Samstag, 20. Juni 2015

Die Modegalerie im Berliner Kunstgewerbemuseum


Schon lange wollte ich über die Wiederöffnung des Kunstgewerbemuseums und die neue Modeausstellung schreiben, das fiel mir gestern Abend bei einer Unterhaltung wieder ein (und man sieht auch am ersten Foto, dass ich schon vor einer Weile dort war) - also nun:

Das Berliner Kunstgewerbemuseum auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz war ja ein paar Jahre wegen Umbau geschlossen und ist seit November letzten Jahres wieder geöffnet. Am Gebäude selbst, einem ziemlich unmöglichen Klotz voller Treppen und verwinkelter Nischen, der es nicht gerade leicht macht, sich zu orientieren, hat sich nicht viel geändert, neu ist die Modeausstellung im Erdgeschoss, die man durch einen dunklen Gang erreicht, der sich überraschend zu einer Folge raumhoher beleuchteter Schaufenster öffnet. Man flaniert dann wie in einer Ladenpassage an den Schaufenstern entlang, in denen die Kleider an weißen Schneiderpuppen präsentiert werden. Taschen, Schuhe, Handschuhe, Fächer und andere Accessoires stehen in kleineren Vitrinen an der Wand und können so ganz aus der Nähe betrachtet werden.


Die Ausstellung in der Modegalerie setzt mit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein und und endet mit den 1980er Jahren. In den oberen Etagen des Hauses gibt es innerhalb der Dauerausstellung noch zwei weitere Modefenster, die man ein wenig suchen muss, eines mit der Mode des 18., und eines mit Kleidern und Hüten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


Die Präsentation der Kleider zeigt Sinn für die effektvolle Inszenierung, auch wenn die Kleidung ohne Accessoires gezeigt wird. Als Betrachterin steht man fast auf einer Ebene mit den Puppen, man sieht die Kleider also so, wie man die Kleidung seines Gegenübers sieht, und man kann hervorragend Vergleiche anstellen, was die Vorliebe vergangener Epochen für bestimmte Körperformen angeht. Die Kleider in den Vitrinen lassen Rückschlüsse auf die Statur der früheren Trägerinnen zu - wenn halbwissenschaftliche Bücher zur Kostümgeschichte ausdauernd über die schreckliche Folter des Korsetts im 18. und 19. Jahrhundert schwurbeln, dann wird dies sehr relativiert, betrachtet man die winzigen Schuhe und Handschuhe in den Vitrinen: zum großen Teil waren die Frauen einfach sehr viel kleiner als wir, und ein geringerer Taillenumfang als heute üblich erklärt sich einfach aus dieser Größendifferenz.      


Auf diese Weise kann man sich manches erschließen, denn leider werden die Ausstellungsstücke nur durch wenige und recht oberflächliche Texte begleitet. Ein paar längere Tafeln leisten eine grobe Charakterisierung der Epoche, aber weder zum sozialen Kontext, in dem die gezeigten Kleider stehen, noch zu Materialien und Fertigungstechniken erfährt man viel. Etwa auf halber Strecke gibt es in der Modegalerie einen Nebenraum, in dem einige kurze Filme in Dauerschleife gezeigt werden, unter anderem ein Einblick in die Restaurationswerkstätten und ein Film aus dem frühen 20. Jahrhundert, in dem man die Jahrhundertwenderoben in Bewegung an echten Frauen sehen kann.

Als Modebegeisterte erfreue ich mich natürlich an den wunderschönen und bestens erhaltenen Kleidern. Worth, Poiret, Vionnet, Chanel, Dior, Balenciaga - alle wichtigen Modeschöpfer sind mit mindestens einem Exponat vertreten. Vom plissierten Delphos-Kleid von Fortuny bis zum metallbehangenen Shiftkleid von Rabanne ist alles dabei, was Epoche gemacht hat, und gerade da hätte ich mir wesentlich mehr modehistorische Einordnungen gewünscht. Wer sich sowieso schon gut in der Modegeschichte auskennt, wird die Kleider wie gute alte Bekannte begrüßen und um ihre Bedeutung wissen - wer sich nicht auskennt, wird hier vermutlich nicht viel dazulernen. Schade, denn so bleibt die Modegalerie letztlich nur eine Aneinanderreihung schöner Kleider.

