Die Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen ergab sich, als Andrea vom Stoffladen Berliner Schnitte (Brandenburgische Straße/Nähe Fehrbelliner Platz - und natürlich mit Onlineshop) einige Assembly-Line-Schnittmuster in ihren Shop aufnahm und mich fragte, ob ich einen ausprobieren wolle - vielen Dank nochmal für den Schnitt und den sehr tollen Stoff. Ich entschied mich für das "Puff Shirt", ein Oberteil mit weiten, gerafften Ärmeln und einem interessant von schräg unten kommenden Brustabnäher.
Der Stoff ist ein sehr schöner feiner Twill aus Tencel, also ein Stoff in Köperbindung (die Webart, in der auch Jeansstoffe gewebt werden) aus einer hochwertigen Viskose. Tencel ist ein Markenname für eine Viskosefaser des österreichischen Herstellers Lenzing, für die nicht nur Holz, sondern zum Teil auch Reste von Baumwollstoffen aus der Industrie (z. B. Zuschnittreste) und sogar Baumwolle aus Altkleidern wiederverwendet werden, wenn man der Darstellung auf der Herstellerseite glauben darf. Der Stoff ist ein bisschen dicker und nicht so flatterig wie die meisten Viskosestoffe, er fällt aber durch die Webart sehr schön und wäre zum Beispiel auch für weite Hosen, Röcke und Kleider geeignet (und es gibt ihn außer in dem tollen Grün auch in einem Puderton). Der Stoff lässt sich sehr gut nähen und bügeln, aber man sollte ihn unbedingt vorwaschen, denn er ist beim ersten Waschen doch merklich eingelaufen.
Von dem Schnitt bin ich auch sehr begeistert. Ja, er ist schlicht - aber auf eine schwer zu beschreibende Weise merkt man mit etwas Näherfahrung, ob ein Schnittmuster "gut gemacht" ist, und das Puff Shirt ist sehr gut gemacht. Manche Schnittmuster wirken so grob, als wären sie mit einer Säge aus ungehobelten Brettern ausgeschitten worden. Zwar fügt sich alles zusammen, aber ohne Eleganz und man bekommt beim Nähen den Eindruck, als würde das ganze überhaupt nur funktionieren, weil sich Stoff zurechtziehen lässt. Bei anderen Schnitten passen die Kanten perfekt aufeinander, Passzeichen haben ein Sinn und das Teil näht sich wie Butter. Ich kann nicht genau sagen, woran das im einzelnen liegt, aber aus meinem Wissen über Schnittkonstruktion vermute ich, dass es bestimmte Feinheiten sind, die erfahrene Schnittkonstrukteurinnen beachten und die ein nur in einem Konstruktionsprogramm aufgestellter Schnitt nicht hat: Eine etwas eingestellte Naht hier, eine leicht gebogene Linie dort.
Das Puff Shirt gehört auf jeden Fall zu der Kategorie "eleganter Schnitt". Die Armkugel ist ziemlich hoch, der Stoff ließ sich aber sehr gut einhalten und die Ärmel passten gleich im ersten Anlauf ohne Falten in die Armlöcher. Der gepuffte Ärmel entsteht durch ein Bündchen mit einem breiten Gummiband, das nach innen geklappt und mit einer Naht am Ärmel fixiert wird. Das war die einzige Stelle, die mir an dem Schnitt nicht gefiel: Die Maschinennaht ist von außen sichtbar und wirkte in meinen Augen zu grobschlächtig. Ich habe das Bündchen stattdessen mit einem handgenähten Garnsteg im Inneren des Ärmels fixiert.
Am U-Boot-Ausschnitt reicht das Rückenteil an der Schulter über das Vorderteil, beide Seiten haben einen verstärkten Beleg, der von außen abgesteppt wird. Passend dazu habe ich den Saum auch abgesteppt. Die Anleitung ist beim Puff Shirt ist sehr ausführlich und hat sehr gute Zeichnungen, die an japanische Nähanleitungen erinnern, so dass ich die Schnitte von The assembly line auch für Anfänger empfehlen würde.
Von dem Ergebnis bin ich sehr angetan, mit der Farbe und den Ärmeln hat das Puff Shirt einen 70er-Jahre-Vibe, der mir sehr gefällt. Aus ganz dünner Viskose, Batist, Baumwollvoile oder feinem Leinen könnte man den Schnitt auch gut nähen, der Stoff sollte nur nicht zu labberig sein, damit die Ärmel gut ziur Geltung kommen.
Schnitt- und Stoffdetails
Schnitt: Puff Shirt von The Assembly Line (über Berliner Schnitte)Stoff: grüner Tencel von Berliner Schnitte
Bügeleinlage (Vlies) für die Belege und breites Gummiband für die innenliegenden Ärmelbündchen