Sonntag, 3. Januar 2016

Muße


Liebe Leserinnen, ich hoffe ihr seid gut ins neue Jahr gekommen! Ich habe in den letzten zwei Dezemberwochen - immer noch angeschlagen - etwas kürzer getreten, eine Menge Erledigungen einfach aufs nächste Jahr verschoben und mir vorgenommen, 2015 nichts Neues mehr anzufangen. Das hat so gut getan. Ein paar Dinge erledigten sich dann ohne mein Zutun von selbst, und wie das immer ist, wenn man nicht muss: Ich hatte Ideen und auch Lust, sie anzugehen. Mir fehlte in den letzten Monaten einfach die Muße, und so habe ich mir für 2016 ins Notizbuch geschrieben, besser für Ausgleich zu sorgen. Das richtige Maß von Entspannung und Anspannung und so, eigentlich weiß man das ja. Ich wünsche euch allen für 2016 jedenfalls genügend Zeit für euch, genügend Muße,  Glück und Zufriedenheit!


Die Entspannung im Dezember hatte den netten Nebeneffekt, dass ich auch wieder Lust auf Entdeckungen hatte. Das Hallesche Haus, ein Laden im ehemaligen Postamt von Kreuzberg 61, ist wie ein Kurzurlaub, weil fast nur englisch oder spanisch gesprochen wird und weil man urige und zum Teil merkwürdige Waren wie handgewebte Wolldecken, Opinel-Messer, Bartwachs, Glühbirnen mit phantastischen Formen und handgefeilte Messinglineale erwerben kann. Da der Laden anscheinend von Expats für Expats betrieben wird, sind das wohl die Dinge, die für das Überleben eines Neuberliners für unverzichtbar gehalten werden. Über allem liegt der Duft von frisch gebackenem Kuchen, denn das Hallesche Haus ist gleichzeitig ein Café.


Dort entdeckte ich aber auch die handgestickten Schmuckstücke von Macon&Lesquoy, sehr witzige und sehr filigrane kleine Broschen von drei, höchstens vier Zentimeter Durchmesser mit einem schönen Glanz. Die Verkäuferin hatte gar keine Ahnung, was sie da verkauft, was für eine Technik und was für ein Material das ist, also den Firmennamen notiert und zuhause nachgeschaut: Es ist Kantillenstickerei, eine Stickerei mit Bouillondraht, einem ganz feinen, zu einer Spirale gewickelten Metalldraht. Die Goldstickerei auf Uniformen und allerlei Prachtgewändern wurde früher so gestickt - bei Marquise gibt es einen guten Überblick über die Technik und hier bei Macon&Lesquoy auch  ein paar Fotos halbfertiger Broschen. Ich bin ganz beglückt, dass diese Handarbeitstechnik überhaupt noch existiert, und dann eben nicht nur bei ein paar Spezialisten für historische Textilien, sondern in einer modernen Form mit modernem Design, die dann in einem Berliner Hipsterladen landet.   


In Leipzig war ich auch mal wieder für einen Tag - von dort (aus der Kolonadenstraße) stammt das Paste-up auf einer Plattenbaukachel.


Noch so eine Parallelwelt in Berlin: Das Café House of small wonder neben dem Friedrichstadtpalast. Alle schicken Food-und-Travel-Bloggerinnen fotografieren die Wendeltreppe am Eingang, also habe ich das auch gemacht, allerdings zu hastig und daher leicht unscharf. Ich bin eben keine schicke Food-und-Travel-Bloggerin. Man sitzt im ersten Stock eines Bürogebäudes in einer Kulisse wie bei In the mood for love, hauptsächlich zwischen Mitarbeitern von Rocket Internet und Menschen, die von dem Cafe in amerikanischen Reiseführern gelesen haben müssen (oder bei schicken Food-und-Travel-Bloggerinnen), und zahlt vielleicht ein klein wenig zu viel für Essen und Trinken. Aber die Kulissenhaftigkeit dieses Ortes hat mich so fasziniert, dass ich das ganz in Ordnung finde. Café-Inszenierungen sind eine Kunst, die nicht alle Gastronomen beherrschen, und die man auch würdigen muss, finde ich. 

Entdeckungen im Netz:


  • Bei der Stoffspielerei hatten wir im Oktober ja das Thema "Spitze", und ich staunte, wie unglaublich mühsam und kleinteilig die Arbeit an handgestickter Nadelspitze ist. Jetzt bin ich auf einen 20minütigen Film über die maschinelle Spitzenherstellung in Calais, bei der Firma Noyon gestoßen und staune nochmal, wie viele Arbeitsgänge, wie viel Handarbeit und Expertenwissen auch für die maschinelle Spitzenherstellung nötig ist. Die nächste Stoffspielerei ist übrigens am 31. Januar zum thema "Perlen" und wird bei frifris gesammelt. 

  • Skurril: Ichtershausen in Thüringen war ein Zentrum der Nadelindustrie - heute werden dort noch immer chirurgische Nadeln hergestellt - und alle zwei Jahre die Thüringer Nadelprinzessin gewählt.