Aber immerhin: dass es in Berlin überhaupt wieder eine dauernde Modeausstellung gibt, ist ja schon mal ein großer Fortschritt, und dass der Geldmangel und die dünne Personalausstattung der staatlichen Museen keine großen Sprünge erlaubt, weiß ich auch. Deshalb: schaut euch die Modegalerie an, wenn ihr in Berlin seid. Mein Lieblingskleid in der Austellung war übrigens das weiße Abendkleid mit schwarzem Muster (im Foto oben ganz links). Ein Kleid aus den 1960er Jahren, das Oberteil mit zwei großen, übereinander liegenden Schleifen besetzt.

11 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Vorstellung. Vielleicht muss ich mal in die Großstadt fahren. Ich finde Deine Gedanken zu Proportionen besonders spannend. Nach kurzer Recherche halte ich mal fest: Bis 1850 gibt es keine statistischen Daten und in der Kaiserzeit wurden nur Männer vermessen (Stichwort Soldaten). Gesichert ist, der durchschnittliche deutsche Mann war im 19. Jhdt unter 165, Frauen werden auf 10-12 cm weniger geschätzt. Damit sind wir bei 150-155 cm als Durchschnitt. Allerdings, bei der Kleiderfrage nicht unwichtig, in Städten und in höheren Bildungsschichten waren (und sind) die Menschen größer, der Unterschied ist allerdings nicht so groß, 2-3cm. Sind aber alles Durchschnittswerte, mit Abweichungen in beide Richtungen. Heute ist der Durchschnitt in Deutschland bei Frauen bei 167 cm, also 10-15 cm mehr.
    Soweit der Zahlenausflug. Proportionen betrachten bedeutet einerseits zwei Sachen miteinander in Bezug zu setzen, andererseits ist das Resultat des Bezugs einzuordnen in die Zeit, den Geschmack, die Moden. Das ist ja gerade auch spannend zu entdecken.
    Viele Grüße,
    Katharina

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    1. Spannende Zahlen, Danke fürs Raussuchen! Ich kam überhaupt auf das Thema, weil wir bei Suschna (Textile Geschichten) im Blog mal eine Diskussion über Korsetts hatten, und die These, die Frauen seien ganz schrecklich zusammengeschnürt gewesen. In dem Zusammenhang hatte ich einen amerikanischen Blogartikel gefunden, der ganz banal mal die Maßtabellen aus verschiedenen englischsprachigen Schneiderbüchern von Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts angeschaut hatte - mit dem Ergebnis, dass die zweitkleinste Größe mehr oder weniger unseren heutigen "Idealmaßen" 90-60-90 entsprach. Das waren aber keine Durchschnittsmaße, sondern auch damals die Maße einer sehr schlanken Frau, denn die Tabelle ging ja nach oben noch drei, vier, fünf Größen weiter. Hier in der Ausstellung liegt ein paar Abendhandschuhe (gehören zu einem Abendkleid, also gehörten mit Siicherheit keinem Kind), die würden heute vielleicht einer 10jährigen passen... Da wird einem plastisch vor Augen geführt, was sich seither geändert hat.

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  2. Sehr interessanter Beitrag, war vor einiger Zeit auch dort. Es stimmt, dass der Bereich Herstellung zu kurz kommt. Trotzdem freut man sich beim Anblick der schönen Kleider.
    LG schurrmurr

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  3. Hallo Lucy, das ist ja eine tolle Entdeckung, herzlichen Dank für Deinen Beitrag. Vielleicht trete ich ja wieder einmal eine Reise nach Berlin an, dann wäre dies auf jeden Fall auf meiner Besuchs-Liste. Ich habe Deinen Beitrag gleich auf der Textilen Ausflugskarte verlinkt, mit Hinweis auf Deinen Beitrag: (https://www.google.com/maps/d/edit?hl=de&authuser=0&mid=zpsL0_ctLZ64.kpQv0kng_jLA).
    Liebe Grüsse vom Wullechneuel

