Dienstag, 14. Februar 2017

Die Tweedjacke


Ich bin eine egoistische Selbernäherin: Nur wenige Brosamen fallen für nahestehende Menschen ab, und ich bin gut darin, Hinweise über auseinanderfallende Pullover, zu lange Hosen und ähnliche behebbare Kleidungsfehlfunktionen zu überhören. Der Liebste bildet eine Ausnahme: Er darf Wünsche äußen, und ich geruhe, sie mir anzuhören. Dass es manchmal sehr, sehr lange dauert, bis diese Wünsche erfüllt werden, steht auf einem anderen Blatt. 


Der Wunsch nach einer Wolljacke nach dem abgenommenen Schnitt einer alten Lieblingsjacke kam schon 2009 auf, als ich den ersten Klon dieser Lieblingsjacke aus braunem Cord nähte. Dazwischen klonte ich diese Jacke noch einmal, im letzten Sommer, jetzt aus dunkelgrünem Cord.


Die neue Cordjacke war ein großer Hit, aber eine Wolljacke wäre vielleicht sogar noch schöner, wurde mir bedeutet - und vor allem später im Jahr auch noch zu tragen. Ich hörte zu, und hatte Glück und fand in der Vorweihnachtszeit einen ganz wunderbaren Wollstoff auf dem Markt: Leicht, voluminös, etwas kratzig - aber auf die gute, naturbelassene Art - und aus reiner Wolle. Für das Materiallexikon hatte ich mich ja gerade mit Tweedstoffen beschäftigt, daher würde ich den Stoff als "ähnlich wie Shetland-Tweed" charakterisieren. Das Garn ist locker gedreht aus schwarzen und dunkelblauen Fasern und als lockerer Fischgratköper gewebt - auf dem Foto unten erkennt man vielleicht ein bißchen die diagonal verlaufenen "Gräten".  


Natürlich ist der Stoff kein echter Shetland-Tweed von den Shetland-Inseln - solche handgewebten Kostbarkeiten, die sonst von Chanel verarbeitet werden, findet man dann doch nicht auf unserem Markt. Aber es ist ein ziemlich hochwertiger Wollstoff, wie ihn britisch angehauchte Landhausbekleidungshersteller verwenden würden, und er ließ sich ganz wunderbar nähen. Mit einem normalen Viskosefutter zusammen hält er auch erstaunlich warm  - das dicke Garn speichert viel Luft.


Der Schnitt mit Teilungsnähten, aufgesetzten und eingesetzten Taschen ist bei der grünen Cordjacke vielleicht besser zu erkennen. Ich habe ihn für diese Version noch etwas verbessert, indem ich die Ärmelschnittteile an der Armkugel etwas aufgespreizt und die Armkugel etwas verlängert habe - da der Ursprungsschnitt von einer Lederjacke stammte, hatten die Ärmel keine oder fast keine Einhalteweite. Aus Stoff fielen die Ärmel daher nicht so gut, das ist bei dieser Version besser geworden.

Ansonsten ist es erstaunlich, wie oft man ich beim Nähen desselben Schnitts Mist bauen kann, etwas weniger erstaunlich ist, dass der Mist immer mit dem Futter zu tun hat: Bei der grünen Cordversion waren die Futterärmel aus unerfindlichen Gründen einen Tick zu kurz, bei dieser Tweedversion hatte ich einfach vergessen, die Futter-Seitenteile zuzuschneiden. Die Operation am offenen Futter - Seitenteile einsetzen, ohne das Futter komplett wieder aus der Jacke zu trennen - gelang glücklicherweise. Ich bin gespannt, was ich beim nächsten Mal mit dem Futter anstelle!

Etwas verspätet reihe ich die Jacke noch bei Monikas Sammlung für selbstgenähte Männersachen, Herrmann im Februar ein. Ich kann sehr empfehlen, von alten Lieblingsteilen den Schnitt abzunehmen und diese Kleidungsstücke als Klon weiterleben zu lassen. Aus Sicht der Näherin, die Abwechslung mag, ist die Wiederholung zwar nicht so spannend, aber mit einer ganzen Serie eines erprobten Schnitts kann man Menschen glücklich machen.

14 Kommentare:

  1. Das ist aber einer tolle Jacke! Übrigens gibt es echtes Shetland-tweed auf ebay.co.uk, und nicht zu teuer auch. Für die nexte Jacke!

