Montag, 8. Juni 2015

Nicht gemacht für diese Welt


Seitdem ich endlich begriffen habe, dass herkömmliche Blazer nicht besonders gut zu mir und meinem Leben passen, checke ich andere Jackenschnitte auf ihre Alltagstauglichkeit aus. Die Jacke Mona aus Maison Victor, dem neuen Nähheft aus Belgien, stand als erstes auf der Liste, und ich schnitt sie aus einer herrlichen Woll-Viskosemischung zu. Ein wunderbar weicher, tweedähnlich grob gewebter schwarzer Stoff mit Waffelstruktur aus dem Marc-Aurel-Fabrikverkauf in Verl.

Ich bin von dem Stoff begeistert, tolle Haptik, tolle Struktur, er lässt sich sehr gut nähen und bügeln - aber ach, alltagstauglich ist er wohl nicht. Der Stoff ist so locker gewebt, er zieht quasi schon Fäden, wenn man ihn nur einmal scharf anguckt. Oder besser formuliert (pauschal von "Alltagstauglichkeit" zu reden, ist ja Quatsch, schließlich sieht der Alltag bei jeder anders aus): er wäre tauglich für einen Alltag ohne Ecken und Kanten, ohne Parks und Parkbänke, ohne öffentlichen Personennahverkehr, ohne Gürtelschnallen und Armbanduhren, und vor allem für einen Alltag ohne Umhängetaschen. Aber wer hat schon so einen Alltag, der entweder gepolstert oder gut abgeschmirgelt sein muss, um so einem Stoff gerecht zu werden? Ich jedenfalls nicht, und jetzt werde ich der Jacke noch ein Futter spendieren, und mir überlegen, ob ich sie lieber ganz normal in meinem Alltag anziehen werde und dann eben nach drei Wochen wie ein gerupftes Huhn aussehe, oder ob ich versuchen werde, sie zu schonen. 


Den Schnitt Mona finde ich aber schon mal sehr vielversprechend. Die Schultern sind erheblich schmaler als bei Burdaschnitten, der ganze Schulter- und Brustbereich passte bei mir auf Anhieb ziemlich gut, jedenfalls aus dem schmiegsamen empfindlichen Wollstoff. Wenn die Jacke fertig und getragen ist, poste ich auf jeden Fall noch eine Schnittbesprechung.

Zum Trost angesichts der begrenzten Lebensdauer dieser Jacke habe ich gleich eine zweite Version zugeschnitten, aus einem ziemlich verrückt gemusterten festen Baumwollstoff vom Markt. Das Muster erinnert an die Scherenschnitte aus den letzten Lebensjahren Henri Matisses. Was mich daran anzog, war vor allem das satte, strahlende, aber nicht grelle Blau der Ornamente, eine Farbe, die man so nur sehr selten findet. Ich nahm zwei Meter mit, ohne ein konkretes Projekt im Kopf, und dachte mir, durch geschickten Zuschnitt werde sich das wilde Muster bestimmt irgendwie irgendwann bändigen lassen.


Tja, ich bin noch sehr unschlüssig, ob mir das gelungen ist (hätte aber noch reichlich Stoff für weitere Versuche da). Aber schlimmstenfalls habe ich eben zwei Mona-Jacken, die beide auf ihre Weise nicht für meinen Alltag tauglich sind - das muss man ja auch erst einmal schaffen!

22 Kommentare:

  1. Wenn du die Jacke magst und sie dir wirklich am Herzen liegt, dann schone sie. Ich habe einen Mantel
    aus so locker gewebtem Stoff und der ist Schrott, der Mantel hängt nur noch im Schrank, weil er der erste Versuch nach einer langen Nähpause war. Auf die Schnittbesprechung freue ich mich, da ich auch keine Burda Schultern habe.
    Viele Grüße
    Sylvia

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  2. Bügeleinlage auf der linken Stoffseite kann da einen erstaunlichen Befestigungseffekt haben... Nur gegen das Schaben der Handtaschenriemen hilft das auch nicht viel.

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    1. Das hatte ich tatsächlich kurz überlegt - weil ich am Beleg sehe, dass das etwas helfen könnte - aber der fluffige, leichte Charakter des Stoffes wäre dahin. Da der Oberstoff schon zusammengenäht ist - und Trennen bei diesem Stoff so gut wie unmöglich - lasse ich das jetzt so und akzeptiere eben den Verfall. Und suche nach einem ähnlichen Stoff, nur strapazierfähiger.

