum doppelt gefütterten Wintermantel schon alle möglichen Mäntel genäht, darunter auch welche mit Vier-Punkt-Wertung (zum Beispiel den dunkelroten Wollmantel, den ich zuletzt beim MeMadeMittwoch zeigte) - aber mein echter Angstgegner sind Blazer.
In meiner Nähkarriere habe ich noch nie einen Blazer genäht, der mir dann wirklich gefallen hätte und den ich auf Dauer wirklich angezogen hätte. Das ist natürlich vollkommen absurd, schließlich unterscheidet sich ein Wollmantel von einem Blazer meistens nur in der Länge. Die Schnitte sind gleich aufgebaut, die Passform ist im Prinzip identisch, die Stoffe sind ähnlich - aber irgendwie stelle ich an die Passform von Blazern höhere (oder einfach andere?) Ansprüche als an Mäntel. Und zweitens finde ich es schwierig, bei Blazern die richtige Länge zu finden, die dann auch zu möglichst vielen meiner Unterteile passt.
Dieser Blazer hier, Modell 112 aus Burdastyle 2/2015, könnte vielleicht doch mal ein Teil sein, das ich wirklich trage. Die Anfänge der Jacke konnte ich sogar hier im Blog wiederfinden: im November 2016 hatte ich die meisten Teile zugeschnitten und den Korpus zusammengenäht. Ich glaube ich nahm die Teile im Januar 2017 mit zur AnNäherung, für alle Fälle, falls ich mit meinem Hauptprojekt früh fertig werden würde. Dann passierte lange nichts, die halbe Jacke zog sogar einmal mit mir um (und warf sie nicht weg, obwohl ich das überlegte) und holte sie erst vor ein paar Wochen wieder hervor, zum Online-Nähwochenende, das Muriel und Chrissy organisiert hatten. Eigentlich nur, weil ich nicht dazu gekommen war, etwas Neues zu planen und zuzuschneiden, nicht unbedingt aus Überzeugung, dass das wirklich etwas werden würde.
Der Zustand nach dem Wochenende, noch ohne Futter, aber mit Kragen, Taschen und Ärmeln war dann wirklich so vielversprechend, dass ich motiviert war, das Futter einigermaßen zügig (für meine Verhältnisse) einzunähen - und dem Blazer das sehr gehütete Sicherheitsnadelfutter zu spendieren, von dem ich leider nur 1,50 Meter habe. Jetzt fehlt nur noch ein Knopf und ein Knopfloch in der Taille und ich bin vorsichtig optimistisch, dass mir diese Jacke wirklich so gelungen sein könnte, dass ich sie wirklich anziehen werde. Über die Kopffrage werde ich noch ein bisschen nachdenken - die Optionen aus der Knopfschachtel gefallen mir alle nicht so richtig. Eventuell beziehe ich einen Knopf mit dem Stoff der Jacke.
Über Passformfragen bei selbstgenähter Kleidung hatte ich mir 2013 schon mal Gedanken gemacht (in diesem alten Artikel - habe ich selbst mit Vergnügen nochmal gelesen) - Fazit: besser als Fertigkleidung bekommt man es allemal hin, und wenn man sich das selbst nicht glaubt und im Perfektionismus gelähmt ist hilft es, im Vergleich gekaufte Kleidung anzuziehen, die man mal in dem Glauben angeschafft hatte, sie würde gut passen.
Das Kleid unter der Jacke ist Wenona, genäht 2017, von named clothing, ein Schnittmuster, das es leider nicht mehr gibt.
Damit gebe ich zurück zum MeMadeMittwoch, dem Treffpunkt für Menschen, die ihre Kleidung selber nähen.
Details auf einen Blick:
Schnitt: 112 aus Burdastyle 2/2015
Stoff: ca. 2 Meter leichter dunkelblauer Wollstoff mit Nadelstreifen
Futter: ca. 1,50 m Polyestercrêpe
Zubehör: dünne Schulterpolster, Ärmelfische. Einlage auf mittleres Vorderteil, Kragen, Belege und Saumumschläge aufgebügelt.