Samstag, 30. Juli 2016

Siebenblau: Bio-Stoffe in Berlin


Wer Selbernähen nicht nur als kreatives Hobby betrachtet, sondern als Weg zu einem bewussteren Kleidungskonsum, kommt um Bio-zertifizierte Stoffe nicht herum. Während bei fertiger Kleidung wie bei den meisten anderen Konsumgütern wenigstens die Angabe des Herstellungslandes auf dem Etikett vorgeschrieben ist, erfährt man über die Herkunft der Meterware in herkömmlichen Stoffgeschäften in der Regel gar nichts. Ist es nicht unglaublich, dass man über ein Radieschen aus dem Supermarkt mehr weiß, als über einen Ballen Stoff? Zwar sind die Herstellungswege von Textilien bisweilen kompliziert und weltweit eng verflochten, und es kommt vor, dass die Fasern in dem einen Land angebaut oder hergestellt werden, in dem zweiten zu Garn versponnen, in dem dritten verwebt und in dem vierten nachbehandelt, gefärbt und bedruckt, aber bei Eiern oder Schnitzeln gibt es ja auch Regelungen - lückenhafte Regelungen, aber immerhin Regelungen - wie der Konsument über Aufzuchtorte und -bedingungen zu informieren ist.

Stoffläden, die Bio-Stoffe anbieten, und vor allem nicht nur bunt bedruckte Jerseys, sondern zeitlose Stoffe und Standardqualitäten, sind gar nicht so häufig. In Berlin hat sich Siebenblau in der Pappelallee auf solche Stoffe spezialisiert. Die Stoffe sind sämtlich nach GOTS, dem Global Organic Textile Standard zertifiziert, das ist ein Standard, der nicht nur nur das Einhalten von Umweltschutzrichtlinien bei der Herstellung erfordert, sondern auch faire Arbeitsbedingungen für die beteiligten TextilarbeiterInnen.

Siebenblau ist ein auf den ersten Blick eher kleiner Laden, der aber bis zur Decke mit Stoffen vollgestopft ist. Die Vielfalt erkennt man erst auf den zweiten Blick, vor allem weil die Stoffe zu einem großen Teil ungemustert sind. Bei Siebenblau gibt es aber so eine breite Auswahl an Materialien und Webarten, dazu noch vorbildlich beschriftet hinsichtlich der Materialzusammensetzung, wie ich es in noch keinem Stoffladen in Berlin gefunden habe. Wo gibt es sonst schon Strickstoffe aus Hanf und Leinen oder Stoffqualitäten wie Oxford oder Kreuzköper? Um von dem Angebot im Laden nicht überwältigt zu werden, empfiehlt sich vorab ein Blick in den Onlineshop, dann lässt sich im Geschäft gezielter schauen.

Neben Stoffen, Garn und einigen Bändern der Bandweberei Kafka gibt es auch Bio-Stoffmalfarbe im Gläschen, Sets zum Färben mit Naturfarben und einige Papierschnittmuster von Minikrea, named patterns aus Finnland und Vogue


Ich habe mir nach einigem Überlegen ein Stück leichten, dunkelblauen Denim gegönnt. Die Preise für die meisten Bio-Stoffe liegen in Regionen, dass mir ein Teil für die Tonne schon ziemlich wehtun würde. Zwar habe ich wirkliche Totalkatastrophen beim Nähen schon lange nicht mehr gehabt, aber dieser teure Stoff setzt mich doch ein wenig unter Druck, ich werde ihn nicht ohne Probeteil aus günstigerem Stoff anschneiden. Konsequent nachhaltig ist das natürlich nicht, ich habe da noch einen weiten Weg vor mir zwischen Kleiudngswünschen und -anforderungen einerseits, Stoffpreisen und überhaupt der Möglichkeit, Bio-Stoff zu finden andererseits. Und der Spaß am Nähen soll ja nicht auf der Strecke bleiben, schließlich ist Nähen mein Hobby. Aber jeder Schritt zählt. 

