Sonntag, 19. August 2012

Der Fortgang des Blazer-Projekts


Gestern war wieder Kreuzberger Nähkränzchen samt kurzer Life-Schalte zu Meikes Single-Nähkränzchen in Hamburg - vielleicht habt ihr gestern hier bei Catherine unseren Tag verfolgt und möglicherweise auch gelesen, dass ich tollkühnerweise mit einem Blazer begonnen habe. Mein Plan war folgender: wenn ich an so einem konzentrierten Nähtag ordentlich ranklotze, dann ist später zuhause nicht mehr so viel zu tun, so dass das Projekt in einem einigermaßen überschaubaren Zeitrahmen auch fertig wird. Die langwierige Komplexität von Jackenprojekten führt nämlich leicht dazu, dass ich erst gar nicht beginne, das Weiternähen ewig aufschiebe und mich an Kleinigkeiten aufhalte, so dass das ganze Projekt kein Ende nimmt. Scheinbar - deshalb habe ich diesmal ab und an auf die Uhr geschaut und die Zeiten notiert. 

Ausgesucht habe ich mir eine Jacke aus einem alten Heft, und zwar die Nummer 110 aus Burda 8/2005, weil die Jackenlänge von 60cm exakt der Länge meiner zu allem passenden gekauften (und leider am Ende ihrer Lebensdauer angekommenen) Lieblingsjacke entspricht. Aktuelle Schnitte sind, so scheints, entweder 10cm länger oder 10cm kürzer, so dass ich mit dem Modell modisch wohl ziemlich daneben liege, dafür aber für meine Proportionen das günstigste ausgewählt habe. Außerdem hat dieser Schnitt recht einfache Taschen, weder Ärmelschlitze noch andere nähaufwendige Details. Der Stoff ist ein dunkelgrauer Wollmischstoff, vermutlich ein Musterstoff für irgendeine Konfektionsfirma, der über dunkle Kanäle auf unserem Markt gelandet ist.

Am Nähkränzchen-Vorabend hatte ich den Schnitt herauskopiert (25min.) und den Oberstoff zugeschnitten (45min.). Das war ohne Stress zwischen 20.00 und 23.00 Uhr zu bewältigen - ohne Nähkänzchen-Druck hätte ich das bestimmt auf zwei Abende aufgeteilt. Da ich zwischendrin mit dem Liebsten in der Kneipe nebenan war, kam ich nicht mehr dazu, wie geplant die Einlage zuzuschneiden und aufzubügeln - das sollte sich am nächsten Tag rächen. Aber ich suche kurz vor Mitternacht noch 30min. in meinen sorgsam aufgerollten Futterstoffresten nach einem ausreichend großen Rest, um zwei Taschenbeutel zuzuschneiden. Sechs Reste sind doch zu klein und sehen, neu aufgerollt, nicht mehr so ordentlich aus wie vorher. Zwei davon werfe ich weg und fühle mich gut dabei. Das restliche Futter kann ich noch nicht zuschneiden, weil ich nach dem Stoff erst noch suchen muss - möglicherweise habe ich ihn auch vor dem letzten Umzug weggeworfen. Für die Suche veranschlage ich ca. 1h 30, das wird und muss an einem anderen Abend passieren.

Der Bügelplatz war der kühlste Ort beim Nähkränzchen

Der Nähkränzchen-Samstag beginnt mit idealen Voraussetzungen: ich hochmotiviert, nette Gesellschaft, ein Superbügeleisen samt Bügelbrett, kalte Getränke und ein kleiner Imbiss stehen bereit, die Nähmaschine ist aufgestellt. Nach alter Nähkränzchen-Tradition (meiner persönlichen, nicht der allgemeinen) habe ich das Anleitungsheft zuhause vergessen und kann daher niemandem ein Bild meines geplanten Blazer-Glanzstücks zeigen. Auch die Taschen und das Einsetzen des Reverskragens könnte später schwierig bis unmöglich werden, aber das lasse ich einfach auf mich zukommen.

Kurz nach Beginn um 11.00 Uhr verschwinde ich im Gästebad, wo das Bügelbrett aufgebaut ist, schneide Einlage zu und bügele sie auf. Von Robbie Williams, selbstgemachter Limonade und co. bekomme ich daher kaum etwas mit, dafür ist die Überraschung um so größer, als ich gegen 12.30 Uhr wieder aus dem Bad auftauche. Einlage aufbügeln gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, das ist mal sicher.

