Donnerstag, 21. November 2019

Berlin Hausvogteiplatz - Über 100 Jahre am Laufsteg der Mode


Verfolgt man heute die hilflosen Versuche des Berliner Stadtmarketings, Berlin als "Modestadt" zu etablieren und der Berlin Fashion Week zu einer Bedeutung zu verhelfen, die der Pariser oder Londoner Modewoche gleichkommt, kann man sich kaum vorstellen, dass Berlin in Sachen Mode vor etwa hundert Jahren tatsächlich in einem Atemzug mit Paris genannt wurde. In Berlin entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die modische Konfektion, die Kleidung von der Stange, wie wir sie heute kennen. Vor einem Jahr hatte ich anlässlich einer Ausstellung über die zerstörten Konfektionsbetriebe rund um den Hausvogteiplatz schon einmal über die Berliner Modeindustrie geschrieben.

Schon vor einem Jahr war Suschna - Textile Geschichten - mit der Recherche für das jetzt erschienene Buch beschäftigt: "Berlin Hausvogteiplatz. Über 100 Jahre am Laufsteg der Mode" von Brunhilde Dähn, die Neuausgabe eines Buches von 1968, das seit Jahren vergriffen war. Die Journalistin Brunhilde Dähn erzählt darin die Geschichte der Berliner Konfektion von den Anfängen mit Damenmänteln Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Wirtschaftskrise der späten 1920er Jahre.


Ihr Buch ist heute immer noch unterhaltsam und interessant. Dähn zitiert aus vielen verschiedenen Quellen, auch aus Romanen, die heute zum Teil nur noch schwer oder gar nicht aufzufinden sind. Mit vielen Anekdoten wird so die versunkene Welt der Konfektionsbetriebe und der Menschen, die in ihnen arbeiteten, lebendig.

Anders als man sich das heute vielleicht vorstellt, waren die meisten Firmen, die rund um den Hausvogteiplatz tätig waren, keine Kleiderfabriken - in den Zentralen wurde lediglich entworfen, zugeschnitten und die fertige Ware en gros verkauft. Die Produktion erfolgte in kleinen Werkstätten oder in Heimarbeit in den östlichen Stadtbezirken, in Friedrichshain und Prenzlauer Berg.  Die zugeschnittenen Stücke verfrachtete man samt abgezähltem Zubehör und Kurzwaren zu den Nähwerkstätten und erhielt die fertig genähten Teile zurück. In den Firmenräumen an der Hausvogtei wurden sie den Einkäufern aus aller Welt vorgeführt.


Der Welt der "Probierdamen", wie die Mannequins damals genannt wurden, widmet Brunhilde Dähn ein ganzes Kapitel, Suschna hat hier gerade erst im Blog etwas mehr über die "Gelbsterne", die Faruen mit den Idealmaßen geschrieben. Der neu entstandene Beruf des Mannequins galt zwar als etwas anrüchig, war aber auch verlockend: Bei vielen Modehäusern durften die Mannequins Kleider und Mäntel ausleihen und in ihrer Freizeit tragen, wenn sie gesellschaftliche Ereignisse wie Pferderennen, Theaterpremieren und Bälle besuchten, zu denen sie oft eingeladen wurden.
Aber auch als Telefonistin und Kontoristin, Sekretärin und Buchhalterin waren Frauen in der Berliner Konfektion beschäftigt - und diese jungen, gut ausgebildeten, finanziell unabhängigen Frauen bildeten auch die Kundinnen der Konfektion, vor allem für sie wurde hier Mode gemacht.

Man erfährt bei Brunhilde Dähn viel über die tonangebenden Modehäuser der Zeit und ihre Gründerinnen und Gründer, über die Organisation der Arbeit in den Konfektionsbetrieben, über frühe Influencerinnen und Werbung, über die Kaufhäuser und nicht zuletzt über das Berliner Nachtleben. Da Brunhilde Dähn die erste war, die die Geschichte der Berliner Modeindustrie aufzeichnete, ist nicht alles, was sie erzählt, hundertprozentig korrekt - darum hat das Buch ein neues Nachwort bekommen, das die größten Fehler geraderückt.

Die Neuausgabe von "Berlin Hausvogteiplatz" mit neuem Layout gibt es in jeder Buchhandlung und natürlich direkt über Susanne: Hier sind alle Informationen zum Buch noch einmal zusammengefasst und hier und hier gibt es im Blog einen Einblick ins Buch.

Auf der Messe BuchBerlin


Am nächsten Wochenende, 23./24.11. kann man in diesem und in allen anderen unseren Büchern blättern und mit uns ins Gespräch kommen: Bei der Berliner Buchmesse BuchBerlin im Mercure Hotel MOA Berlin (U Birkenstraße) - wir haben einen Stand in Ausstellungsbereich 2, D4. Vielleicht bis dahin? Ich würde mich freuen!



