Sonntag, 30. August 2009
Textile Monatsseite Juli: Lange Tage
Gleißend helle Tage, glühend heiße Tage, trockene, staubige Tage, schwül-dumpfige Tage, frische und sonnige Tage nach dem Gewitter, laute Tage, agressive Tage, auch ein paar Regentage – im Juli ist nun endlich und unmissverständlich der Sommer da, auch in Berlin. Die Straßen sind voller Menschen, der Holzbildhauer in unserer Straße sitzt auf einem Gartenstuhl vor seinem Atelier und der Maßschuhmacher schräg gegenüber hat sich Arbeit mit hinausgenommen. Sogar die Eckkneipe vom Typus „Alt-Berliner Säuferkneipe“ mit vergilbten Gardinen und verstaubten Plastikblumen auf den Tischen bietet auf einmal Eis an. In jeder Ecke eröffnet eine Strandbar, jedes noch so kleine Lokal in jeder noch so kleinen Straße stellt Tische und Stühle heraus. Straßen, Parks, Flussufer und Brücken sind bis tief in die Nacht von jungen Menschen bevölkert, die Stadt eine einzige, meistens friedliche internationale Freiluftparty.
Menschen unterhalten sich, telefonieren, zerbrechen Flaschen, lachen und rufen. Autotüren klappen, Menschen steigen ein und aus, Autoradios dudeln. Haustüren klappern, Rollkoffer rattern über das Pflaster, Autos hupen, die Feuerwehr bahnt sich mit Sirene und Blaulicht den Weg. Ein Wagen mit aufgedrehter Musikanlage fährt vorbei, wie eine rollende Disko, und der Nachbar feiert eine Party, bei offenen Fenstern. Die Nacht bringt kaum Abkühlung, die Straßen und Häuserwände strahlen die Hitze noch ab, auch wenn die Sonne schon lange untergegangen ist. Die Leute schlafen schlecht – und nach ein paar heißen Nächten merkt man das auch tags auf der Straße. Fußgänger schreien Radfahrer an und umgekehrt. Frau zerrt Kind am Arm über die Straße, Kind brüllt. Ein vollbesetztes Auto rast immer im Kreis um den Herrmannplatz herum, ein anderer fährt noch schnell bei Rot.
Dann kommt endlich der Regen, ein Gewitter, jeder bleibt mal einen Tag zu Hause, bei geschlossenen Fenstern, und tatsächlich kann man eine Nacht nichts anderes als den Donner und das Geräusch leise fallender Tropfen hören. Zeit zum Durchatmen.
In manchen Situationen beame ich mich in Gedanken in unseren schattigen alten Garten, früher, mit vermoostem Rasen, rauschenden Pappeln und im Juli (oder eigentlich immer) voller Giersch, dem Schrecken des Gärtners. Auch wenn ich ihn oft genug ausrupfen musste, erinnere ich mich gerne an den würzigen Geruch der Blätter, an die weißen Blütendolden. Hässlich ist der Giersch nicht - nur wenn man ihn lässt, überwuchert er alles andere. Ausrotten kann man ihn nicht - wenn man ihn loswerden will, muss man selber wegziehen. Oder lernen mit ihm zu leben, ihn nur dort einzudämmen, wo er wirklich stört.
Wilde Möhre muss für das Foto als Giersch-Ersatz herhalten, der ist nämlich hier nicht so verbreitet
Für die Monatsseite Juli griff ich wieder in meine Restetüte und sammelte weiße, naturweiße, hellgraue, blassblaue und ein paar rot-orangene Reste heraus, Baumwolle, Leinen und Seide. Ähnlich wie bei der Monatsseite vom März nähte ich sie zu einem unregelmäßigen Patchwork zusammen. Zur Stabilisierung bügelte ich vor dem Sticken eine Gewebeeinlage auf die Rückseite des Patchworkteils, wobei an zwei Stellen bei besonders dünnen Stoffen der Kleber etwas durchgeschlagen ist, die Nahtzugaben schimmern hier und da auch durch - darauf würde ich beim nächsten Mal achten und die wirklich dünnen Stücke aussortieren.
