Mittwoch, 5. Februar 2020

Agate Dress von named clothing (mit Schlitzverarbeitung nach Frau Waas, Lummerland)

Wie die heutige MMM-Gastgeberin Carola Nähkatze wollte ich heute meinen fertigen Trenchcoat vom AnNäherungswochenende 2020 präsentieren - und meiner hat sogar Knöpfe und Knopflöcher, aber ich habe einfach noch keine Zeit zum Fotografieren gehabt. Auch bei mir kommt daher ein noch nicht verbloggtes Kleidungsstück zu Zuge, das ich letztes Jahr genäht habe und dessen Schnitt, obwohl einfach zu nähen, mir etwas Kopfzerbrechen bereitet hat.


Der Schnitt für das Agate Pencil Dress gefiel mir schon  bei Erscheinen, es war aber ziemlich schwierig, zum Schnittmuster passende Stoffe zu finden: Sie sollten dünn und gut fallend sein und sich in Farbe und Muster irgendwie ergänzen, und wie immer, wenn zwei Stoffe für ein Teil gefragt sind, tat ich mich ziemlich schwer. Schließlich fand ich ein bedrucktes Doppelgewebe aus Bambusviskose von Lillestoff, das sich von beiden Seiten verwenden ließ und das schön schwer fällt.


Ein schönes Kleid! Ich werde regelmäßig gefragt, ob ich denn "noch was vorhabe", wenn ich es trage. Von der Konstruktion des Schnitts bin ich nach dem Nähen nicht mehr so überzeugt, er hat nicht die Raffinesse, die ich bei einem Schnitt von Named clothing erwartet hatte, nach all den Schnitten, die ich von den finnischen Schwestern schon ausprobiert hatte. 

Zum einen sind die abgesetzten seitlichen Streifen rechts und links vom Mittelteil nur Dekoration. Anders als ich erwartet hatte, sind in den Teilungsnähten keine Abnäher versteckt, die Kanten der beiden Schnittteile passen genau aufeinander. Das Kleid wird nur über die Seitennähte und über je zwei senkrechte Abnäher im Vorder- und Rückenteil geformt. Wenn man wollte, könnte man die Schnittteile einfach zusammenlegen (genauso wie die Teile, aus denen sich die Ärmel zusammensetzen), und hätte damit einen Schnitt für ein ziemlich einfach geschnittenes Kleid, das nur durch die Flächenaufteilung etwas interessanter gemacht wird.


Die zweite Merkwürdigkeit ist die im Schnitt eingezeichnete Brustlinie, die sich nur 20 cm unter der Schulter befindet. Ich messe bei den meisten Schnittmustern die Weite auf Brusthöhe kurz nach, um den Schnitt unter Umständen zu ändern, daher fiel mir die merkwürdige Lage auf.

Fachsprachlich heißt der Abstand von der Schulter zur stärksten Stelle der Brust (da, wo die Brustabnäher enden) "Brusttiefe", und in Standardmaßtabellen wird bei Größe 38 von 28 cm Brusttiefe ausgegangen (nachgeschaut bei Hofenbitzer, Schnittkonstruktion für Damenmode). Die Maßtabelle von Named clothing gibt keine Brusttiefe an, ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass irgendjemand an dieser Stelle ernsthaft von 20 cm ausgeht - wenn ich von meiner Schulter 20 cm senkrecht nach unten messe, lande ich in der Achselhöhle.


Über diese merkwürdigen Proportionen des Schnitts grübelte ich zwei Abende lang nach, maß immer wieder nach, überlegte, ob ich Besonderheiten wie eine vorverlegte Schulternaht oder eine Passe übersehen hatte, wodurch sich der Abstand verändern würde, musste aber schließlich einsehen, dass der Fehler nicht bei mir liegt, auch wenn ich so gerne daran glauben wollte. Das Oberteil ist quasi zusammengestaucht, und ich verlängerte es um 4 cm, damit landete die schmalste Stelle des Kleides dann auch in meiner Taille.


Da das Kleid nicht besonders eng sitzt und die Armausschnitte reichlich weit und überschnitten sind, hätte es sicher auch ohne Änderungen einigermaßen gepasst - im Nachhinein fiel mir dann aber auf, dass man vergleichsweise wenige genähte Versionen dieses Schnittes im Netz findet,  viel weniger, als von anderen Schnitten von Named clothing, woraus ich schließe, dass der Schnitt wirklich nicht besonders gut zu den Proportionen der meisten Menschen passt.

Ein Detail hat dieser Schnitt aber, das ich besonders mag, die oben schon erwähnte Schlitzverarbeitung nach Frau Waas, Lummerland. Frau Waas aus Lummerland ist, wie sicher die meisten wissen, die Ziehmutter Jim Knopfs und die Erfinderin des auf- und zuknöpfbaren Lochs, das Hosenflicken überflüssig macht: Statt die Hose am Knie zu zerreißen, knöpft man das Loch einfach auf, und statt es zu flicken, wird es einfach wieder zugeknöpft.


Dieses geniale Prinzip übernahm Named Clothing für die Verarbeitung eines Schlitzes im Rockteil in der Naht zwischen Vorder- und Seitenteil. Der Schlitz wird von einem nahtverdeckten Reißverschluss gebildet, der nach oben aufgezogen werden kann, genauso weit, wie man es gerade braucht. Weil der Reißverschluss nachgeben kann, kann das obere Ende des Schlitzes nicht ausreißen - der Reißverschluss öffnet sich dann einfach ein bißchen weiter, und man zieht ihn bei Gelegenheit einfach wieder zu, anstatt das ausgerissene Ende des Schlitzes reparieren zu müssen. Genial, nicht wahr? Mir kommt dieses lummerländische Patent sehr entgegen, denn ich schaffe es fast immer, Rockschlitze durch raumgreifende Bewegungen zu zerstören. Und so ist dieses Kleid wirklich sehr bequem und für alles geeignet, was man so vorhaben kann.

Alle Teilnehmerinnen des MeMadeMittwoch treffen sich heute hier.

Die Details auf einen Blick:
Schnitt: Agate Pencil Dress von Named clothing 
Änderungen: Oberteil 4 cm verlängert
Stoff: Bambus-Musselin (Doppelgewebe) von Lillestoff (nicht mehr erhältlich), dunkelblau mit aufgedrucktem Muster, Vorder- und Rückseite des Stoffes verwendet