Dieser Berg wird einmal ein Blazer

Nach einer kleinen Stärkung kommt jetzt aber der Teil, auf den ich mich beim Nähen immer besonders freue: Wenn aus einem Berg Einzelteile nach und nach ein erkennbares Kleidungsstück wird. Ich nähe immer zuerst so viele unproblematische "große" Nähte wie möglich und bügele sie dann alle auf einmal aus. Rückennaht, rückwärtige Teilungsnähte, Ärmelnähte - gegen 13.30 Uhr wirds ernst: Ich muss die Eingriffstaschen mit einer Leiste oben, die in der vorderen Teilungsnaht mitgefasst wird, ohne Anleitung nähen. Die seitlichen Vorderteile müssen dazu bis kurz vor die Naht eingeschnitten werden.

Normalerweise wäre das der Punkt, an dem ich das Teil beseite legen und auf eine günstige Sternenkonstellation warten würde, um mit dieser schwierigen und riskanten Aufgabe zu beginnen. Beim Nähkränzchen kann man ja nicht einfach nicht nähen, daher fange ich einfach mal an. Bei jeder Tasche muss ein kurzes Stück wieder auftrennen - einmal zu weit genäht, so dass sich eine Falte bildet, bei der zweiten hatte ich die Leiste nicht richtig erwischt - aber gegen 15.40 Uhr sind die Taschen drin. Zur Belohnung darf ich jetzt die Seitennähte und die Schulternähte schließen und bügeln.

Die Taschen sind drin!

Beim Kragen wieder das gleiche: ich würde gerne kapitulieren und aufschieben, da die anderen aber alle nähen, was das Zeug hält, nähe ich weiter. Im ersten Versuch habe ich den Kragen zum Verstürzen eine Ecke zu weit zusammengenäht und muss erstmal rätseln, wie der Kragensteg dazupasst und wie beides dann an den Blazer gehört. Kurz trennen, dann schaffe ich es bis 17.30 noch, den Unterkragen richtig an den Halsausschnitt zu nähen und den Beleg festzustecken. Das sieht schon ganz gut aus, auch wenn es mir wie immer an dieser Stelle ein Rätsel ist, wie ich das ganze jemals ordentlich ausgebügelt bekomme. Da sind einfach zu viele kleine Nähte und Nahtzugaben an Stellen, an die man mit dem Bügeleisen nicht richtig hinkommt. Für heute geht es aber erstmal nach Hause -  auch in Mellenis Hinterhof wird gegrillt, und auf einmal habe ich richtig Hunger.

Der Stand am Sonntag Nachmittag


Sonntag, 14. 30 Uhr: Passiert es euch auch, dass ihr etwas näht und noch währenddessen denkt: "Totaler Quatsch, was ich hier nähe, das kommt so niemals hin, muss ich alles wieder auftrennen", und trotzdem könnt ihr einfach nicht aufhören? Ich habe gerade mit dem Kragenbeleg weitergemacht  (höchstens 30 min.) und habe nun, glaube ich, zwei unterschiedlich lange Vorderteile. Leider sind meine Markierungen durch das Bügeln verschwunden, ich müsste die Vorderteile noch einmal sorgfältig mit dem Schnitt vergleichen und die Reversrundung und die Rundung unten ("Abstich", heißt das wohl in Fachsprache) neu anzeichnen.

Habe ich dazu Lust, während (endlich! zum ersten Mal in diesem Sommer!), wüstengleiche heiße Luft zum Fenster herein kommt? Nö, denn heute bin ich ja zuhause und könnte auch was anderes nähen, was stricken, was bloggen oder Eis aus der Eisdiele gegenüber holen.

Vermeidungsstrategie

Letzteres (bloggen und Eis holen) habe ich nun gemacht, es zeigt sich damit die absolute Notwendigkeit mehrtägiger Nähkränzchen, denn mit der Jacke geht es heute wohl nicht mehr weiter. Aber: später könnte ich ja wenigstens den Futterstoff suchen, und euch in den nächsten Tagen zeigen, wie man genau passende Schulterpolster selber machen kann.

Melleni hat hier die Ergebnisse des Nähkränzchens zusammengestellt, und Wiebke wies hier auf die entschlackende Wirkung eines Hochsommer-Nähkränzchens hin.

