Das tröstet mich darüber hinweg, dass ich mir mit meinen Normalo-Klamotten neben meiner selbstschneidernden Frau bisweilen etwas underdressed vorkomme. In diesem Nähuniversium bin ich selbstverständlich auch an vielen Beschaffungsaktionen von Lucy beteiligt. Letzthin zum Beispiel durfte ich dieses Nähwagenmonster ins Auto verfrachten, wobei meine Liebste meinen dezent geäußerten Zweifel ("Wollen wir das wirklich mitnehmen?") offensichtlich überhört hatte.
Bei der Gelegenheit besuchten wir auch wieder die Freundin meiner Großmutter, die alte Schneidermeisterin Frau G., in deren kleiner Werkstatt Schränke voller Stoff vor sich hinschlummern. Lucy durfte sich schon mehrmals aus diesen Schätzen bedienen, und auch diesmal wühlten sich die beiden Stoffbesessenen durch Stapel von Baumwolle, Viskose und Leinen, wuchteten Kisten mit Stoffresten und allerlei Krimskrams durch das winzige Nähzimmer. Zu jedem Teil wusste Frau G. kleine Geschichten und Anekdoten. Es ist wohl ihre Art, Abschied von ihrer Berufung und den dazugehören Sachen zu nehmen. Von Dingen, die sie sehr geliebt hat. Denn ihre Hände sind von Alter und Krankheit steif, mit dem Nähen ist wohl für immer Schluss. Nach und nach räumt sie ihre Werkstatt, trennt sich von Stoffen und Nähmaschinen, sortiert und verschenkt, stapelt und wirft weg.
Diesmal war meine Kamera mit dabei und ich fotografierte, während wieder ein paar Stücke und damit Episoden aus dem Leben der Frau G. hervorgeholt und vielleicht für immer weggeräumt wurden. So gibt es wenigstens ein paar Bilder zur Erinnerung an eine Handwerkstradition, wie sie wahrscheinlich täglich still und leise verschwindet.
Hier hat eine Schneiderin ein halbes Jahrhundert gearbeitet. Verwandschaft, Freunde und die Leute im Dorf mit Kleidung versorgt. Meiner sehr kleinen zierlichen Mutter änderte sie die Kostüme und Röcke, wahrscheinlich schneiderte sie ihr sogar komplette Teile. Ich weiß das nicht mal so genau, und meine Mutter kann ich nicht mehr fragen. Ganz sicher aber bin ich mir, dass die Schneidermeisterin meiner nicht so talentierten Oma öfter mal die eine oder andere Handarbeit rettete.
Aus der Werkstattserie habe ich ein paar Bilder ausgewählt - wenn auch keine von Frau G. - und hier zusammengestellt. Vieles ist schon verschwunden, wie etwa die alten schweren Singer-Nähmaschinen, die jetzt in einer Vitrine im Wohnzimmer stehen. Aber die Fotos geben doch noch eine Ahnung davon, wie diese Frau oft Nächte in ihrer Werkstatt saß und am schweren Eichentisch die Stoffe zuschnitt. Und zumindest von den Stoffen wird sicherlich in der Nahtzugabe das eine oder andere Stück wieder auftauchen.