Siebenblau
Pappelallee 86, 10437 Berlin

U-Bahnhof Eberswalder Str. (U2)

Mo-Fr 11-19.00 Uhr, Sa 11-16.00 Uhr
(Achtung: vom 1. 8. bis 10. 8. Betriebsferien, der Laden ist in dieser Zeit geschlossen)
www.siebenblau.de

Mittwoch, 27. Juli 2016

MeMadeMittwoch - Sonderedition: Koffer packen. Ein einfach genähtes Oberteil aus Viskosejersey


Der letzte Me made Mittwoch vor der Sommerpause ist traditionell der Urlaubsgarderobe gewidmet. Ich habe mangels Urlaub im Moment keinen gut gefüllten Koffer vorzuweisen, aber ich habe das Problem der kurzärmeligen, luftigen Oberteile zumindest teilweise gelöst. Einen guten Schnitt für kurzärmelige Webstoffoberteile suche ich noch, aber meinen Restbestand an Viskosejerseys werde ich zu Nummer 125 aus Burdastyle 8/2016, ein T-Shirt mit überschnittenen Schultern und einer Art angeschnittener Schluppe verarbeiten.

Vor ein paar Jahren waren solche Jerseys omnipräsent auf dem Markt, ich hatte einige gekauft, und erst später gemerkt, dass ich Viskosejerseys nicht besonders gerne anziehe: Wenn es wirklich warm ist, finde ich sie zu warm, dicht und schwer, in der kälteren Jahreshälfte sind sie für meinen Geschmack zu dünn und substanzlos. 


Zu dem Schnitt aus der Augustburda passen die flutschigen, fließenden Jerseys aber sehr gut und das Oberteil ist auch noch sehr schnell genäht - man könnte ohne weiteres noch drei bis fünf Stück in der Nacht vor der Abreise runterrattern.

Das Säumen der angeschnittenen Bänder und des vorderen Ausschnitts ist die größte Herausforderung. Mit der Zwillingsnadel traktiere ich mein Nerven nicht mehr (ich sage nur: kilometerlange Probenähte und beim eigentlichen Saum funktioniert dann nichts...), eine Coverlock habe ich nicht, abgesehen davon, dass gecoverte Säume an der Stelle möglicherweise sowieso zu knubbelig wären. Ich mache also etwas vollkommen Verbotenes: Ich klebe die Säume vor, bevor ich sie mit Elastikstich nähe.


Ich verwende einen ganz normalen Klebestift aus dem Bürobedarf - die meisten Marken sind bei 30° oder im kalten Wasser auswaschbar. Die Nahtzugabe schneide ich erstmal nicht zurück, es näht sich besser, wenn das Füßchen über doppelten Stoff gleitet. Stattdessen klebe ich die Nahtzugabe fest, der Rand wird dadurch stabilisiert und dehnt sich beim Nähen nicht aus.


Die Säume nähe ich in etwa 5 mm Breite fest, mit einem schmalen Elastikstich, der wie ein Blitz aussieht. Ein schmal eingestellter Zickzackstich geht genauso gut. Anschließend schneide ich die Nahtzugabe bis an die Stiche zurück - dazu muss man das Geklebte stellenweise wieder abpulen. Das Oberteil ziehe ich dann mit dem Kleber im Saum auch gleich an. Der Saum ist etwas härter als der Rest, das stört beim Tragen nicht und wäscht sich dann nach und nach heraus. Die fertig genähten Oberteile können von der Maschine also gleich in den Koffer wandern.


Bei dem sehr dehnbaren Viskosejersey empfiehlt es sich auch, die Schulternähte und den hinteren Halsausschnitt mit einem eingenhten Band oder einem Streifen Einlage zu stabilisieren. Ich hatte im hinteren Ausschnitt zuerst keine Verstärkung und habe dann in das fertige Oberteil noch einen Streifen Einlage hineinoperiert, weil der relative schwere Knoten vorne das ganze Oberteil nach vorne zieht und der Auschnitt beim Tragen ausleierte - schulterfrei ist der Schnitt ja nicht gedacht. Das T-Shirt hat trotzdem eine gewisse Tendenz zur Formlosigkeit, aber für ein lockeres Sommeroberteil finde ich das in Ordnung.

Ergänzt: Der Schnitt funktioniert auch mit dünnem Webstoff, sagt die Burda-Community, siehe hier und hier.


