Sonntag, 24. April 2016

Stoffspielerei im April: Plissee


Kann man Plissee selber machen? Ich hatte schon mal im Vorbeigehen im Netz aufgeschnappt, dass es möglich sei, dauerhafte Falten in Stoff in der Mikrowelle zu erzeugen und hatte Lust, diese Technik genauer unter die Lupe zu nehmen. Beim Nähbloggerinnentreffen in Köln im letzten November hatten wir außerdem Plissee Becker, einem alt eingesessenen Laden in der Kölner Innenstadt, einen Besuch abgestattet. Der Inhaber Rolf Teichmann hatte uns in der Werkstatt die ziehamonikaähnlichen Formen aus dünner hellbrauner Pappe gezeigt, in die der Stoff von Hand eingelegt wird und die in einer halben Stunde bei Hitze und Dampf in einem Spezialofen messerscharfe Falten in den Stoff pressen. Wenn der Stoff mindestens 50% Polyester enthält, sind die Falten dauerhaft.

Plissee ist ist zur Zeit auch wieder ein Thema in der Mode: In der Sommerkollektion 2016 von Issey Miayke, der seit den 1990ern mit Plissees experimentierte, wurde eine neue Plissier- und Färbetechnik vorgestellt, bei der die hervortretenden Falten durch das Bedrucken mit einer Art Leim erzeigt werden.  

Es gibt eine ganze Reihe englischsprachiger Anleitungen, die das Plissieren behandeln. Die historischen Näherinnen experimentieren, wie das berühmt Delphos-Kleid von Mariano Fortuny nachgearbeitet werden könnte. Das Kleid, das in der Art griechischer Gewänder aus zwei Stoffbahnen besteht, war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein bequemes, etwas exzentrisches Nachmittagskleid für künstlerisch veranlagte Damen. Bilder und Beschreibungen gibt es zum Beispiel hier, hier und hier - sehr schön auch dieses Foto von 1922, wo man sieht, wie so ein Kleid an echten Menschen aussieht. Die Bahnen aus Seidenstoff, die Fortuny selbst färbte, waren der Länge nach in unregelmäßige Falten gelegt und passten sich dem Körper locker an.

Man weiß nicht genau, wie die Falten erzeugt wurden, anscheinend wurde der Stoff von Hand eingereiht  und in erhitzen Keramikrohren fixiert. Nach allem, was ich dazu gelesen habe, waren die Plissierung auch nicht ewig haltbar: Die Kundin konnte ihr Kleid jederzeit zu Fortuny nach Venedig zurückschicken, wo es kostenlos erneut plissiert wurde. Eine Anleitung zum Nacharbeiten dieses Kleides habe ich zum Beispiel hier gefunden, und auf dieser deutschen Seite wird die Seide nicht nur eingedreht, sondern mit Dauerwellflüssigkeit behandelt, was sich sinnvoll anhört, schließlich besteht Seide aus Eiweiß, so wie Haare auch.

Über das Plissieren von Polyester fand ich widersprüchliche Angaben: Mal reichen angeblich nur wenige Minuten in der Mikrowelle, mal wird der Backofen verwendet, mal wird der Stoff im Topf gekocht. Einen systematischen Vergleich der verschiedenen Hitzequellen gab es in diesem Aufsatz von Sherry J. Haar. Sie testete folgende Methoden mit Probestücken aus Polyesterorganza und Polyesterfutterstoff:

- Kochen im Dampfkochtopf (auf einem Dämpfeinsatz über Wasser, 30 Minuten unter Druck)
- Kochen in einem Topf mit Wasser (30 Minuten)
- Erhitzen in der Mikrowelle (Mikrowelle mit 1100 W, bei 80% der Leistung 30 Minuten)
- Backen im Backofen (30 Minuten bei 202°C auf Alufolie)
- Alle Proben konnten 18 Stunden abkühlen
- Besonders wirkungsvoll war das Kochen im Dampfkochtopf und das Backen im Backofen bei trockener Hitze

Beim Erhitzen lockern sich die Verbindungen zwischen den Molekülen, aus denen die Fasern bestehen. Sie verfestigen sich beim Abkühlen wieder, aber nun in der neuen Form, die erst wieder durch Hitze und/oder Druck und Feuchtigkeit aufgelöst werden kann. So weit zumindest die Theorie.


Praktisch erwies es sich schon als kompliziert, einen Stoff aus Polyester oder zumindest mit hohem Polyesteranteil im Lager zu finden. Den ersten Versuch habe ich mit ein paar sehr chemiefaserhaltigen Resten unternommen, die ich (siehe alleroberstes Foto) über eine Form aus gefaltetem Papier in Zieharmonikafalten gelegt hatte. Beim professionellen Plissieren sind die Formen aus einer speziellen, hellbraunen Pappe, die mehrere Plissiervorgänge im heißen Dampf aushält, aber das konnte ich hier außer Acht lassen.