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    1. Danke für den Tipp! Das wäre für die nächste Jacke in ein paar Jahren wirklich eine gute Idee.

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  2. Die ist in der Tag traumhaft schön geworden. Mein Freund hält sich bisher mit Wünschen sehr zurück; ich drängle ihm vielmehr von Zeit zu Zeit ein genähtes Kleidungsstück auf und dann "muss" er es tragen. Mit dem Stoff hast du wirklich Glück gehabt. Nicht immer lässt sich vorhersagen, wie sich ein Stoff trägt. Auch bei traditionellen Anbietern habe ich schon Pech gehabt. Und ob, das jetzt ein "echter" Shetland-Tweed ist oder nicht, sieht vermutlich nur der Experte. LG Carola

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  3. Schön geworden und dein Männe freut sich sicher, wenn er etwas massgeschneidert bekommt. Mit Liebe!

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  4. Ich finde sehr interessant schon beim Zuschauen, wie die Stoffe den Charakter verändern und was du selbst verändert hast.Rücken und Ärmel sitzen perfekt wie ich finde, im Vordertiel braucht der Wollstoff evtl. nch etwas mehr Länge. Die Weitenzugaben für wintertaugliche Klamotte sind schwer vozubestimmen, einen Pullover braucht ja auch Platz.
    VG Karen

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    1. Stimmt. Ich trage auf dem Foto darunter noch einen Pullover und eine Strickjacke. Das trägt doch etwas auf. Aber bei den heutigen Temperaturen, wo ich keine Strickjacke mehr zusätzlich brauche, fällt die Jacke auch vorne perfekt.

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  5. Tolle Jacke. Die Taschendetails mag ich, also die Brusttaschen.
    Auch ein dankbarer Abnehmer, da macht das Nähen auch noch mehr Freude.
    Ich überlege ob ich vor ein paar Jahren nicht auch den Stoff gekauft habe. Ich habe einen Mantel genäht - aber nicht gebloggt.
    Der Stoff war/ist toll. 10 Euro hat der Meter gekostet und ich vermute auch dass da ganz viel wenn nicht nur Wolle enthalten ist.
    lg monika

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    1. Solche Stoffe gibt es ab und zu mal auf dem Markt, wenn auch eher selten - den hier habe ich erst jetzt im letzten Herbst gekauft. Aber ein ähnlicher in Petrol hängt seit ein paar Jahren bei uns im Wohnzimmer am Fenster.

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  6. Oh ja, diese Jacke ist toll. Und wie Du sagst, mit erprobten Schnitten kann man wirklich Menschen eine Freude machen.
    Ich kann das "egoistische Selbernähen" nur unterstützen, Nähzeit ist kostbar, und Änderungsschneiderinnen wollen ja auch leben! Für meinen Mann liegen auch noch diverse Hemdenstoffe , der Prototyp ist immer noch nicht fertig, damit ich in Serie gehen kann. Aber es gibt da ja immer wieder so tolle Schnitte, die ich so dringend brauche...
    Liebe Grüße, Stefanie

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    1. Ja, genau - ich erfülle nur absolute Sonderwünsche. Hemden kann man auch passend in guter Qualität kaufen, ohne größere Schwierigkeiten, die nähe ich nicht.

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    2. Danke für den tollen ausführlichen Bericht....stelle auch fest, dass jedes Projekt beim Nöhen wieder eine neue Herausforderung iist...bewundere alle Schneider.
      LG schurrmurr
      Die Jacke ist Klasse...sehr schöner Stoff

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  7. Oh ja, Wünsche nach Hosen kürzen überhöre ich regelmäßig, und der Korb mit den zu flickenden Strumpfhosen der Tochter und anderen löcherigen Teilen quillt über! Aber Du sprichst ja hier nicht (ausschließlich) von Änderungen. Ansonsten äußern meine Lieben (zum Glück?) wenig Wünsche, im Gegenteil: Mein Sohn will gar nicht benäht werden, der Mann könnte sich inzwischen vielleicht ein Hemd vorstellen, die Tochter wollte einen Rock, der ihr dann aber nicht gefiel. Schnitte erproben und dann öfter aus unterschiedlichen Materialien nähen finde ich gut! Sehr sympathisch auch, dass dein Mann hier auch selbst kommentiert. lg, Gabi

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