Seit Jahren schreibe ich in diesem Blog jeden Sommer über die Textile Art, die Kreuzberger Textilmesse, die so vieles sein will: Textilkunstausstellung, Verkaufsschau von textilem Kunsthandwerk, Messe für Stoffe, Wolle, Handarbeitsmaterialien und -werkzeuge. Jedes Jahr komme ich zwiegespalten zurück: Die Vielfalt der Messe ist sowohl Vor- als auch Nachteil, denn das bedeutet, dass es neben modernem Design, gutem Handwerk und textiler Kunst immer auch vieles gibt, das mich nicht interessiert. Mein Eindruck in diesem Jahr bei einem kurzen Besuch am Sonntag: Die Organisation ist noch professioneller geworden, und mir gefiel, dass viele kleine Workshops direkt in den Ausstellungsbereich geholt wurden, so dass das Handarbeiten selbst, das Tun, auch bei der Veranstaltung präsent ist, man Menschen beim Werkeln über die Schulter schauen und selbst Techniken ausprobieren kann.
Die Verkaufsstände für Materialien und textile Produkte, wie auch die Ausstellungen konnten mich dieses Mal aber nicht so sehr begeistern. Lag es daran, dass ich die Messe Jahr für Jahr besuche, und viele Händlerinnen, aber auch viele der Ausstellerinnen jedes Jahr wieder, zum Teil sogar mit denselben Exponaten teilnehmen? Meine Ermüdung schien mir nicht repräsentativ zu sein, die Schule war gut gefüllt, die meist weiblichen und meist älteren Besucherinnen schienen zufrieden und interessiert. Brauche ich ein Jahr Pause? Darüber werde ich in einem Jahr noch einmal nachdenken.
Die Verkaufsstände für Materialien und textile Produkte, wie auch die Ausstellungen konnten mich dieses Mal aber nicht so sehr begeistern. Lag es daran, dass ich die Messe Jahr für Jahr besuche, und viele Händlerinnen, aber auch viele der Ausstellerinnen jedes Jahr wieder, zum Teil sogar mit denselben Exponaten teilnehmen? Meine Ermüdung schien mir nicht repräsentativ zu sein, die Schule war gut gefüllt, die meist weiblichen und meist älteren Besucherinnen schienen zufrieden und interessiert. Brauche ich ein Jahr Pause? Darüber werde ich in einem Jahr noch einmal nachdenken.
Decke von "Maria" aus dem Projekt "Nähen statt Knast" |
Meine Highlights der Textile Art 2015:
Eine Sammlung von gepatchten Wandbehängen, manche mit traditionellen Blockmustern, manche ganz wild und spontan zusammengefügt, die ohne Erklärungen, aber mit lächerlich niedrigen Preisen versehen, im Erdgeschoss hing. Erst spät entdeckte ich ein Plakat und ein Tischchen mit Broschüren: Es handelt sich um Arbeiten, die in der Kleiderwerkstatt der AWO entstanden und die von Frauen angefertigt wurden, die durch das Nähen Geldstrafen abarbeiteten - "Nähen statt Knast" heisst diese Initiative so plakativ wie einprägsam. Die gepatchten, gefütterten, aber nicht gequilteten Decken zeigten zum Teil ungewöhnliche Farbharmonien, vergleichbar mit moderner Kunst, zum Teil erzeugten sie Irritation, wenn zum Beispiel die Motive einer kitschigen Ponybettwäsche liebevoll und sorgfältig in genähte Rahmen eingepasst wurden. Beides ist so originell, eigenständig und überraschend im Vergleich zu den Moden und Übereinkünften, was als "schön" und harmonisch zu gelten hat, die die Produkte von Hobbyquilterinnen bestimmen. Nur zu einem Werk, der Decke, die oben abgebildet ist, gab es etwas weiterreichende Informationen über die Urheberin und den Entstehensprozess, was ich sehr schade fand - die anderen Decken hingen dort völlig nackt, und auch wenn es wohl der Datenschutz verbietet, die Realnamen der Näherinnen zu nennen, ist es schade, dass die Schöpferinnen auf diese Weise gar nicht gewürdigt wurden.
Doppelbödige Blütenteppiche
Die zweite Ausstellung, die mich faszinierte, waren die textilen Wandbilder von Madre alias Guido Nosari aus Bergamo. (Und ich ärgere mich sehr, über den Künstler nicht vor der Textile Art recherchiert zu haben, denn zu seinen Wandbildern gab es im Ausstellerverzeichnis und in der Ausstellung selbst nur zwei dürre Sätze, es hätte sich so gelohnt, mehr über den Hintergund dieser Arbeiten zu wissen, und dann hätte ich auch erkannt, dass der junge, bärtige Mann, der dort etwas verloren herumsaß, Guido Nosari selbst war.).