Mittwoch, 6. November 2019

Fast wie von Vivienne Westwood: Der "Trendschnitt" aus Burdastyle 10/2019

Mir passiert es selten, dass ich ein Schnittmuster sehe und denke: Das will ich unbedingt haben. In der letzten Zeit passierte mir das eigentlich gar nicht mehr (war ich früher begeisterungsfähiger?) - aber als ich vor einigen Wochen das gerade angekommene Burdaheft Oktober durchblätterte und auf Seite 72 anlangte war es wieder da, dieses Gefühl: das muss ich nähen.



Schnitt 120, "der Trendschnitt" für einen asymmetrischen Rock, war auf den ersten Blick nicht zu entschlüsseln, auch wenn die technische Zeichnung und der Karostoff des Modells einige Hinweise auf den Nahtverlauf gaben. Ich mag ja sowas! Noch ehe ich das Heft zugeschlagen hatte, ging ich schon im Kopf meinen Stoffvorrat durch. Bei den veranschlagten 2,65 Metern gab es nicht viel Auswahl (ich kaufe auf Verdacht selten mehr als 2 Meter). Am liebsten wären mir Nadelstreifen oder Schottenkaro gewesen, aber beides hatte ich nicht in ausreichender Menge. Schottenkaro, weil mich der Burdaschnitt sehr an die asymmetrischen Karoröcke von Vivienne Westwood aus der schon etwas älteren "Anglomania"-Kollektion erinnerten, zum Beispiel an diesen hier oder an diesen. An diesen Röcken hatte ich vor drei, vier Jahren ewig herumrecherchiert, im Netz nach Bildern von hinten und von der Seite gesucht, um der Konstruktion auf die Schliche zu kommen. Eines der vielen Projekte, die nach so viel Zeit für die Vorbereitung als zu kompliziert erscheinen und dadurch nie umgesetzt werden.




Der schwarze Baumwollstoff mit aufgedrucktem Ikatmuster war dann fast der einzige im Lager, der in Frage kam. Der Stoff ist eine wirklich gut gemachte Ikat-Imitation, das weiße, wie gewebt wirkende Muster ist mit verschiedenen Grau- und Weißtönen gedruckt und hat einen ziemlich großen Rapport. Der Stoff ist mittelfest und nicht allzu steif, auf der Vorderseite ist er ganz leicht angerauht (oder nach dem Waschen ganz leicht aufgerauht?), nur die helle Rückseite stört etwas, oder zumindest machte sie es für mich schwer, mir wirklich ein Kleidungsstück daraus vorzustellen.



Beim Zuschneiden habe ich dann nur auf den Fadenlauf der Schnittteile, aber nicht großartig auf die Karoplatzierung geachtet. Nachdem ich die Monsterschnittteile unter großem Papiereinsatz endlich herauskopiert und mehrfach zusammengeklebt hatte, war mir die Konstruktion des Rockes immer noch nicht richtig klar, daher wusste ich nicht, worauf ich beim Zuschneiden hätte achten sollen. Da Nähte mit ganz unterschiedlichen Winkeln aufeinandertreffen, ist es auch nicht wirklich möglich, die Karos irgendwo schön zusammenlaufen zu lassen.

Bund von innen: Der Knopf (vorne, Bildmitte) wird in das Knopfloch hinten links geknöpft (bei dem Muster sind die Fotos leider nicht sehr erhellend)
 Das Nähen war dann so weit doch ganz unkompliziert: Ich fügte einfach stur nach Anleitung die Teile zusammen und ließ mich vom Ergebnis überraschen.  Der Rock ist wie ein Wickelrock konstruiert, die unteen liegende Falte wird von innen in den Bund geknöpft, die oben liegende Falte wird durch das Bindeband gehalten. In den Teilungsnähten vorne und hinten ist jeweils auf halber Höhe eine gelegte Falte, die die Ballonform erzeugt, und in der linken Seitennaht ist sogar eine Tasche!


Der Rock hat sich durch die moderate Länge, die moderate Weite und die praktische Tasche als sehr alltagstauglich erwiesen: Da ist nirgends zu viel oder zu wenig Stoff - sehr weite und lange Kleidungsstücke können ja genauso nerven wie sehr kurze und enge. Die Oberteile dazu sollten genau bis zur Taille gehen, längeres verknäult sich mit den Bindebändern. Und ein bisschen sieht er doch wirklich nach Vivienne Westwood aus, nicht wahr?


Zusammenfassung
Schnitt: 120 aus Burdastyle 10/2019, keine Änderungen
Stoff: mittelfeste gewebte Baumwolle, schwarz-weiß bedruckt - gut 2,50 Meter/1,40 breit
Beleg innen mit Gewebeeinlage verstärkt
Pullover: Im Dezember ohne Anleitung gestrickt, mehr dazu hier. 


Viele weitere selbstgenähte Kleidung an echten Menschen heute (wie immer jeden ersten Mittwoch im Monat) beim me MadeMittwoch!