Der Frühling lockt nicht nur die Tulpen hervor und so viele Menschen in unsere kleine Straße, dass ich mich frage, wo sie sich den ganzen Winter über wohl versteckt haben mögen, nein, der Frühling ist auch die richtige Zeit, um zum Beispiel mit dem Nähen zu beginnen. Das sehe ich erstens an unserem wöchentlichen Nähtreffen in der Kiezinitiative, wo wir nun Woche für Woche mehr werden, vor allem mehr Nähanfänger, ja, manche kommen nun schon aus Nachbarbezirken angefahren und bringen beim zweiten Mal gleich die Freundin mit.
Zweitens gibt es (endlich, möchte ich fast sagen) Bewegung auf dem deutschen Nähzeitschriftenmarkt, und das finde ich angesichts einer Wirtschaftskrise, die sich unter anderem auch in einer Anzeigenkrise manifestiert, die schon so wertvolle Publikationen wie die deutsche Vanity Fair und Maxim in den Orkus gerissen hat, mehr als bemerkenswert. Wenn man daraus schließen könnte, dass Selbermachen derzeit potentiell mehr Leute interessiert als Prominententratsch – was für eine positive Entwicklung!
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Der erste Neuzugang, das Magazin
Cut ist in etwa so, wie ich immer gedacht habe, dass eine ideale Nähzeitschrift sein müsste: Neben Schnittmustern (dazu unten mehr) und zwei stilistisch ganz unterschiedlichen Modestrecken gibt es Artikel über Designer, Textilkünstler und Mode, die auch etwas in die Tiefe gehen. In dieser Ausgabe unter anderem über die Berliner Designerin Stephanie
Franzius, ein Artikel über Modeblogs, über die Schmuckdesignerin Nina Egli und über den Einfluss der Mods in der heutigen Mode – bitte mehr davon! Solche Artikel findet man sonst nur alle naselang im Wochenendteil großer Tageszeitungen - und die sind einfach nicht fürs Aufheben gemacht. Dieses Heft hingegen ist so dick und stabil und noch dazu grafisch so schön gestaltet, dass man es sich gerne ins Bücheregal stellt. Auf der
Webseite kann man sich einige Seiten anschauen.
Mit solchen kleinen Spielereien hat eine Zeitschrift schon bei mir gewonnenDie drei Schnitte für einen wattierten Schal, eine Umhängetasche mit gefälteltem Vorderteil und ein ganz einfaches Kleid mit angeschnittenen Ärmeln – alles auf einem eingeklebten Schnittmusterbogen in Originalgröße zum Ausschneiden mit dabei - wenden sich an blutigste Nähanfänger und werden jeweils durch Schritt-für-Schritt-Fotoanleitungen begleitet, die wirklich keinen Handgriff dem Zufall überlassen. Nähchinesisch wird erklärt, wie zum Beispiel dass mit „zusammensteppen“ zusammennähen gemeint ist. Eine Doppelseite mit schönen Illustrationen zeigt, wie man einen Knopf richtig annäht. Mit diesen Schnitten und Anleitungen kann man wirklich auch dann nähen lernen, wenn man das noch nie gemacht hat und auch niemanden in der Nähe hat, den man fragen könnte und der einem die allerersten Schritte zeigt. Auch wenn ich für sowas nicht die Zielgruppe bin, finde ich diesen Teil sehr durchdacht und schön anzusehen und denke, dass man auf diese Weise wirklich Menschen ans Nähen heranführen könnte. Schnitte und Anleitungen für Fortgeschrittene gibt es ja in Mengen, Anleitungen für richtige, echte Anfänger (und dann noch auf Deutsch) hingegen nicht.
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Das Heft für sieben Euro ist am vierten März herausgekommen und soll zukünftig vierteljährlich erscheinen. Diese erste Ausgabe war in Berlin nach zehn Tagen schon so ziemlich ausverkauft - da habe ich nämlich erst gemerkt, dass es das gibt und musste mir ganz schön die Hacken ablaufen, bis ich schließlich
im hier schon erwähnten Bücherbogen am Savignyplatz ein Exemplar aus einer Nachlieferung ans Herz drücken konnte. Sicherlich ein gutes Vorzeichen für weitere Hefte.
Der zweite Quasi-Neuzugang sprang mich im Supermarkt unverhofft vom Zeitschriftenregal an - die
aktuelle Brigitte (erschienen am 7. 4.) enthält Schnittmuster!
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Bei denjenigen, die
die Brigitte-Schnittmusterhefte aus den neunziger Jahren noch kennen, werden jetzt natürlich sofort sehnsüchtige Erwartungen wach.
Ganz so fantastisch ist es leider nicht, was uns Brigitte jetzt bietet. Die Schnitte für zwei Röcke, eine weite Hose, eine Bluse und vier Kleider bzw. Tops sind wenig passformsensibel: keine Reißverschlüsse, keine Abnäher, Gummizüge in der Taille (aber mit einer Schärpe darüber), Größen meistens 34/36, 38/40 und 42/44. Dazu gibt es Anleitungen für stoffbezogene Halsketten, Stoffgürtel zum Aufpeppen (bei Brigitte wird nicht aufgepimpt!) von Hemden und einfachen T-Shirts und Strickanleitungen für ein einfaches Stricktop, Jäckchen, Pullover, lange Jacke und Bolero.
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Die Schnitte sind also durchaus anfängertauglich, was man von den Anleitungen leider nicht sagen kann. Die hätte man nämlich nicht knapper formulieren können, dabei wäre auf dem Anleitungsbogen noch jede Menge Platz gewesen. "Beleg: Schulternähte schließen, mit Halsausschnittkante verstürzen, Naht ausbügeln. Offene Belegschnittkante 1 cm einschlagen und knapp aufsteppen." In meinen Anfangszeiten haben mich solche Anweisungen direkt in den Wahnsinn getrieben: Mehrere komplexe Arbeitsschritte, die Stunden dauern wenn man nicht geübt ist, in zwei kurzen Sätzen versteckt.
Unübertroffen weil typisch Brigitte finde ich mal wieder die Präsentation dieser Teile. Wahrscheinlich bin ich für mein ganzes Leben vorgeprägt, weil meine Mutter jahre-, was sage ich jahrzehntelang ein Abo hatte und ich so schon im frühesten, geschmacksbildenden Alter mit den Brigitte-Modestrecken in Berührung gekommen bin. Ich möchte jedenfalls am liebsten sofort losnähen, damit ich dann im Sommer am Strand (an welchem Strand eigentlich?) genauso aussehe wie die Brigitte-Models.
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Einstweilen muss ich mir aber noch die Hoffnung ausreden, dieses Heft könnte ein Testballon für ein eventuell geplantes neues jährliches Nähheft von Brigitte sein - wo es doch schon Brigitte-Koch-Hefte gibt, ein Kulturheft (gibt es das noch?) und ein Heft für "Ältere" - da wäre ein Näh- und Strickheft doch die logische Fortsetzung...