Die Bilder entstanden am Wochenende in Königswusterhausen - zum Jerseyoberteil trage ich einen (verknitterten) Leinen-Baumwoll-Rock (Nr. 106, Burdastyle 5/2012, genäht 2013).

Später werde ich mal schauen, ob ich in den Urlaubskoffern des MeMadeMittwochs heute doch noch einen Schnitt für Webstoffoberteile finde.

Schnittdetails kurzgefasst:
Schnitt: 125 aus Burdastyle 8/2016 
Material: dünner Viskosejersey
Größe 38, unterhalb der Brustlinie etwas enger genäht, Bund unten weggelassen
Schulternähte mit eingenähtem Band verstärkt, hinteren Halsausschnitt mit einem schmalen Streifen Bügeleinlage stabilisiert

Samstag, 23. Juli 2016

Die Nähmaschinen der Zukunft?

Ich bin ja keine große Gadget- und Nähzubehörkäuferin, aber ein bißchen enttäuscht bin ich meistens doch, wenn ich Nähmaschinenprospekte durchblättere. Echte Innovationen gibt es bei den neuen Maschinen nicht, so mein Eindruck, es geht im Wesentlichen darum, das Nähen durch noch mehr Sensoren und noch mehr elektronisch gesteuerte Voreinstellungen komfortabler zu machen und eine noch größere Auswahl von Zierstichen bereitzustellen. Die Maschinen werden tendenziell immer größer und bekommen neuerdings oft einen Touchscreen zur Bedienung, ansonsten hat sich in Sachen Nähmaschinentechnologie in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert.

Nur Spiegel Sewing und Toyota schlagen andere und jeweils ganz unterschiedliche Wege ein, und ich frage mich, ob einer von beiden wohl die Zukunft der Haushaltsnähmaschinen ist.

Screenshot: Spiegel Sewing
Spiegel - von der Marke hatte ich vorher noch nie gehört - ist quasi sowas wie der amerikanische Quelle-Versand. Zum 150jährigen Firmenjubiläum brachte Spiegel eine Nähmaschine heraus, die die Revolution des Nähens einleiten soll, eine Nähmaschine, die sich ins heimische WLAN einklinken kann.

Mit der so genannten "Stitch Cam", einer integrierten, auf den Nähfuß gerichteten Kamera, kann man das Nähen filmen (mit Ton!) und die Videos direkt in sozialen Netzwerken einstellen. Ein Beispiel für so einen Nähfilm einer Nutzerin findet sich hier bei Instagram - wie zu erwarten ist das nicht sonderlich aufregend, aber Spiegel hat auch noch eine App in petto. Mit dieser App lassen sich Videotutorials zu den Funktionen der Maschine oder zu bestimmten Nähtechniken anschauen, im Appstore "Premiumstiche" für die Maschine erwerben (zusätzlich zu den 350 Stichmustern, die sie schon besitzt), und laut Werbefilm auch Schnittmuster, Stoffe und Nähzubehör über die Spiegel-Webseite. Was einen da genau erwartet, bleibt etwas nebulös, weil diese Angebote ohne die App offenbar nicht zugänglich sind, zumindest konnte ich im Spiegel-Shop nichts finden. Das Prinzip ist aber klar: Es wird der Nähmaschinenbesitzerin möglichst einfach gemacht, bei Spiegel auch noch alles andere zu kaufen, das man zum Nähen benötigt. Die Nähmaschine selbst kostet 296 $ und macht auf Bildern einen verhältnismäßig soliden Eindruck, zum Beispiel hier im Auspack-Video einer Nutzerin.

Ich muss ja zugeben, dass ich die Maschine mit diesen goldfarbenen Leisten furchtbar hässlich finde und die App für mich überhaupt kein Grund wäre, eine Nähmaschine zu kaufen - aber ich kann mir vorstellen, dass das Konzept seine Anhängerinnen finden wird. Das Versprechen, dass Schritt für Schritt ganz genau im Film gezeigt wird, wie die Maschine zu bedienen ist, spricht wenig  wagemutige Neu-Näherinnen bestimmt an. Viele sind davon genervt, Schnitte und Stoffe und Kurzwaren selbst zusammenstellen zu müssen und wollen vor allem die Sicherheit, dass alles zueinander passt und sie keine Fehler begehen. Die App vermittelt das Gefühl, dass nichts schiefgehen kann, schätze ich. 