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  4. Da bin ich ja froh, dass du auch gern mehr Hintergundinformamtionen gehabt hättest. Ich dachte schon, dieser Wunsch wäre nerdig :-) Bei einer Vorschau vor einem Jahr hatte ich mal mit einer Mitarbeiterin gesprochen, die war ganz perplex, als mir diese Restaurierungs-Filmschleife zu oberfächlich war. Ich glaube, die Museen gehen immer mehr davon aus, alles müsse unmittelbar publikumswirksam und bloß nicht zu kompliziert sein. Dabei wäre es ja toll, wenn beide Anspruchsgruppen bedient werden könnten. Sicher eine Geldfrage, aber auch eine Frage, in wie weit man sich öffnen möchte und eine Vision hat, andere Museen sind da ja sehr lebendig. Danke für den Bericht!

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    1. Ja, es gibt durchaus positive Beispiele von Ausstellungen (die Islam-Ausstellung in Dahlem z. B.), in die man als Besucher unterschiedlich tief einsteigen kann. Was einem zu viel ist, muss man ja nicht lesen. Auf die Filme im Nebenraum gibt es im Rundgang nicht mal einen Hinweis, jedenfalls habe ich keinen gesehen - ich entdeckte den Raum nur, weil ich den Geräuschen nachging. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Macher der Modegalerie sich eigentlich nicht überlegt haben, was für eine Geschichte sie erzählen wollen - außer schöne Kleider zu zeigen.

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  5. Als jemand, der in diesem Dilemma oft drinsteckt, kann ich nur empfehlen, an Führungen teilzunehmen oder Audioguides zu nehmen. Da können die Geschichten erzählt werden, die eine Ausstellung sonst schnell zur Bleiwüste werden lassen (und neue Medien sind in vielen Häusern aus Kostengründen nicht einsetzbar.).
    Kommst Du zu unserem Nähbloggertreffen nach Köln? Wir werden in der Führung am Sonntag versuchen, auch auf Detailfragen Antworten zu finden, die in der Ausstellung nicht beantwortet werden. Und natürlich können auch gerne museale Fragen diskutiert werden. Ich würde mich freuen!
    LG, Bele

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    1. Ja, ich komme, und ich freue mich auch schon sehr! Ehrlich gesagt bein ich keine große Freundin von Audioguides, weil ich meistens in Begleitung in solche Ausstellungen gehe und mich mit meiner Begleitung unterhalten möchte - solche Angebote erreichen mich daher in der Regel nicht. Für mich ist die Kombination Exponate+Bleiwüste einfach ideal, da geht nichts drüber: Ich kann mir erstmal meine eigenen Gedanken machen (ohne dass mir der Audioguide schon sagt, wo ich hingucken soll), kann mich austauschen und lesen - manchmal durchaus selektiv. In Deutschland geht die Tendenz leider sehr zum Kurztext, scheint mir, das finde ich schade. Zumindest hatte ich im Herbst in Lyon den Eindruck, dass man den Besuchern dort erheblich mehr zutraut.

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    2. Es stimmt schon: Es gibt insbesondere an Museen, die sich ihrem Charakter nach eher mit Gestaltung als mit Kulturgeschichte beschäftigen, offenbar eine große Angst davor, "zu didaktisch" zu sein. Was ich persönlich auch sehr bedauere... Aber diesbezüglich fragt mich ja keiner ;)
      Dann freue ich mich doch auch schon mal auf das Wiedersehen!
      LG, Bele

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  6. Danke für diese Ausstellungsbesprechung. Ich habe mir die Ausstellung kürzlich mit meiner Tochter angeschaut und wir waren beide sehr angetan. Ich hätte einige Kleider auch gerne von hinten gesehen und von ganz nah und von innen und am liebsten mal anprobiert.
    Wir haben beide auch bedauert, dass es abgesehen vom Katalog nichts "zum mitnehmen" gibt. Das eine oder andere Schnittmuster würde ich auch gerne zuhause hüten und hatte auf jedenfall auf nähnerdige Bücher zur Nähhistorie gehofft...
    LG Almut

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