Im vergangenen November passierte mir das, worüber sich wohl jede Bloggerin und jeder Blogger freuen würde: Ein etablierter Verlag zeigte sich an meinen Texten sehr interessiert. Ich bekam eine Mail vom Stuttgarter Frech-Verlag mit der Anfrage, ob ich es mir vorstellen könnte,
„auf einer größeren Plattform im Internet über mein Hobby zu berichten.“
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Kostenlos, aber nicht umsonst |
Ein Anruf beim Verlag machte mich schlauer: Frech, Herausgeber der topp-kreativ-Bücher, plane einen neuen Internetauftritt im Stil eines Online-Magazins mit immer neuen Texten zu allerlei Bastel- und Handarbeitsthemen. Man wolle auch Texte von Bloggern veröffentlichen. Mein Gegenüber war von der Idee einer großen, bunten Webseite, die einmal die Anlaufstelle der deutschsprachigen DIY-Community werden sollte, recht sympathisch begeistert – das gefiel mir. Von einem Honorar war ungefragt auch die Rede, und ich war positiv überrascht, denn in gut fünf Blogjahren hatte ich vor allem die hilflosen Versuche diverser Marketingabteilungen kennengelernt, mit ein paar Komplimenten und dem Verschenken von Billigkram an kostenlose Werbung im Blog, an eine Verlinkung oder an Content heranzukommen.
Ein paar Emails gingen hin- und her, und etwa einen Monat später hatten sich die Umrisse der geplanten Zusammenarbeit herauskristallisiert. Die Vorstellungen meines Ansprechpartners beim Verlag waren konkret: Mindestens vier Artikel im Monat zu unterschiedlichen Handarbeitsthemen sollte ich liefern. Wie es mittlerweile aussah, nicht für ein Blog, denn eine Online-Redaktion würde Beiträge entgegennehmen, bearbeiten und freigeben. Verlinkungen zu anderen Seiten? Die seien nur im Einzelfall möglich, Artikel sollten zum Teil mit dem internen Redaktionsplan abgestimmt werden. Aber egal, so oder so ging es um einen Auftrag für Texte, die innerhalb des PR-Konzepts des Verlags einen bestimmten Zweck erfüllen sollen, und wie der Auftraggeber die Einzelheiten handhaben will, konnte mir ja schnuppe sein.
Aber was hielt der Frech-Verlag nun als Honorar für diese Tätigkeit für angemessen? Darüber hatte sich mein Gesprächspartner bisher ausgeschwiegen. Ich fragte also nach und bekam am 25.11. eine Antwort:
„Zur Honorierung: Neben der Möglichkeit sich einem größeren Publikum als Fachfrau zu präsentieren, bieten wir […] neben exklusiven Einblicken in unseren Verlag (Besuch, Infos zu Büchern etc.), Besuchen auf Branchenmessen, auch gerne monatlich ein Buch für Sie an. Ihre Artikel werden Ihnen zugeordnet. Sie erhalten ein Autorenprofil mit Foto und stehen als Fachfrau im Vordergrund.“
Fassen wir also zusammen: Ruhm und Ehre und die Befriedigung meiner persönlichen Eitelkeit (Fachfrau! ich! mit Foto! im Vordergrund! meine Artikel werden mir! zugeordnet!), ab und an einen Buchhändlerprospekt („Infos zu Büchern“), eine Verlagsführung, falls ich zufällig nach Stuttgart käme, eventuell eine Eintrittskarte für Handarbeitsmessen (auf denen der Frech-Verlag im übrigen als Aussteller präsent ist und daher ein Kartenkontingent haben dürfte), und, ach ja, tatsächlich sogar ein Buch im Monat (Selbstkostenpreis).
Wir unbedarften bloggenden Basteltanten und Bastelmuttis können uns doch glücklich schätzen, wenn wir so unseren Geltungsdrang auf einer größeren Plattform ausleben dürfen, dem Frech-Verlag zu einer zugkräftigen Webseite und guten Geschäften verhelfen, und dafür sogar ab und zu ein Buch geschenkt bekommen!
Aber Ironie beiseite: Mich machte mich die Vorstellung fassungslos, dass mein Gegenüber tatsächlich glaubte, jemand würde kostenlos Zeit, Expertise und Ideen investieren (und bei einer Verpflichtung zu mindestens vier Artikeln mit Fotos im Monat reden wir von etwa zwei vollen Arbeitstagen), um den Internetauftritt des nach eigener Aussage „Marktführers im Bereich kreativer Freizeitbücher“ mit Inhalt zu füllen. Der versuchte, mir etwas geschmeichelte Eitelkeit und Sachmittel aus dem allgemeinen Werbeetat als Honorar zu verkaufen. Und der nicht zuletzt eine Menge Geld sparen wollte, indem er vermeintliche Laienautoren für lau anheuerte.
