
Ich gebe zu, als ich (vor fast drei Wochen - ja, ich bin zur Zeit so langsam) bei Allerleirauh zwischen all den seelenvollen Filzkunstwerken ihren Text über die Quellen ihrer Inspiration entdeckte und dass sie Award und Frage an mich weiter gibt – fühlte ich mich zwar wahrhaftig ausgezeichnet und habe mich darüber sehr gefreut, dachte aber gleichzeitig: „Inspiration? Iiich? Ich nähe doch nur fertige Schnittmuster nach und probiere manchmal ein paar Sachen aus, und das ergibt sich dann doch alles irgendwie. Also was soll die Frage?“
24 Stunden später hatte ich dann immerhin die Aufgabenstellung verstanden, nämlich dass die Frage doch gerade ist, wie und warum „sich dann doch alles irgendwie“ ergibt. Das würde ich nicht unbedingt als "Inspiration“ bezeichnen, der Begriff ist mir für mein Tun zu hoch gegriffen, aber über die Frage "woher kommts?" habe ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal nachgedacht.
Lange Zeit hatte ich nie Ideen systematisch gesammelt und festgehalten. Ab und zu notierte ich ein paar Sätze auf lose Zettel, die lagen dann als Lesezeichen in Handarbeitsbüchern, oder in einem Stapel mit anderen Papieren auf meinem Schreibtisch, oder in einem Zeitschriftenstapel, oder einem Schuhkarton zwischen den gesammelten Postkarten, oder in einer Schublade wo auch die Hefter mit den alten Kontoauszügen lagen, oder hineingefaltet in ein Stück Stoff, das für die Umsetzung dieser Idee gerade recht wäre, oder im Keller im Karton mit den Pinseln und Farben oder in diversen Kramecken auf dem Nachttisch, dem Küchentisch und noch einigen anderen Tischen. Wenn ich unterwegs war, kritzelte ich manchmal auf alte Kassenzettel oder Kinokarten, die sich nach ein paar Wochen zerknüllt und unlesbar im Bodensatz meiner Tasche wiederfanden oder eher nicht wiederfanden. Hatte ich gar nichts zu schreiben dabei, versuchte ich mir meinen Einfall bis zuhause zu merken und dann zu notieren - auf einem Zettel, und der lag dann bis zum nächsten Aufräumen an einem der oben bezeichneten Plätze.
Man kann sich nun vorstellen, dass ich a) ein eher unordentlicher Mensch bin und dass b) die meisten dieser Einfälle irgendwann, irgendwie verloren gingen.
Seit Februar 2005 habe ich nun ein kleines Notizbuch, das mich zusammen mit einem Stift fast immer begleitet und auch zuhause in Reichweite liegt. Dorthinein schreibe und skizziere ich, was mir einfällt, ich notiere Material-, Farb-, Stoffkombinationen, die mir draußen an Menschen oder in Schaufenstern auffallen, ich nehme das Büchlein mit in Museen und Ausstellungen, wo man meistens ohnehin nicht fotografieren darf, und es vertreibt mir Wartezeiten, denn dann lese ich alte Einträge und spinne sie weiter.
Und dabei kommt es dann wirklich zu dem Punkt, an dem sich alles irgendwie ergibt, dann fügen sich nämlich ganz verschiedene Einträge quasi von selbst zusammen, werden ausgebaut und erweitert und ergeben etwas Neues. Ich sammele also beständig Puzzleteilchen auf, notiere sie in meinem Buch, und eines Tages stelle ich fest, dass ein komplettes neues Bild vor mir liegt, scheinbar ganz von selbst. Die eng auf den Buchseiten angeordneten Ideenschnipsel scheinen sich gegenseitig zu befruchten, wachsen, vermehren sich, mutieren und sterben manchmal auch. Im Rückblick sehe ich, dass mich manche Dinge wieder und wieder beschäftigen, oder wie sich bestimmte Ideen vom ersten Auftauchen an wandeln und schließlich zu etwas ganz anderem führen als ursprünglich geplant. Das finde ich recht interessant, und auch wenn sich die Quote dessen, was ich tatsächlich umsetze, gegenüber der Zettelphase nicht merklich verbessert hat, geht so wenigstens nichts mehr verloren. In dem Buch notiere ich auch Stoffmengen und Zubehör für anstehende Projekte, falls ich noch etwas einkaufen muss oder über längere Zeit nach ganz bestimmtem Material suche. Und sollte ich zufälligerweise Zeit zum Nähen haben, aber ganz und gar ideenlos sein, hilft natürlich ein Blick ins Buch.
Den Award und die Frage nach den Quellen der Inspiration würde ich gerne - natürlich ohne Zwang zu antworten! - an diejenigen weitergeben, die sich gerade auch mit textilen Monatsseiten beschäftigen, und die jede für sich eine anderen Zugang zu dem Thema gewählt haben: Tally stellt ihr Jahr unter das Motto "Leichtigkeit", Kaze macht nicht nur wunderschöne Glasperlen, sondern folgt dem roten Faden, Griselda legt ihr Nähjahr und ihren außerordentlichen Sinn für Farbharmonien in Tischsets nieder und wollixundstoffix ist gerade aufgesprungen und wird jeden Monat etwas nähen. Was liegt wohl diesen ganz unterschiedlichen Ansätzen zugrunde?