Die verschnürten Bündel feuchtete ich etwas an und tat sie bei 200° für 25 Minuten in den Ofen (der wegen einem Auflauf sowieso heiß war). Das Auspacken war spannend!


Wunderbare Falten! Und sie kommen mir auch ziemlich haltbar vor. Das lässt sich natürlich erst richtig beurteilen, wenn die Stücke getragen und ein bißchen beansprucht werden. Da die Sache Potential zu haben scheint, habe ich anschließend gleich ein größeres Stück der unteren Stoffprobe eingereiht, ein transparenter Batist, der wohl aus Polyester und Viskose oder Baumwolle besteht.




Das Stück war gestern während des Frühstücks im Ofen, mit Alufolie abgedeckt, dann bin ich zu einem Nähkränzchen losgefahren und kümmerte mich erst heute früh wieder darum. Der Stoff ist tatsächlich immer noch feucht, deshalb lasse ich ihn jetzt noch etwas im Ofen nachtrocknen und packe ihn erst heute Abend aus.

Aber jetzt bin ich gespannt, was die Mitpielerinnen aus dem Plissee-Thema gemacht haben.


Nachspiel zur Stoffspielerei: Gabi hat sich noch tiefer in das Thema eingearbeitet, eine Plissieranstalt in Graz besucht und ein schönes, sehr aufwendiges Schuppenplissee ausprobiert.

Die nächste Stoffspielerei zum Thema Schrift im/auf Textil ist am 29. Mai bei Karen.

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Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat sammeln wir die Links mit den neuen Werken – auch misslungene Versuche sind gern gesehen, zwecks Erfahrungsaustausch.

Der Plan für die nächsten Monate, kurzfristige Terminänderungen sind möglich:

26. Juni Frifris, Thema “Löcher”

SOMMERPAUSE

Wiederaufnahme voraussichtlich am 25. September bei Susanne, Thema: Von Gold bis Blech – Metallstickerei

22 Kommentare:

  1. Ah, eine Mundharmonika-Form, darauf hätte ich mal kommen sollen. Das wird auch noch ausprobiert. Meine hangestichelten, unregelmäßigen Fältchen habe ich mit Kaffee eingestrichen und im Ofen gebacken. Das gibt zumindest optisch dauerhafte Fältchen... LG mila

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    1. Sehr spannend, dein Experiment - und der Pilz ist wunderschön geworden. Hoffentlich verpasse ich den nächsten Handarbeitssonntag nicht.

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  2. Ich bin ja überrascht, dass das so gut funktioniert, das hätte ich doch noch ausprobieren sollen. Ich habe bei mir noch einen Stoff mit Polyester und ich dachte an Dampfdrucktopf, aber dann bekommt man zu viele Probleme mit der Papierschablone und es reicht nur für ein kleines Stück.
    Das in den Backofen zu tun, hab ich mich nicht getraut, wegen des Schmelzens. Hattest du da keine Bedenken? Und dann fiel mir auch keine gute Verwendung ein. Hmm.
    Mein Plan das mit Wolle zu machen, fiel aufgrund des Mangels an einem dünnen Wollstoff auch aus, mit dickem scheint mir das jetzt nicht so reizvoll. Ich gehe noch mal in mich, vielleicht fällt mir doch noch was Gutes ein.
    Dauerwellenflüssigkeit hab ich nicht gekauft, ist mir dann doch zu giftig. :(
    Aber das war eine sehr spannende Recherche zu dem Thema, danke fürs Anregen!

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    1. Die Verwendung finde ich auch schwierig - den Streifen, den ich letztlich gefältet habe (Bericht folgt) könnte man immerhin als Schal tragen. Ich mag unregelmäßige Crashfalten bei Stoffen aber generell nicht so, das ist etwas ungünstig bei dem Thema.

      Polyester fängt ab etwa 180 Grad an zu schmelzen, das heißt, es wird weich, aber es schmilzt nicht so wie Wachs. Damit es richtig flüssig wird oder brennt, muss es viel heißer sein. Das hatte ich vorher nachgelesen ;)

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    2. Ach ja, ich bin auch nicht überzeugt, dass Dauerwellflüssigkeit so eine gute Idee ist. Zwar lässt sich die Seide damit sicher in Form bringen, aber ob die noch schön glänzt danach? Das müsste man ausprobieren, ob die Sache nicht viel zu aggressiv ist.