Die zweite Nähmaschine abseits des Üblichen kommt von Toyota, die bei uns bisher ja eher für günstige und in jeder Hinsicht durchschnittliche Nähmaschinen bekannt sind.


Screenshot: Oekaki Renaissance


Die Nähmaschine Oekaki Renaissance fällt zuerst natürlich mit ihrem schnittigen Design aus dem üblichen weißen Nähmaschineneinerlei heraus: Es gibt sie in rot, schwarz oder grün-grau ("Salbei"). Ihre technischen Eigenschaften entsprechen denen der meisten mittelpreisigen Maschinen, das Nähen wird elektronisch gesteuert, es gibt 50 verschiedene Stiche, darunter drei Knopflöcher und ansonsten recht wenig Schnickschnack.

Das Besondere ist die so genannte "Oekaki-Funktion", ein eingebauter Freihand-Stickmodus. Wie man es vom Freihandsticken kennt, wird der Transporteur versenkt und der Stoff frei in alle Richtungen bewegt. Zusätzlich verändert sich in diesem Modus die Stichbreite, je nachdem, wie stark man auf das Fußpedal tritt. Die Maschine wird dann nicht schneller, sondern der Zickzackstich breiter, den sie näht. Hier in diesem kurzen Film lässt sich erahnen, dass es aber einige Übung braucht, ehe man damit schöne, schwungvolle Schriftzüge fabriziert. In der ganz neu eingerichteten Werkgalerie auf der Oekaki-Webseite finden sich schon sehr schöne frei gestickte Beispiele - aber ich habe den Eindruck, dass die Spezialfunktion des Fußpedals dabei gar nicht so offensichtlich eingesetzt wurde, sprich: Mit Geduld und Können und einem Stickfuß könnte man das alles vermutlich auch auf jeder anderen Maschine sticken.

Trotzdem finde ich die Maschine schon aufgrund des Designs sehr reizvoll - ich mag die Form und ich könnte mich kaum für eine Farbe entscheiden, hätte ich die Wahl. Für das, was sie technisch zu bieten hat, erscheint sie mir aber verhältnismäßig teuer (bei uns kostet sie um die 550€). Eine Revolution des Nähens ist die Nähmaschine von Toyota sicherlich nicht, aber ich wundere mich, dass sie die ersten sind, die in Sachen Nähmaschinendesign die ausgetretenen Pfade verlassen haben.

Ist die Zukunft der Nähmaschine bunt und außergewöhnlich? Oder werden wir bald alle irgendwelche Apps nutzen, die uns die Hersteller unserer Nähmaschine zur Verfügung stellen und die uns beim Nähen an die Hand nehmen? Oder noch ganz etwas anderes?

Donnerstag, 14. Juli 2016

Vom preußischen Gardemaß zu 90-60-90: "Uni-Form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß" - eine Ausstellung in Potsdam


Der Ursprung der Konfektionsgrößen, wie wir sie kennen, liegt beim preußischen Militär. Bereits im 18. Jahrhundert erstellte man dort drei standardisierte Schnittmustersätze für Uniformröcke, um die unteren Dienstgrade einzukleiden. So eine originale Uniform aus grobem Wolltuch - für einen für heutige Verhältnisse sehr kleinen und schmächtigen Soldaten - zeigt die Ausstellung "Uni-Form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß" noch bis zum 24. Juli im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. Die Entwicklung der Konfektionsgrößen vom Militär, über die zunächst firmenspezifischen Größensysteme der ersten Konfektionsbetriebe bis hin zu den modernen Reihenmessungen, zeichnet die kleine Ausstellung nach.

Selbernäherinnen werden wie ich viele Exponate mit einem wissenden Nicken begrüßen: Wir kennen aus alten Burdas und Pramos die unterschiedlichen Größensysteme in Ost und West, wir kennen die an den eigenen Körper anzupassende Schneiderbüste aus Drahtgeflecht und die immer nur halbwegs funktionierenden Systeme wie den Frohne Schnittzeichner, mit denen kleine Schnittschemata für die individuellen Körpermaße vergrößert werden sollten.