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  3. Freut mich, dass Die der Schnitt Mona gefällt. Auf die gemusterte Variante bin ich gespannt.die Jacke Nähte ich im Winter in einem roten Wollstoff und musste den Schnitt nur in den Ärmeln anpassen.
    LG schurrmurr

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  4. Das wäre doch schade drum. Vielleicht kannst Du die empfindlichen Teile der Jacke aus einem strapazierfähigerem Stoff nähen? Also so eine Art Patchworkjacke. ichbahbe spoantan an Ärmel und Vorderteil aus Kunstleder gedacht. Ansonsten schone die Jacke.
    Der zweite Versuch sieht recht vielversprechend aus. Solche Musterbasteleien mag ich sehr. Ich werde das weiter verfolgen.
    Liebe Grüße
    Susan

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  5. Ich habe auch so eine lockere Mimose in Verl erstanden und überlege, wie Marion vorschlägt, komplett zu bekleben (was ich eigentlich gruselig finde). Vielleicht helfen Futter und Clutch, wobei letztere auch nur bedingt "alltagstauglich" ist... Vielleicht ist die Lösung, unseren Alltag anzupassen?!
    LG, Bele

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    1. Genau, ich baue in mein Leben einfach mehr feine Stehempfänge ein, zu denen ich mit dem Taxi hinfahre... ;) wenn du aus deinem Stoff noch nichts genäht hast, könntest du das mit dem Kleben ja mal versuchen und das beste hoffen. Ich bekäme die Jacke sowieso nicht mehr heil auseinander, die Nähte sind in dem Stoff quasi unsichtbar.

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    2. Clutch wird eeetwas Alltagstauglicher mit einem kurzen Handgelenk-Riemen?

      Wenn's bei der Jacke 'Flusenbildung' sein sollte, dann in eine gute 'Maeh-Maschine' (= mehr als die 5 Euro-Dinger) investieren; ich gaebe meine niiie wieder her!

      Bei Schlingenbildung hilft oefter mal vorsichtig-kraeftiges wieder in 'Laenge x Breite' ziehen.
      Da kein Muster in Form von Farbe vorliegt, kann man Groesseres 'nicht Ziehbares' dann auch mal ab und an - in Fadenlaufrichtung - vorm 'LxB-Ziehen' einzeln/lose mit einer Nadelspitze dem Fadenlauf folgend wieder in den Rest des Gewebes 'zurrueckziehen'.
      Arbeitsaufwand: einiges; aber doch nicht jeden Tag, sondern 'wenn's wieder gaaanz uebel' aussehen sollte und TLC (tender loving care) wirklich braucht.

      Die Schultertasche: Dekorative Unterlage (Filz?) wie bei manchen Herren-Trage-Koffern?
      'Bekleben' der Jacke evtl. nur teilweise in vielleicht 'Schulterpolster-Form'? DIEse 'Form' 'sieht' (= mehr vermutet/verdaechtigt) man schliesslich auch manchmal sich bei Kleidungsstuecken 'durch leichte Aussteifung' erscheinend, oder?

      LG, Gerlinde

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  6. Ich habe auch mal einen ganz tollen Mantel gehabt. Nach zwei Monaten sah er aus, als ob mich ein Rudel Wölfe überfallen hätte und ich nur knapp entkommen wäre. Ich habe mich dann geärgert, ihn nicht geschont zu haben. Deine Jacke sieht sehr vielversprechend aus, Du magst den Stoff, nach dieser Erfahrung würde ich versuchen, ihre Überlebenschancen zu erhöhen.
    Viele Grüße,
    Katharina

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    1. Das ist ein Argument, Sylvia meinte das ja auch - ich versuche das mal mit dem Schonen, am Schreibtisch dürfte der Jacke ja eigentlich nichts passieren. Wenn ich den Trenchcoat drüber trage, sollte auch dieTasche kein Problem sein.