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  3. Sehr, sehr spannend. Mein Mann hat ja hier überall im Haus schon Stoffe gefunden. Mit Ausnahme des Backofens. Der Arme - den Schock kann ich ihm nicht ersparen :)
    Liebe Grüße,
    Sandra

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  4. Die alten Kleider sehen toll aus. So was würde ich gerne mal tragen, rein des Spaßes halber! Du beantwortest hier eine ganze Reihe von Fragen, die ich mir zur Serienfertigung von Plissee gestellt habe. Besonders spannend finde ich Dauerwellenflüssigkeit auf Seide. Da steht ja noch ein weites Experimentierfeld offen!
    Ich habe eine andere Art von Plissee ausprobiert: Schuppenfalten. In Papier geht das ja ganz gut, aber in Stoff bin ich gescheitert, weil es sich nicht so einfach falten und fixieren lässt... Aber das Ausprobieren hat Spaß gemacht und auch eine Erkenntnis gebracht. http://www.madewithbluemchen.at/stoffspielereien-im-april-2016/
    Liebe Grüße, Gabi

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    1. Sehr toll - ich würde diese Schuppenfalten nicht mal in Papier exakt falten können, fürchte ich.

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  5. Als Eigenxperiment sehr spannend . Mal sehen wie der rote Stoff heute abend aussieht, ich befürchte, dass die Fäden auch Abdrücke hinterlassen, wenn es denn 100 % Polyester ist.
    Gefaltete Grüße Karen

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    1. Das ist erstaunlich schön geworden - ähnelt von der Struktur her sehr dem Delphos-Kleid - und die Löcher von den Fäden fallen gar nicht auf. Ich mache später nochmal ordentliche Fotos.

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  6. Tolle Einblicke! Schade, dass ich es heute leider nicht geschafft habe, aber die vielen Berichte bei dir oder auch Karen gefallen mir gut! Da werden Falten wieder richtig en vogue!
    LG. Susanne

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  7. Sehr schöne Einblicke hast Du zusammen getragen und Deine Versuche sind sehr interessant. Schade, dass die wärmegeformten Falten nur in Polys möglich sind, das erinnert mich an Werkunterricht: plastisch und elastisch.
    Erinnern kann ich mich, dass meine Oma Plissee nachgebügelt hat, wenn ich mich nicht täusche verwendete sie Äther.
    Letztens bekam ich mehrere Meter (glatt) von einem alten creppeartigen Stoff geschenkt, nach dem Waschen verformte er sich kräuselig wie auf den alten Fotos. Bisher war ich ratlos, was ich daraus machen könnte.
    LG Ute

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    1. Interessant, diese Stoffe, die sich in der Wäsche crashen und beim Tragen wieder etwas aushängen kenne ich, und ich würde wirklich gerne wissen, wie das Verfahren heißt und wie das erzeugt wird. Sowas hatte ich früher schon aus Viskose oder aus Baumwolle (angeblich, kann mir ja nicht vorstellen, dass das wirklich reine Naturfaser sein kann). Die Stoffe kamen aus der Wäsche mit so einer Borkenkreppstruktur heraus, die sich etwas ausbügeln ließ bzw. die beim Tragen etwas verschwand. Dazu habe ich nichts finden können.

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  8. Ich bin ja schon gespannt, wie der rote Stoff herauskommt - bitte unbedingt zeigen!Für den "Hitze"-Versuch fehlte mir dieses Mal die Geduld.
    Danke für dein Sammeln.
    Liebe Grüße
    Ines
    (die jetzt drei Tage "in der Versenkung verschwunden war")

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  9. Plissee hat mich auch schon interessiert, sah auch mal einen Schnitt für eine Plisseerock in einer Burda 5/2012 Nr, 130 A. Der Rock wurde allerdings erst selbst entworfen, nach Anleitung zugeschnitten und dann zum Plissieren gebracht. Bei dieser Firma Gießmann wollte ich mal vorbeischauen und fragen, was das kostet.
    LG schurrmurr

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  10. Hallo Lucy, Deine Plisse-Spielereien haben mich nicht losgelassen, und so gibt es heute noch ein Nachspiel bei mir :-) http://www.madewithbluemchen.at/das-hat-ein-nachspiel-plissee/
    Liebe Grüße, Gabi

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    1. Dank Dir für's offizielle Nachtragen in der Liste oben! Das freut mich sehr.

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  11. Das ist ja wirklich eine tolle Idee. Ich kenne Plissees ja nur am Fenster.
    Sehr kreativer Einfall! :)

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  12. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  13. Es ist Jahre her, aber ev. interessiert es noch jemanden: das braune Papier, das zum plissieren verwendet wird, heisst "Kraftpapier" und kann unter diesem Namen gekauft werden. Zum plissieren min. 200g/m² verwenden.

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    1. Danke für den Hinweis! Wer weiß, vielleicht hilft das auch im Jahr 2023 noch jemandem. (es tut mir leid, dass meine Antwort auf sich warten ließ - ich konnte zuerst hier nicht mehr kommentieren, warum auch immer. Alles etwas eingerostet, scheint mir)

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