Neben dem Messen und Standardisieren werden weitere Aspekte der industriellen Bekleidungsproduktion angerissen: Die Willkürlichkeit der Größen, der Wandel des idealen Körpers im Verlauf der Zeit, das Absenken der Verarbeitungsstandards, die Notwendigkeit, dass sich ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie in die industriellen Abläufe einfügen müssen, damit der Laden läuft. Da es sich um eine kleine Ausstellung handelt, werden diese Themen eher assoziativ angegangen, aber die Exponate fand ich gut ausgewählt. So hängt dort zum Beispiel eine Reihe Jacken, die man anfassen und begutachten darf: Eine günstiges Teil von Zara, ein individuell angefertiger Blazer einer Potsdamer Schneiderin, und, für mich besonders interessant, ein Frack und ein Gehrock von 1910 respektive 1915.Was für feste, robuste Stoffe als Außenstoff und Futter verarbeitet wurden! Wie schwer diese Jacken sind, dank mehrerer Einlageschichten - Stücke fürs Leben. Ich hatte sowas noch nie in der Hand gehabt, und freute mich sehr über die Gelegenheit, die Verarbeitung inspizieren zu können und das Gewicht der Materialien direkt spüren zu können,

Sehr spannend fand ich auch die Ausschnitte aus einer Langzeitdokumentation über den VEB für Obertrikotagen "Ernst Lück" in Wittstock/Dosse von Volker Koepp. Der Filmemacher hatte drei Textilarbeiterinnen seit der Eröfffnung des VEBs 1974 bei der Arbeit und in der Freizeit mit der Kamera begleitet, der letzte Film des Wittstock-Zyklus entstand in den 1990er Jahren. Alle sieben Teile kann man sich hier auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung ansehen - ein faszinierender Blick in ein Land, das es nicht mehr gibt und in eine Vergangenheit, die ich größenteils nicht bewusst erlebt habe.


Die in die Ausstellung eingestreuten modernen Kunstwerke, die sich mit dem Thema der Standardisierung von Körpern aus einem anderen Blickwinkel auseinandersetzen, gingen in dem schummrig abgedunkelten Raum - damit die historischen Textilien und Papiere nicht leiden - etwas unter, vielleicht ist es zu viel, auf so kleiner Fläche auch noch eine zweite Perspektive einbringen zu wollen. Aber das ist Gemecker auf hohem Niveau.

In erster Linie freut es mich, dass das Thema Kleidergrößen in dieser Ausstellung für die Allgemeinheit verständlich und dabei unterhaltsam aufbereitet und entmystifiziert wird. Für Menschen, die sich ihre Kleidung nicht selber nähen und sich daher noch nie bewusst mit Maßtabellen auseinandergesetzt haben, wird die Ausstellung sicher viele Aha-Erlebnisse bereithalten. Wenn sich dadurch das Bewusstsein verbreitet, dass unser heutiges Size-Zero-Ideal keine naturgegebene Konstante darstellt, hat sich diese Ausstellung schon gelohnt.   

Uni-Form? Körper, Arbeit und Mode nach Maß.

Ausstellung noch bis 24. 7.
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Am neuen Markt 9, 14467 Potsdam

Geöffnet Di-Do 10-17.00, Fr-So 10-18.00 Uhr

Mittwoch, 6. Juli 2016

Vermischte Näh-Nachrichten

Paste-up, Bouchéstraße, Alt-Treptow
Heute mal eine kleine Wasserstandsmeldung von mir, ich bin nicht verschollen, ich nähe und stricke immer noch und habe mir durch selbst gesetzte Fristen und Termine (beruflich) ein bißchen Druck gemacht - sowas verhindert immer recht erfolgreich das fröhliche Herumbloggen bei mir.