7 Kommentare:

  1. Einlage zuschneiden und aufbügeln finde ich den schlimmsten Teil vom Nähen. Ganz im Ernst, ich hasse das, viele Projekte werden erst Tage später fortgeführt, weil jetzt das Teil mit Einlage dran wäre und die Einlage noch fehlt.
    Dafür finde ich Schnitte abpausen und Zuschneiden o.k..
    Ich plane für den Herbst auch eine Jacke, ein Stoff und ein alternativer, weil vermutlich der erste doch nicht reicht, sind schon herausgesucht.
    Das heisst aber noch nichts.
    Auf dem Bügel sieht die Jacke vielversprechend aus, bitt schneller fertig nähen als den Mantel ;-)
    Viele Grüße
    Julia

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  2. Liebe Lucy, ich erfahre hier von völlig neue Seiten an dir.
    Ich gehöre ja zu den Nähkränzchentanten, die dazu neigen, sich am Kränzchen eher verbal und gourmetmäßig (anderes Wort?) auszutoben. Neben dir zu sitzen ist immer ein großer Vorteil, da du so konzentriert und zielstrebig nähst. Das wirkt auf mich ansteckend.
    Aber wenn ich das hier so lese mit dem unverhältnismäßigen Anteil an Such- und Überwindungszeiten, dann erkenne ich mich darin.
    Einzelne kleine koipierte Schnittteile (gerne Kragen oder Unterkragen), eben noch vor mir liegend, haben sich in Luft aufgelöst. Die Suche geht los. Zeit verstreicht. Na egal jetzt, das Teil könnte ich ja später während des Nähens noch zuschneiden. Kein Problem, fange ich einfach mal an.
    Leider habe ich dann bis "später" meinen Nähkram mehrmals von A nach B und zurück geräumt und die Suche nach dem Stück Transparentpapier wird nicht einfacher. leider die nach dem entsprechenden Heft auch nicht. Ich habe dieses zum Schnittkopieren ja aus dem gutsortierten (haha) Archiv herausgeholt und nun ist es ganz weg.....
    Das wäre sicher auch mal ne Nähfragezeichenfrage für meike: Wieviel Zeitanteil beim Nähen verbringst du mit Suchen?

    Und seien wir ehrlich, Nähen kannst du auch immer noch bei schlechtem Wetter, aber das Eis von gegenüber schmeckt dann nicht mehr so gut. Oder wolltest du das jetzt nicht hören?

    LG
    Wiebke

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    1. Beim Nähkränzchen hält mich wirklich bei der Stange, dass man nicht so einfach das Projekt oder die Technik wechseln kann! Und die Sucherei ist bei mir immer so - wahrscheinlich gehen bei jedem Projekt 2 stunden allein für Suchen drauf. Ich werde das beobachten!

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  3. Whoo - das ging schnell.
    Dabei lassen sich gerade etwas größere Projekte so schön in sommerliche Häppchen aufteilen-
    Heute die Pattentasche, morgen der Kragen und beim nächsten Schub dann das Futter....... (wenn die flutschigen Teile nicht verschollen sind)
    Deshalb ist so ein Flow bewundernswert.

    Lucy- eine Bügelpresse ist grandios für das lästige Einlagenaufbügeln. Das geht viel schneller und die Vlieseline hält bombenfest.
    Früher habe ich durch zu hohe Bügeltemperatur so manche Einlage krumpelig geschmolzen, das fällt da weg, da du im Zweifelsfalle (unbekannte Quelle vom Markt....) immer noch schnell ein Backpapier dazwischenlegen kannst.
    Obwohl: Das geht auch beim Bügeleisen :)

    Ich bin gespannt auf die Passform und wie du die Ärmeleinsetzerei meisterst!

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    1. Auf die Passform bin ich ja auch gespannt - weil meine Schnittänderungsfähigkeiten denn doch begrenzt sind.

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  4. Wow - 25 Minuten um einen Blazerschnitt zu kopieren, das ist Rekordzeit. Ich brauche fast so lange um die Falten aus dem Schnitt und dem Schnittpapier zu bügeln, herauszufinden, wo die benötigten Schnittteile auf dem Bogen sind, wo die Abnäher und Passzeichen sitzen, damit ich nichts vergesse zu kopieren, und um mich innerlich für die relativ ungeliebte Aufgabe zu rüsten. Wahrscheinlich bin ich so langsam, weil ich es nicht gerne mache.
    Übrigens - die rechte Leistentasche am Blazer, also die linke auf dem Foto, schlägt auf beiden Foto etwas merkwürdige Falten. Bist du sicher, dass du das ausbügeln kannst? Es wäre ärgerlich, wenn du den Blazer hinterher nicht gerne anziehst, nachdem doch eine Menge Arbeit in solch einem Projekt steckt.
    Liebe Grüße, doju

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    1. Ich mag Schnittkopieren auch nicht, daher bin ich so schnell, dann ist es wenigstens schnell vorbei ;-)

      Die Leistentasche schaue ich mir noch einmal genau an, Danke. "In echt" hatte ich den Eindruck, sie ist Ok - vielleicht muss ich noch einen Tick weiter einschneiden. Die Nahtzugaben der Teilungsnähte sind auch noch nicht eingeschnitten, bis ich weiß, ob sie so bleiben.

      viele Grüße!

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