Die genähten Bilder bei der Textile Art bestanden aus Stoffstücken in mehreren Lagen, zum Teil ausgeschnittenen Blüten, die durch große, sichtbare Handstiche in mehreren Schichten miteinander verbunden wurden. Von weitem wirkten sie wie heitere, textile Blütengärten, aus der Nähe erkannte man in den dicken Perlen zwischen den Stoffflächen kleine, bunte Schädel, die einen mit großen Augen anschauten. Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich diese Diskrepanz zwischen Nah- und Fernwirkung einordnen sollte. Durch die großen Augen hatten die Schädel auch etwas Niedliches, Maskottchenhaftes, zugleich lösten sie ein Erschrecken aus, weil es eine Weile dauerte, bis ich erkannte, was ich mir da gerade anschaute. War es der sprichwörtliche Abgrund, der zurückstarrte, oder eine Ironisierung des verbreiteten Images von Handarbeiten als harm- und belanglos? Das Interview mit Guido Nosari auf der Webseite der Textile Art hilft mir bei der Interpretation nicht viel weiter. Auf der Webseite zu Nosaris jüngstem Projekt, einem riesigen Gebetsmantel für die Neue Synagoge in Berlin, sind ganz unten zwei Ausschnitte aus einem Wandteppich zu sehen, der bei der Textile Art ausgestellt wurde, falls ihr euch selbst ein Bild machen wollt.
Raffinierte moderne Drucke auf Seide
[Bild auf Wunsch entfernt - 17.08.2018]Sehr begeistert haben mich auch die Seidenschals von Alice Zahn, die man hier auf der Textile-Art-Webseite etwas genauer sehen kann: Verfremdete, von Strukturen überlagerte Fotos von Brücken und Bäumen, in leuchtenden Farben auf Seide gedruckt. Bei anderen Stücken wurde neben dem Druck außerdem mit Ausbrennertechnik (devoré) gearbeitet, im Prinzip so, wie man es von Ausbrennersamt kennt. Bei einem Mischgewebe aus Viscose und Seide wird durch eine ätzende Paste partiell der Viscoseanteil herausgelöst, so dass das zarte, durchscheinende Seidengewebe übrigbleibt und ein Muster aus durchbrochenen Partien entsteht. Wunderschöne und sehr, sehr hochwertige Stücke fürs Leben.
Sehr nett war es dann auch, zum Schluss (fast hätte ich sie nicht gefunden) am Stand von Stefanie - Manufacta est vorbeizuschauen. Diese detailreichen Applikationen muss man sich einfach im Original anschauen - die Fotos in ihrem Blog geben nur einen Eindruck.
Weitere Berichte zur 11. Textile Art 2015 findet man hier bei Hehocra, bei Helena - Fincolorist, bei Anke - Ankes Garten und hier bei Patchbärchen.
Ich bin ja mit der Textile Art auch zwiegespalten, umso schöner, dass ich hier vieles erlesen kann. Danke für den tollen Bericht, Lg Aylin
AntwortenLöschenOh wie schön. Neue Eindrücke, die an mir vorüber gegangen sind bzw. ich ihnen. Aber die Ermüdungserscheinung habe ich irgendwie auch. Vielleicht waren wir wirklich schon zu oft dort ;-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße und vielen Dank fürs Verlinken, Doreen
Ich bin ja noch 'neu' und insofern der Sache noch nicht müde ;) aber wenn man selbst ausstellt und das vorwiegend in "Eigenregie" bleibt leider so wenig Zeit, das Umfeld zu erkunden, deswegen lese ich Deine Berichte immer mit sehr viel Neugier. Darin sogar Erwähnung zu finden lässt mich von Herzen danken!
AntwortenLöschenDie kurze Zeit, die ich hatte, meine nächste Umgebung zu erkunden, lässt mich immer wieder staunend ob der Vielfalt zurück, und ich denke, ich brauche noch ein paar Editionen, um zu ermüden ;)
Wahrscheinlich gehe ich nächstes Jahr doch wieder hin... Was man aufnimmt (oder besser: aufzunehmen bereit ist), hängt ja auch sehr stark von der eigenen Tagesform ab, in einem Jahr fällt mir sicher ganz anderes auf und wirkt ganz anders auf mich.
AntwortenLöschenDanke für deinen Bericht, den hatte ich noch gar nicht gesehen. Nächstes Jahr sollte jemand als Trüffelsucher vorgehen :-), dann irrt man nicht so wirr herum. Bei mir hatte die Energie dieses Mal gar nicht gereicht, aber u.a. die Statt-Knast-Quilts hätte ich auch gern gesehen. Das Exemplar oben finde ich sehr gut, fast wie nach einer der Impro-Methoden. Aber in dem Shop http://www.naehen-statt-knast.de/shop/decken-1.html sind auch eher konventionellere Werke dabei. Wegen der niedrigen Preise: Ich glaube, die verkaufen sich trotzdem nicht wie warme Semmel. Ich hatte vor langer Zeit schon einmal in dem Internetshop geschaut, und ich meine, einige Decken sind immer noch da. Hätte auch gern eine (eigenwillige), aber müsste sie vorher anfassen. Bei dem Projekt suchen sie jedenfalls Ehrenamtliche und Material/Nähmaschinen, da waren wahrscheinlich auch keine Ressourcen für Begleittexte?
AntwortenLöschenVielleiht reicht es ja für den Besuch der Messe, wenn man eine Handvolle tolle Sachen sieht? Ich weiß es nicht, jedenfalls wäre ein bisschen frischer, jüngerer Wind schön.