Neuer Jahrgang, neuer Anlauf: Ihr erinnert euch vielleicht an die
Loben-und-Lästern-Artikelreihe im Herbst 2013 und Frühjahr 2014, in der wir gemeinsam mehr oder weniger liebevoll über die neuesten modischen Ideen des
Burda-Verlags herzogen. In den letzten Monaten wurde ich virtuell und im echten Leben sehr oft angestupst, diese Rubrik wieder aufzunehmen, und da mir der Austausch über die Schnitte auch immer viel Spaß gemacht hat und man über Geschmack so vortrefflich unterschiedlicher Meinung sein kann, erspare ich euch jetzt jedes unsexy Lamento über Zeitmangel, sondern springe direkt zu ersten
Burdastyle-Ausgabe des Jahres 2015. Wie immer: drei Lieblingsschnitte, drei Flops, und alles garantiert höchst subjektiv.
Bevor ich aber zu den Schnitten komme, muss ich noch etwas anderes feststellen: ich hatte Recht! Pannesamt kommt zurück! Beweis ist das
Modell 117 auf Seite 15, ein Shirt mit interessanten Querfalten aus Metallic-Pannesamt (92% Polyester, 8% Elasthan). Das Material wird in diesem Zusammenhang als „sinnlich“ bezeichnet und man lobt die unkomplizierte Pflege. Tja, hatte ich nicht
schon im Juni vorhergesagt, dass mit der Rückkehr des elektrisierenden Stoffklassikers zu rechnen ist? Das einzige, was mir Sorgen macht: die daraus erwachsende quasi-moralische Verpflichtung, an der Rehabilitation des viel geschmähten Materials mitzuwirken und selbst ein Stück aus Pannesamt zu nähen. Vielleicht finde ich auf dem Markt einen Pannesamt aus Viskose, dann wird die Näherei nicht ganz so schlimm?
Das Januar-Heft ist traditionellerweise die Ausgabe mit den einfachen Teilen aus Pailettenstoff, die man am Nachmittag des Silvestertages noch schnell zusammenrattern kann, mit den Faschingskostümen und in diesem Fall – seit langer Zeit zum ersten Mal – mit Umstandsmode. Also lauter Kleidungsstücke für Spezialbedürfnisse, die bei mir nicht anliegen. Was bleibt übrig?
Das Beste
Der
Rock 109 fiel mir in der Ausgabe gleich als erstes auf, wegen der frappierenden Ähnlichkeit mit dem
Jupe Anémone von Deer&Doe, einer kleinen Schnittmusterfirma aus Frankreich. Die ausgestellten Seitenteile des kurzen Rocks liegen doppelt und sind aufgedreht, so dass sie kleine, wippende Volants an den Seiten bilden. Die Burda-Redaktion bannte die Niedlichkeitsgefahr dieses Röckchens durch das Material: einmal stark strukturiertes Wollgewebe, das andere Mal Wildlederimitat. An Lederimitate taste ich mich buchstäblich gerade heran. Mein Nebenjob-Arbeitgeber hat eine große Auswahl davon, daher konnte ich in letzter Zeit einiges befühlen. Zum Teil macht das Zeug einen ganz guten Eindruck, es gibt auch Stoffe, die nicht komplett aus PVC bestehen, sondern eher ein beschichteter Stoff sind, der ein bißchen wie Leder aussieht. Was meint ihr – Rock 109 aus Lederimitat, ja oder nein? Es ist durchaus möglich, dass ich nur auf sehr dumme Ideen komme, weil ich in letzter Zeit so oft mit Kunstleder zu tun hatte.
Von diesem Rock abgesehen, macht es mir diese Ausgabe aber schwer, weitere potentielle Lieblingsschnitte zu entdecken: Es gibt eine Menge sehr kastige Oberteile (
106,
107,
119) oder solche, die mit einem Gummizug zum Oberteil oder Kleid getrimmt werden (
113).
