Stoff und Faden, anders verwendet als üblich, mit Stoff spielen und experimentieren, das ist das Prinzip der monatlichen Stoffmanipulationen, wie sie Suschna
hier gerade angekündigt hat - ob nun anhand eines Buches, das man schon längst ausprobieren wollte, oder völlig frei. Form und Material für das Projekt steckt jede für sich selbst ab, Ergebnisse werden jeweils am letzten Sonntag im Monat gezeigt.
Suschna,
Kathrin,
Griselda,
Karen,
Tally und
frifris und
Kathrin (tinistaschen) sind dabei oder zumindest sehr interessiert - und ihr ja vielleicht auch? Man kann auch später noch jederzeit einsteigen.
Ich werde nach dem
Buch von Alison Reid – Stitch magic vorgehen. Dessen neun Kapitel behandeln jeweils eine bestimmte Technik: Das Aufnähen flacher Stoffstücke, gefaltete und damit dreidimensionale Stoffstücke, aufgenähte Schnüre, Smokstickerei, Handstiche, Falten, Biesen und ähnliches. Viele dieser Techniken sind altbekannt, das Besondere ist eigentlich, wie sie Alison Reid präsentiert: sie verwendet eine elegante Farbpalette und nur wenige gemusterte Stoffe, so dass moderne, schnörkellos-asiatisch anmutende Stücke entstehen, verarbeitet zum Beispiel als Tischläufer, Kissenbezug oder Lampenschirm.
Mir sind die Ergebnisse fast schon ein bißchen zu designorientiert, um noch inspirativ zu sein – die Teile wirken so „fertig“, so zuendegedacht, dass zunächst einmal wenig Raum für eigene Ideen eröffnet wird. Ich hoffe aber, dass sich durch die Ideen aller Mitmacherinnen so eine Eigendynamik entwickelt, dass eine Idee zu nächsten führt.
Auch ich werde – zumindest am Anfang – nur eine eingeschränkte Farbpalette verwenden: Weiße und ungebleicht-weiße Stoffe in verschiedenen Qualitäten, von Feinbatist über Leinen und Nessel bis zu Jersey, rotes Stickgarn, weißes, schwarzes und rotes Häkelgarn, weißen Filz, schwarzen und grauen Wollstoff und verfilztes Pullovermaterial.
Ganz getreu dem Motto:
Ohne Zwänge habe ich nichts zu sagen. Die Stoffexperimente werde ich nach und nach zu Stoffbeuteln verarbeiten, genau, zu diesen allgegenwärtigen rechteckigen Einkaufstaschen.
Warum Beutel? Aus der Beobachtung der Stoffbeutel mit Aufdruck und ihrer Träger könnte man hier in Berlin seit einiger Zeit soziologische Studien ableiten. Mit Beuteln die verraten, dass man ab und zu bei Rewe einkauft oder Radio Bremen hört, kann man natürlich keinen Stich machen, wenn andere Beutel von irgendeinem Farmer‘s market in Brooklyn und ihre Internationalität spazieren tragen.
Nur ein Beispiel, wie sich die Oma-Einkaufstaschen in Berlin zu einem Kommunikationsmedium entwickelt haben: Dem Beutel „Ich komm‘ aus Kreuzberg, du Muschi!“ folgte nach kurzer Zeit die Ironisierung mit „Ich komm‘ aus Muschi, du Kreuzberg!“. Neuester Streich ist ein Beutel mit der Aufschrift „Du hast Angst vorm Hermannplatz!“. (Am Hermannplatz an der Grenze von Neukölln und Kreuzberg kommen nicht nur zwei U-Bahnlinien und mehrere große Straßen zusammen, sondern auch Drogendealer, Trinker und die Gestrandeten der Großstadt).
Die absolut perfekte Replik auf diesen Beutel ist mir gerade eingefallen: „Ich hab‘ Angst vorm Kollwitzplatz!“. Der Kollwitzplatz liegt mitten im Bezirk Prenzlauer Berg und ist mittlerweile das Sinnbild für spießige Bürgerlichkeit, die sich selbst für alternativ hält – ihr wisst schon: Leute, die immer alles richtig machen, alles im Bioladen einkaufen, das Kind schon mit drei Jahren zum Chinesischunterricht anmelden, die Wohnung nach Feng Shui-Prinzipien mit Möbeln einrichten, die in einer italienischen Frauenkooperative handgefertigt wurden, den Hamster zum Tierspychologen bringen... Würde ich diesen Beutel tragen, wüsste man nicht, ob das ernst gemeint oder selbstironisch ist, denn einen gewissen Hang zur spießigen Bürgerlichkeit, die sich selbst für alternativ hält, kann ich ja nicht verleugnen.
Ihr seht also, ich brauche in diesem Umfeld auf jeden Fall ein paar neue, schöne Beutel, um meine
street credibility zu erhöhen und meine Weltläufigkeit zu beweisen, und wenn ich durchhalte, habe ich Ende des Jahres elf neue Einkaufstaschen, die vor allem eine Botschaft verbreiten: Ich bin so cool – ich mache mir sogar meine Einkaufsbeutel selbst!