Fußball-Versuchsanordnung aus Neukölln

Ein nicht unerheblicher Teil meiner Freizeit ging zur Zeit der sich überschlagenden Nachrichten in Sachen Brexit auch mit dem Lesen von Nachrichtenseiten und Kommentaren drauf. Meine Filterblase aus britischen Strickdesignerinnen, Textilkünstlerinnen und Kunsthistorikerinnen, die ich bei twitter verfolge, hatte mich vorher nicht eine Minute glauben lassen, eine Mehrheit werde sich für die Trennung von Europa aussprechen, und die Meinungsumfragen und die Quoten der Londoner Buchmacher (die ja angeblich zuverlässiger als jedes Meinungsforschungsinstitut den Ausgang von Wahlen prognostizieren können) wiesen auch in diese Richtung. Der Ausgang des Referendums überraschte und bekümmerte mich mehr, als ich vorher gedacht hatte, und ich verbrachte zwei Tage mit dem Versuch zu verstehen, was da vor sich ging. Über die selektive Wahrnehmung durch Filterblasen habe ich in diesem Zusammenhang viel gelernt, über die der anderen, aber genauso über meine eigene. Das war in mehrfacher Hinsicht lehrreich.

Außerdem kannn ich mich wie jedes Mal dem Sog der Fußball-Europameisterschaft nicht ganz entziehen, auch wenn ich vorher immer denke, es werde mich ganz sicher nicht interessieren. Das KO-System und das Konstrukt, dort würden Länder gegeneinander spielen, erzeugt dann aber sogar für mich Spannung, und außerdem lässt sich beim Fußballgucken hervorragend stricken.


Die vor längerer Zeit angefangene Jacke aus Drops Merino mit Streifen aus Drops Kid Silk ist bis auf die Knopfleiste fertig. Jetzt kommt die Herausforderung, in der Knopfsammlung fünf oder sechs gleiche und zur Jacke passende Knöpfe zu finden.


Das aktuelle Nähprojekt - 106 aus Burdastyle 4/2016 - macht mir weniger Freude: Ich wollte eine lockere, leichte Hose, quasi eine Pyjamahose für draußen haben, und schnitt einen dünnen, sehr fließend-flutschigen Viskosestoff vom letzten Jahr an. Die etwa 5 cm lange Probenaht auf einem Rest fiel befriedigendend aus, also nähte ich die vier Beinnähte - mit französischen Nähten, sonst macht das Trennen ja keinen Spaß. Denn leider fallen die Nähte gar nicht schön, auf der langen Strecke macht sich ein Zug auf der Naht bemerkbar, die fast unmerkliche Kräuselung lässt sich nicht wegbügeln, und so muss ich in der nächsten Zeit versuchen, alles aufzutrennen, ohne den Stoff zu zerstören. Bei erheblich reduzierter Fadenspannung ist der Zug nämlich nicht da, es gibt also Hoffnung.

Regina Relang für "Constanze" aus Paris, 1953

Einige interessante Veranstaltungen und Ausstellungen gibt es zur Zeit auch:

  • In Oberhausen läuft bis zum 22. September eine Ausstellung von Fotografien Regina Relangs. Regina Relang begann in den 1930er jahren als Reportagefotografin auf Reisen und war von den 1950er bis in die 1970er Jahre die erfolgreichste deutsche Modefotografin. Die Bilder in alten "Constanze"-Modeheften stammten zu einem großen Teil von ihr - die Inszenierung der Modelle in lebensechten Situationen auf der Straße oder in Cafés war ihre Spezialität. (Und nochmal vielen Dank für die Hefte in Richtung Süden! Ich freue mich sehr darüber.)
  • Über das Bügeln beim Nähen hatten wir uns hier vor ein paar Wochen unterhalten. Frau Nähkästchen hat sich des Themas angenommen und schreibt eine Serie dazu: Teil 1 über die Ausrüstung fürs Bügeln, Teil 2 über allgemeine Bügel-Tipps und Teil 3 über das Bügeln beim Einsetzen von Ärmeln ist schon erschienen. Besonders den dritten Teil müsst ihr euch unbedingt ansehen - dort zeigt Teresa in einem Video, wie der Ärmel einer Bluse "gezogen", also etwas eingehalten und das Eingehaltene eingebügelt wird. Ich habe das noch nie gesehen, und wie ich den eingenähten Ärmel dann bügeln soll, wusste ich auch nicht. Die sehr allgemeinen Kapitel übers Bügeln in den Hobby-Nähbüchern beantworten diese Fragen überhaupt nicht. Ich freue mich schon auf die weiteren Teile der Serie.