Die Stickerei wie immer mit der Hand, das schätze ich als Tätigkeit immer mehr, weil man irgendwo sitzen und sich dabei noch nett unterhalten kann, und das obwohl ich mir seit Anfang des Jahres vornehme, das Sticken mit der Nähmaschine endlich ernsthaft auszuprobieren. Steht für August natürlich wieder auf der Agenda, diesmal aber wirklich!
Griseldas Monatsset Juli kann man hier schon erspähen, und jetzt wo die Urlaubszeit vorbei ist, gibts sicher auch bald wieder monatsseitiges bei KaZe, Suschna und Tally.
20 Kommentare:
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Hallo Constanze,
AntwortenLöschenauch diese Monatsseite ist wieder zauberhaft geworden. Ich lese gern in Deinem Blog und bin schon gespannt, was die nächste Monatsseite wird.
Liebe Grüße
Frauke
wie immer einfach unglaublich schön !!!
AntwortenLöschenliebe grüße
stella
Das unregelmäßige Patchwork gefällt mir ausgesprochen gut. Bei der Stickerei hatte ich gleich die Assoziation an die wilde Möhre. Der Giersch hat bei mir im tiefsten Schatten noch nie geblüht...allerdings kann ich mich an die Blüte aus dem Garten meiner Eltern dunkel erinnern. Am 1.9. ist meterologischer Herbstanfang - die Beschreibung der heißen Juli Tage läßt mich in Erinnerungen schwelgen. Auch das überall Fenster offen standen und es niemanden mehr gestört hat ob jemand hinein sieht - hauptsache ein kleiner Luftzug war zu spüren.
AntwortenLöschenEine schöne Hymne an die Stadt, den Giersch, das Sticken mit der Hand - und nun meine bisherige Lieblingsseite all deiner Monatsseiten. Ich sehe allerdings auch Fahnen flattern an einem weißen Strand. Wo man sich eben so hinbeamt.
AntwortenLöschenDas sind für mich echte Eiscremefarben- viel Vanille, etwas Schoko und Nuss und in der rechten Ecke das unvermeidliche Restchen Schlumpfeis. Garniert mit einem Feuerwerk aus Schokostreuseln :)
AntwortenLöschenUnd Lucy- das ist wunderschön.
Durchgedacht und ausgeführt.
Und die Knötchenstiche liebe ich auch sehr.
Das Plastische macht sie so besonders- das kann Maschinenstickerei- egal ob frei geführt oder mit der Stickmaschine- eben nicht.
Du liebst Berlin sehr- mich würde mal interessieren, ob du da auch aufgewachsen bist :)
Wunderschön!
AntwortenLöschenDie Seite und deine Geschichte drumherum.
Mehr davon!!!
GLG
Lucie
Die gestickten Blüten sind einfach zauberhaft. Da sieht man den Giersch mal mit anderen Augen :-))
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Eva
Griselda, ich wohne gerade mal zwei Jahre in Berlin und bin am ländlichen Rand einer anderen großen Stadt aufgewachsen (da ist auch der Garten zum Wegbeamen). Ja, ich wohne gern hier - meistens. Zum Beispiel wenn ich abends in der S-Bahn am Reichstag im Sonnenuntergang vorbeifahre, der Waggon voll Touristen und "Oh!" und "Ah!" und dann denke ich, was für ein Glück ich habe, dass ich jetzt in meine eigene Wohnung fahre, und nicht nur ein paar Tage hier bin. Aber es gibt, gerade im Sommer, auch viele Gelegenheiten, da wünsche ich mir nichts als Stille und Weite.
AntwortenLöschennoch einen schönen Sonntag!
Ich hab 8 Jahre in Berlin gelebt und das sind genau die Momente die mir total fehlen. Ich war diesen Sommer für ein paar Tage da, hab Abends im Cafe gesessen und genau das erlebt was du beschreibst. Ich finde das macht die Stadt so unheimlich besonders...
AntwortenLöschenDas Sticken hab ich auch neu für mich gefunden, ich habe ein paar Lavendelsäckchen bestickt...noch nicht ganz so perfekt :)
Lieben Gruß, Niki
Wunderschön und einfach inspirierend! Ein tolles Projekt.