Die schmale
Jacke 104 mit einem hohen angeschnittenen Kelchkragen, der aus einer mehrfach unterteilten Schulterpasse herauswächst, finde ich schnitttechnisch interessant, und sie erinnert mich auf die gute Art an die Uniformen bei Raumschiff Enterprise, sollte aber besser passen als das Exemplar auf S. 49 (und die Kombination mit einer ebenfalls patchworkartig zusammengesetzten Hose finde ich unglücklich: das sieht doch etwas nach Clownsanzug aus. Aber das wäre ja schon wieder gelästert, und das wollen wir ja jetzt noch nicht!).
Ein weiteres Stutzen erzeugt bei mir der
Wickelrock 108, wobei ich mich innerlich winde, dieses Stutzen tatsächlich positiv zu deuten, vereint dieser Rock doch fast alle Schnittdetails, die ich bis vor kurzen als absolut verabscheuungswürdig angesehen hätte: ein vorne kurzer, hinten langer Saum, der auch noch asymmetrisch ist, also rechts kürzer als links. Außerdem liegen die Vorderteile nur so wenig übereinander, dass der Rock sicher nur bei einem Stehempfang bei Windstille praktikabel ist. Vielleicht liegt meine leichte Sympathie an dem Rockfoto auf Seite 47, das den Rock aus einem hübschen Karostoff zeigt (und auf dem man die Mehrfach-Asymmetrie kaum erkennen kann): man zeige mir irgendetwas – egal was – mit Karos, und ich finde es gut. Oder es ist dieser unerklärliche Reflex, der sich „Mode“ nennt.
Das Schlimmste
Zum Läster-Einstand können wir aber gleich bei dem Foto von Seite 47 bleiben, bei dem krampfhaft originellen
Oberteil 115. Es wird als „Plaidjacke“ bezeichnet, übersetzt bedeutet das wohl: eine Jacke mit einer angeflanschten Sofadecke, die schwungvoll über die Schulter geworfen werden soll. Sofadecke. Muss ich mehr sagen? Ja? Dann füge ich hinzu: zugige Dreiviertelärmel. Nochwas? Stellt euch einfach vor, wie ihr in dieser Jacke an einem kalten Buffet steht und versucht, einen Teller mit Kartoffelsalat zu beladen und ein Glas zu halten, ohne dass euch die Decke ins Essen fällt.
Das
Oberteil 111 (S. 22 und 39) gefällt mir nicht unbedingt besser – Schals an der Kleidung sind generell nicht so mein Fall, scheint mir - aber wenigstens wird hier alles festgenäht, kann damit nicht in die Soße fallen. Abendessen gerettet, alles gut.
Anderes Thema: Burda und die Rechtecke. Einer der seit Jahren mit großer Beharrlichkeit geäußerten Vorwürfe gegenüber Burda lautet: Das sind doch alles nur Rechtecke! Wir wollen Schnitte, und keine Rechtecke! Ehrlich gesagt nervte mich die Penetranz ein wenig, mit der dieser Vorwurf jeden Monat wieder irgendwo erhoben wurde, und ich fand diese Dauerkritik ungerecht. Ja, ab und zu gab es einen Poncho (ein Rechteck mit Loch für den Kopf) oder einen Sarouel (ein Rechteck, das man um sich herumwickelt), aber generell stimmt es ja so nicht, dass Burda immer und überall nur Rechtecke als Schnitte verkaufen würde.
Die
Parkajacke 134 auf Seite 70 fiel mir zuerst nur ins Auge, weil ich sie einfach scheußlich fand: ein unförmiges Ungetüm aus Glanzstoff mit Gummizügen überall. Beim Blick auf die Schnittzeichnung kapierte ich: Das sind ja alles nur Rechtecke! Für die Jacke gibt es gar keinen Schnitt – nur Anweisungen, was für Rechtecke zuzuschneiden sind. Ein Gefühl, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen: Burda gibt Rechtecke als Schnittmuster aus! Alle, alle hatten sie Recht! Ich blicke in einen Abgrund.
Ich hoffe, mit Heft 2/2015 kann ich mich von dem Rechteck-Schock erholen – es wird dort bereits sommerlich.
Und ihr, was sind eure Lieblingsschnitte? Habt ihr noch etwas entdeckt, was ich übersehen habe?