19 Kommentare:

  1. Haha - diese Treppe des "House of Small Wonder" habe ich auch schon so oft auf diversen Instagram-Accounts und in zahlreichen Lifestyle-Blogs gesehen, dass ich mittlerweile das Gefühl habe, selbst schon dort gewesen zu sein, total verrückt! Habe mir für nächste Woche vorgenommen, den Laden mal in meiner Mittagspause aufzusuchen. Reality check!

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    1. Hoffentlich bist du dann nicht enttäuscht - Stichwort Paris Syndrome. Ich fand z. B., dass der Laden auf den ganzen Bildern viel größer aussieht, als er tatsächlich ist.

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  2. Ich wünsche Dir ein aufregendes, buntes, kreatives Jahr 2016 und bin ganz sicher, dass Du es schaffst immer wieder ein paar Momente des "Nixtuns" einzulegen.
    Ich schaue immer gerne hier vorbei (auch wenn ich überwiegend still mitlese) und freue mich schon auf dieses neue Bloggerjahr :)
    Viele Grüße aus Hamburg
    Kristina

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    1. Danke! Ich freue mich auch. Und da fällt mir doch glatt was ein... Stoffdruck, Workshop, anmelden!

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    2. Jetzt echt, ja? Das fände ich aber extrem cool!!!!

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  3. huhu,
    was du immer alles findest, ausgräbst (in nah und fern) und uns hier so eloquent und humorvoll und auch spannend präsentierst, macht mich immer wieder sprachlos. Ich fiebere jedem deiner posts entgegen und sage "danke" für all die zeit und mühe, die du hier investierst.
    lg iris

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    1. Danke. Schon allein wegen so einem netten Lob ist es Zeit und Mühe wert.

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  4. Ich wünsche dir ein erholsames Jahr 2016. Vielen Dank für deine Entdeckungen, die du hier mit uns teilst. Ich freue mich immer über neue Inspirationen und Ausflugsziele in Berlin.

    Liebe Grüße,

    Julia

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  5. Dem Dank oben kann ich mich nur anschliessen: auch ich freue mich über jedes Post und die Inspiration von Dir! Mehr als einmal bin ich als Berlin Besucherin schon auf "Deinen Spuren" gewandert :-) Die besten Wünsche für ein schönes und gelungenes 2016! Marlise

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    1. Oh das freut mich, wenn es tatsächlich praktisch von Nutzen ist.

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  6. Diese Stickerei ist ja wunderschön! Mit der reduzierten Farbigkeit und den modernen Formen wirkt sie wirklich sehr frisch. Bei Craftsy gibt es einen Kurs zu 'goldwork embroidery', allerdings nur mit traditionellen Motiven, soweit ich das der Vorschau entnehmen kann.
    Viele Grüße & viel Muße,
    Katharina

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    1. Ja, die Broschen wirken auch sehr kunstfertig, man weiß auf den ersten Blick gar nicht, wie das gemacht ist.

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  7. Wow,toller Fund, Bouillostickerei modern, das ist eine echte Überraschung und dann hat es mich gar nicht mehrgewundert, dass es Franzosen sind.Das sieht nach einem Großunternehmen aus, jedenfalls virtuell.Ich wäre sofort schwach geworden und hätte sicher etwas gekauft.Bei Handposamenten gibt es Chenilledraht, das ist noch feiner,aber beweglich in Runden, wird aber genauso verarbeitet.
    Beim nächsten Berlinbesuch gehe ich zur Post in Kreuzberg, ganz sicher!
    Viele Grüße und ein entspannntes und aufregendes neues Jahr!karen

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    1. Ja, die Stickereien muss man sich direkt ansehen, das ist wirklich großartiges Handwerk! Und von der Post ist es nicht allzu weit zu Knopf Paul und in die Bergmannstraße.

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  8. Danke für die originellen Reisetipps und Links.
    Nähnadeln aus Ichtershausen habe ich immer noch ein paar, ich hatte eine Freundin, die dort arbeitete.
    Deine Vorsätze für das neue Jahr übernehme ich glatt.
    Winterliche Grüße aus dem verschneiten Thüringer Wald
    sendet Ute

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    1. Dann wünsche ich dir genügend Muße in diesem Jahr! Ichtershausen war ja früher wohl der Nadel-Produktionsstandort schlechthin, schon im 19. Jahrhundert. Jetzt kommen alle Nähnadeln aus China, nehme ich an...

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  9. Vielen Dank für die Tipps, vor allem zu dem Laden mit der Stickerei und dem Video. Wg. Metallstickerei gab es doch mal Kurse zu Klosterarbeiten beim Museum Europäischer Kulturen von einem Mönch (?), das war leider so teuer! Hätte ich aber gern gemacht. Auch das Material allein war nicht billig, aber das kommt wieder auf die Todo-Liste.

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  10. michelle Kingdom! Was ein toller Fund!!!!

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