Ein Lebenszeichen aus der Sofaecke - fast unvorstellbar, dass es in diesem Haushalt mal eine Zeit ohne Husten, Schniefen, Röcheln gab. Ab Montag wird aber tapfer am Schreibtisch weitergehustet. Es ist noch nicht ganz, ganz gut, aber erträglich, und ich habe einiges aufzuholen. In nicht ganz 14 Tagen wollte ich meinem Professor etwas vorweisen, das mehr oder weniger einer fertigen Arbeit ähnelt. Denken wir lieber nicht daran, jedenfalls nicht jetzt!
In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich vor allem mit Näh-Ersatzhandlungen - tatsächliches Nähen wäre die meiste Zeit viel zu anstrengend gewesen. Ich blätterte ca. 1000 Hefte BurdaPramoOttobre durch, auf der Suche nach einem simplen Schnitt für ein schmales Jerseykleid mit langen Ärmeln, gerne mit etwas hochgesetzter Taille. Unnötig zu erwähnen, dass ich nichts dergleichen fand, dafür aber hundert andere Schnitte, die es auch wert wären, genäht zu werden. Ich dachte über Nähen nach Plan nach - sollte ich die potentielle Blamage in Kauf nehmen und für das Frühjahr hier auch einmal öffentlich Outfit- und Nähplanung betreiben? In anderen Blogs lese ich solche Posts sehr gerne, und natürlich führe ich für mich eine Liste, welche Schnitte und welche Teile ich in nächster Zeit herstellen möchte. Was die Umsetzung meiner Liste betrifft, befinde ich mich aber in guter Gesellschaft mit Oh-Mimmi: wie sie
anlässlich ihres Januarkleids feststellte, kommt es oft anders, aus diesen oder jenen wichtigen Gründen, weswegen es sich empfiehlt, immer nur schön nebulös über Nähpläne zu schreiben.
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Burda 130 auf Heft 8/2005 ("Junge Avantgarde") von vorne... |
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... und von hinten |
Mit fast übermenschlicher Anstrengung - der Futtersaum und 4 Knopflöcher standen noch aus - ist dieser Tage aber doch auch etwas fertig geworden: ein Rock nach Schnitt 130 aus Burda 8/2005 aus der damaligen Rubrik "Junge Avantgarde". Mit diesem Schnittmuster verbindet mich eine längere Geschichte. Dieses Burda-Heft hatte ich nämlich im August 2005 im Zeitschriftenladen durchgeblättert, diesen Schnitt gesehen, für gut befunden, und das Heft aus Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, dann doch nicht gekauft, was ich ein paar Monate später zum ersten Mal bedauerte, als ich einen Rock 130 irgendwo im Netz sah. Damit hätte die Geschichte erledigt sein können, hätte ich nicht im letzten Jahr einen Stapel Burda-Anleitungsteile mit Schnittbögen geschenkt bekommen, darunter auch 8/2005. Und sobald ich dieses Heft aufblätterte und die Schnittzeichnung sah, war auch die Erinnerung wieder da.
Die Rock-Konstruktion ist wirklich außergewöhnlich, fast würde ich sagen: unvergesslich. Der Rock besteht aus vier vollkommen unterschiedlichen Teilen, die vier Nähte laufen schräg um den Körper herum. Aus nur 1,50 m Stoff (ich hatte sogar nur 1,20 m) entsteht so ein Rock mit fast 2, 30 m Saumweite. Anne vom Anneblog zeigte diesen Rock letztes Jahr
hier und
hier - damit rutschte das Modell auf der Näh-Dringlichkeitsstufe noch weiter nach oben.
Der Rock wird hinten rechts mit einem geknöpften Schlitz verschlossen. Auf diesen Bildern sieht man auch deutlicher den Außenstoff: eine schwer fallende Viskosemischung mit einem kleinen, eingewebten Muster, ungefähr wie ein Herrenanzugstoff. Der Anblick meiner Knopflöcher von innen ist hingegen deprimierend und bestärkt mich, dass ich auf lange Sicht einfach eine bessere Nähmaschine brauche, ja wirklich, brauche. Ich kann mich nicht ewig mit diesen schraddeligen Wäscheknopflöchern abfinden, die meine Maschine produziert. Weiterer Grund zum Meckern: der Futterstoff, ich glaube es handelt sich um vor Ewigkeiten bei
Nietzel bestelltes Acetatfutter, ist so dünn, dass man die aufgebügelte Einlage durchsieht. Da hätte ich wohl besser einen anderen genommen.
Den Saum habe ich mit einer Saumspitze festgenäht, eine gute Idee, die ich vor einiger Zeit in einem Nähbuch aus den 70er Jahren fand. Bei schmalen Säumen an glockigen Teilen hat man ja öfter das Problem, dass ein doppelt eingeschlagener Saum viel zu sperrig wäre und den Fall des Rockes ungüstig beeinflussen würde. Ein einfach eingeschlagener Saum ist aber nicht sonderlich ansehnlich - man kann die Kante mit Zickzack versäubern oder overlocken, aber schön ist das nicht gerade.
Für die Saumverarbeitung mit Spitze nimmt man eine schmale Borte und setzt sie von rechts an die Rockkante an. Dann schlägt man den Saum um, bügelt ihn - die Spitze liegt innen und verdeckt die offene Saumkante - und näht nun mit der Maschine oder fast unsichtbar mit der Hand die Spitze fest.
Ganz zuletzt musste ich nun noch herausfinden, wer denn dieses Designerstück der "Jungen Avantgarde" 2005 entworfen hatte. Ich besitze ja nur den Einleger mit den Anleitungen, und dort wird der Designer nicht verraten. Im
Hobbyschneiderinnenforum fand ich den entscheidenden Hinweis: Stephan Schneider, Antwerpen. Für mich eine echte Entdeckung, denn: das ist genau mein Geschmack! Die Sachen sehen auf selbstverständliche Weise gut aus - tragbar, aber nicht langweilig. Auf
seiner Webseite kann man sich durch das Archiv der älteren Kollektionen klicken, ein wunderbarer Ideenpool. Auf den
Bildern der Herbst-Winter-Kollektion 2005/2006 meine ich auch, den Rock aus der Burda zu entdecken - Bild 1 und Bild 12, und auf Bild 10 möglicherweise von hinten? - allerdings wird dort die Knopfleiste vorne rechts getragen. Sollten die Burdas da etwas falsch verstanden haben? Da es auch schon einmal vorgekommen ist, dass ein Rock aus Burda-Eigenproduktion auf dem Foto im Heft falsch herum angezogen wurde, würde mich das nicht besonders wundern...
Ein interessantes Interview mit Stephan Schneider, der ursprünglich aus Duisburg stammt und der bis vor kurzem auch an der Berlinder UdK gelehrt hat, findet man
hier.