AntwortenLöschenIch habe noch nicht alles dazu gelesen, deswegen meine Frage: Werden die Ergebnisse in irgendeiner Form zusammengefügt?
Herzliche Grüße
Pamela
Das ist wirklich wunderschön!
AntwortenLöschenEs lohnt sich immer wieder deinen Blog zu besuchen...
LG
n u s
Ich lese sehr gern Deine Beobachtungen und vielleicht kann das auch nur jemand so klar, der zugezogen ist?
AntwortenLöschenDeine tms gefällt mir ausnehmend rut,reif für den Rahmen.
Komme mir ein wenig wie ein Sitzenbleiber vor, weil nur der Kopf gestaltet.
VG karen
Pamela, ursprünglich dachte ich an ein Leporello oder ein Stoffbuch, aber mittlerweile bin ich davon abgekommen, weil die Seiten doch eine gewisse Dicke haben - das wäre dann quasi genauso hoch wie breit. Die Seiten passen genau in einen bestimmten Bilderrahmen von Ikea, möglicherweise hänge ich nächstes Jahr welche auf. Du siehst also ein richtiger Plan ist noch nicht vorhanden.
AntwortenLöschenKaren, sitzenbleiben gibts nicht - das ist ja hier kein Wettbewerb (das fand ich damals auch so sympathisch an Tallys Idee - keine Regeln, wann und wie etwas fertig sein und gezeigt werden muss, wie bei so vielen anderen Aktionen). Kommt Herbst, kommt Zeit,oder?
viele Grüße!
Lucy, das sieht toll aus! Dieses Teil musst du unbedingt aufhängen.
AntwortenLöschenViele Grüße aus einer anderen hektischen Großstadt (allerdings von einer, die jetzt erstmal Ferien hat :D)
Sinje
eine wirklich tolle Monatseite, wie recht doch kaze mit "Sitzenbleiber" hat ich kann nur staunen wie kreativ Du nähst und auch noch schön schreibst dazu...für mich ist das blühender Dill denn als begeisterte Gärtnerin bin ich weniger begeistert von Giersch.
AntwortenLöschenGruß
Teresa
Und wieder wunderschön liebe Lucy,ich bewundere Dein Können und vor allem Deinen Ideenreichtum sehr! Ich bin so froh "Dich" gefunden zu haben.
AntwortenLöschenEin ganz liebes Dankeschön auch für Deinen Besuch und den ergänzenden Link zu Deinen tollen Blüten!
Liebe Abendgrüße
Barbara
Oh, wie schön! Die Verbindung von deinen blütenartigen Stickereien mit den Stoffflächen gefällt mir unglaublich gut. Das würde ich wirklich auch gerne mal ausprobieren - hab aber noch nie eine Patchworkdecke genäht. Hast du vielleicht eine Empfehlung für Online-Anleitungen? Suche grad alles zum Thema Nähen/Nähanfänger für meinen blog zusammen :)
AntwortenLöschenSchöne Grüße
Catrin
Für klassisches Patchwork hatte Katharina/sewing addicted neulich eine sehr ausführliche Anleitung - http://dickespaulinchen.blogspot.com/search/label/TUTORIALS - ansonsten weiß ich auch nicht so - bei kostenlose-schnittmuster.de gibts ja auch eine riesige Patchwork-Rubrik...
AntwortenLöschenEine wirklich wunderschöne Arbeit. Ich habe eine Tischdecke mit diesem Blumenmuster; ich glaube, das ist ein klassisch skandinavisches Design (die Tischdecke ist ein Mitbringsel aus Schweden). Ich hoffe, im Winter komme ich dazu, meine Stickkünste zu verbessern...deine Arbeit ist da ein Ansporn :-)
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Mona
Mona, von Marimekko aus Finnland gibt es Stoffdesigns in dieser Richtung, hab ich auf deren Webseite gesehen. Die sehen häufig so aus, als hätten die Designer Wiesenpflanzen und Gräser auf einen Scanner gelegt und das Bild dann weiterbearbeitet - das könnte man ja auch machen und daraus die eigenen Stickmuster entwickeln.
AntwortenLöschenviele grüße! Lucy