Meiner Absage folgte zwar innerhalb kürzester Zeit eine lavierend-beschwichtigende Antwortmail, so sei das alles ja nicht gemeint gewesen, das telefonische Angebot eines Honorars stehe und ich solle doch meine Vorstellungen mitteilen. Wenig überraschend, dass mein detailliertes Angebot – deutlich unter dem, was der Deutsche Journalistenverband für PR-Texte im Web als angemessen ansieht, siehe deren Honorarrichtlinien
hier – unbeantwortet blieb. Auf meine Nachfrage Anfang des Jahres hin dann noch ein knapper Zweizeiler – wir bleiben in Kontakt, wir halten Sie auf dem Laufenden.
Seit Anfang April ist nun die neue Webseite des Frech-Verlags unter der Domain
topp-kreativ.de online. Derzeit stammen die Artikel zum größten Teil aus dem eigenen Haus und von einer Hamburger PR-Autorin – für die Zukunft scheint man nach bekanntem Muster auf den Faktor „kostenlos“ zu setzen. Die Nutzerinnen sollen ihre Beiträge einsenden:
„Wenn Dein Artikel erscheint - erscheint er unter Deinem Namen!“, lockt die Webseite. Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen.
Warum nicht lieber gleich ins eigene Blog investieren? Über die Themen schreiben, die einen interessieren, so viel und so oft wie man will, mit Profilbild oder ohne, in einem Umfeld, das man selbst bestimmen kann, im Austausch mit den Leserinnen und Lesern, und vor allem, ohne dass ein Unternehmen die eigene Arbeit zu Geld macht.
Ich bin nämlich durchaus eine Anhängerin der Gratis-Kultur im Internet – aber auch die ist nicht umsonst, sondern beruht auf einem Geben und Nehmen.
Ergänzung 25. 04. 2011:
Interessant auch die Antworten des Verlags auf die Frage des Honorars für Online-Autoren hier in den Kommentaren - "Vorstellungen" kann man ja mal haben.
Ergänzung 26. 04. 2011:
Danke für die überwältigend vielen Kommentare und die zahlreichen Verlinkungen, fürs Weitersagen und Mitdiskutieren.
Mimi von nomimikry hatte sich gleich am 17.4. in die Debatte eingeschaltet und
sich zu Recht gegen den Vorwurf der "Dummheit" gegenüber teilnehmenden Bloggerinnen verwahrt, der hier in den Kommentaren zunächst aufkam. Ich denke es ist dann aber deutlich geworden, dass es nicht darum geht, auf Einzelne mit dem Finger zu zeigen und sich aus falsch verstandener Konkurrenz gegenseitig anzugreifen - "Krabbenkorb-Mentalität" nannte Suschna das Phänomen. Im Gegenteil ist wohl eher mehr konstruktiver Austausch und mehr Vernetzung zwischen uns nötig, neben dem Bewusstsein, dass das Kreative ein großer Markt ist, an dem viele mitverdienen möchten, ohne aber die Ideenlieferanten als gleichwertige Partner zu sehen. Wenn ich in den Kommentaren lese, wie viele von euch die gleiche Anfrage bekommen hatten und gar nicht bzw. nach einem ersten Kontakt nicht mehr darauf eingegangen sind, dann bewundere ich erstens eure Abgeklärtheit, zweitens scheint mir, eine offene Diskussion wäre sogar noch zu einem viel früheren Zeitpunkt sinnvoll gewesen.
Am 17. 4. nahmen
Cat und Kascha,
Lunikat, die
Feenwerkstatt,
Katinka's, das kleine
Sockhaus und Mona/ansteckend anders in
ihrem Wochenrückblick die Geschichte auf. Am 18. 4. erklärte eine der Blogschreiberinnen für topp-kreativ.de, warum sie
die kostenlose Arbeit als Chance für sich sieht. Neben
faserfimmel.de und
Stelladelsud verlinkte am 18. 4. Deef Pirmasens
in der Gefühlskonserve den Artikel und sorgte so wahrscheinlich für die Verbreitung außerhalb der Nähblog-Kreise.
Die Verbeitungswege bei twitter sind für mich als Nicht-Nutzerin größtenteils rätselhaft und unerklärlich, es war aber wohl ein
tweet von @textundblog am Ostersamstag, der x-fach retweetet wurde und hier noch einmal für unglaubliche Zugriffszahlen sorgte. Ich danke und staune noch immer und habe verstanden - ich werde twitternde Bekannte nie wieder mit "wozu ist das gut?"-Fragen nerven. Aufgegriffen wurde dieser Artikel dann noch bei
Ibbtown.com, bei
MAZ-wolldesign.de, bei
rueckspiegel.org, vom
knittinganarchist/My stash and I und im
Wochenrückblick der Mädchenmannschaft.
Ich danke euch allen ganz herzlich - falls ihr hier euren Link vermisst, meldet euch bitte.