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  7. Der Schnitt der Jacke ist großartig und das was du zeigst sieht toll verarbeitet aus.
    Mir fällt für das Stoffproblem keine Lösung ein. Aber mir geht es ähnlich. Ich habe einen wunderbaren aber leider ganz lose gewebten Lintontweed zu einem engen Rock aufwändig verarbeitet (unterlegt mit Silkorganza, gefüttert, Saum mit Spitze gearbeitet) und der Stoff zieht immerzu Fäden. Zm Moment überlege ich ihn ganz auseinander zu nehmen und in regelmäßigen Abständen mit der Maschine zu quilten (so wie Chaneljacken und Röcke). Aber ich scheue die Arbeit. Informiere und doch mal wenn du eine Lösung findest. Solidarischer Gruß Mema

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    1. Das ist interessant - ich könnte mir vorstellen, dass das Quilten wie bei Chanel tatsächlich die Haltbarkeit verbessert. Dabei wusste ich wusste gar nicht, dass auch die Röcke gequiltet sind, die werden ja eher noch mehr strapaziert als die Oberteile. Schon allein, weil da auf manchen Nähten auch immer ein gewisser Zug ist.
      Diese Jacke bekommt auf jeden Fall noch ein Futter, das war von Anfang an geplant. Quilten bietet sich bei dem Schnitt leider nicht an, wonst würde ich das glatt mal probieren.

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    2. Schaz z.B. hier: http://www.amazon.de/Couture-Sewing-Secrets-Chanel-Collector/dp/1627103872/ref=pd_sim_14_2?ie=UTF8&refRID=1N96M44MESZKB1G808PH#reader_1627103872

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  8. Ärgerlich, wenn der Oberstoff sich als zu empfindlich für deinen Alltag herausstellt. Denn die Jacke sieht wirklich klasse aus; ich bin auch nicht der Blazertyp, so dass mir der Schnitt zudem ausgesprochen gut gefällt.
    Vielleicht wäre dies hilfreich für deinen Stoff?: www.burdastyle.de/zipper-up_crid_34170.html
    LG von Susanne

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    1. Danke für den Link - das finde ich sehr interessant. Ich hänge hier vor dem Bildschirm und versuche, die Zickzackstiche auf dem Nachher-Bild zu erkennen, aber die Garnfarbe ist anscheinend so gut gewählt, dass ich nichts sehe! Aber das ist auf jeden Fall mal eine Idee. Wenn man regelmäßige Reihen zickzackt, könnte sich das wie gewollt in das Webmuster einfügen.

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  9. Du hast also die perfekte Jacke zur Grabbeigabe genäht. Sorry, als ich deine Tragemöglichkeiten gelesen habe, viel mir nichts Anderes ein. *grins*
    Zur Rettung fiel mir spontan das Bebügeln der linken Stoffseite mit Vlieseline ein. Das schützt ein wenig, ist aber auch nicht das Nonplusultra. Bei meinen lockergewebten Mantel schneide ich die abstehenden Knötchen ab, in der Hoffnung, dass sich diese nicht ständig vermehren.

    Hattest du den Scherenschnitt-Stoff schon einmal vorgestellt. Irgendwie kommt er mir sehr bekannt vor.
    LG Martina

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    1. Hehe, du hast ein gutes Stoffgedächtnis. Den Stoff hatte ich schon mal anlässlich der Mustermix-Challenge von Mamamachtsachen gezeigt, letztes Jahr. Der sollte schon damals ein Jäckchen werden, nur war mir lange nicht klar, nach welchem Schnitt.

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  10. Dann wird es eben deine Theater-Partyjacke, da fehlen meist die passenden Überziehteile und der Alltagsstoff in ähnliche Optik fndet sich ganz noch! Wenn man seine Jacke gefunden hat, darf die doch in mehreren Varianten her.
    VG kaze

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    1. Genau, ich weiß, was für einen Stoff ich ab sofort suche...

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  11. Ja, genau: Matisse. Das kommt auch farblich gut hin, oder?
    Und die Jacke kannst du auf Beerdigungen ( bitte eher selten!! ) anziehen und gepflegt insTheater ( oft!! )
    Angela Merkel hätte diese Probleme sicher nicht- aber sonst fällt mir niemand ein der gegen fies ziehende Fäden gewappnet wäre.
    Denn irgendwelche Verstärkungen aufzubügeln halte ich für eine Beschäftigungstherapie. So ein wenig Kleber innen gegen die rohe Gewalt außen? Eher nicht.
    Dann lieber neu machen!

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  12. Toll geschrieben! LG Christine

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  13. Schade, dass die schöne Jacke so vergänglich ist! Ich hoffe, dass dir das bunte Jäckchen genau so gut gefällt...

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