Jede aufstrebende neue Modedesignerin braucht eine gute Geschichte. Die von Wenlan Chia, Gründerin und Chefdesignerin des Labels twinkle, geht in etwa so:
Wenlan wuchs in Taiwan auf und kam schon als Kind mit Stoffen und Schnitten in Berührung, denn ihre Mutter arbeitete als Schnittdirektrice und entwarf privat für Wenlan und ihre Schwester wunderbare Kleider. 1991 zog die 23-jährige Wenlan zum Kunstgeschichtsstudium nach New York und belegte gleichzeitig Abendkurse am New Yorker Fashion Institute of Technology. Fortan wurde sie auf der Straße auf ihre Kreationen angesprochen und brachte schließlich ihre erste Kollektion farbenfroher handgestrickter Pullover und Accessoires im Herbst 2000 heraus - ein Jahr, nachdem sie selbst stricken gelernt hatte. Twinkles erster Auftritt im Nachwuchssegment der New Yorker Modewoche 2002 wurde gleich ein voller Erfolg, und das Label ist seither in den Kleiderschränken so berühmter Kleidträgerinnen wie Jessica Simpson, Mischa Barton, Maggie Gyllenhaal, Kate Hudson und Molly Sims zu finden.
So weit die Legende. Zugleich, und das unterscheidet Wenlan Chia von unzähligen anderen, hat sie ein großes Herz für Selbermacherinnen. Seit 2006 erschienen drei Strickbücher über die voluminösen Wollkreationen Wenlans, im Herbst 2009 ein Nähbuch – twinkle sews - das 25 Modelle aus früheren twinkle-Kollektionen enthält, komplett mit Schnittmustern auf einer beiliegenden CD.
Kurze und lange Röcke, Blusen und jackenartige Oberteile im Raglanschnitt, Tunikakleider, Spaghettiträgerhemdchen, ein Sweatshirt mit Känguruhtasche, bodenlange, fließende Sommerkleider lassen sich in den Größen 0 bis 16 nacharbeiten (die Schnittübersichtsseiten aus dem Buch kann man hier sehen). Die Schnittführung ist außergewöhnlich – nichts, was sich rasch aus einem Grundschnitt ableiten ließe, sondern raffinierte Faltenpartien, ungewöhnliches Volumen, nicht offensichtliche Asymmetrien und aufwendige gefaltete Verzierungen. Eben „from the runway to your wardrobe", wie es der Untertitel verspricht.
Als ich vor einem Dreivierteljahr das bestellte Buch zum ersten Mal durchblätterte, befiel mich ein vorfreudiges Kribbeln, wie es ansonsten vielleicht nur noch die Aussicht auf freie Auswahl im Lieblingsschuhgeschäft hervorrufen könnte. Das war alles so außergewöhnlich, so raffiniert, so großstädtisch-chic! Etwa die Hälfte der Modelle im Buch gefiel mir, und das bedeutete immer noch eine komplette twinkle-Garderobe in Reichweite meiner Nähmaschine!
Die aufmerksame Leserin wird sich jetzt berechtigter Weise fragen, warum ich, wenn doch die Schnitte so großartig sind, noch nicht die Hälfte des Buches nachgenäht und hier jubelnd vorgestellt habe – und damit kommen wir zu den Problemen.
Neben kleineren, aber grundsätzlich lösbaren Schwierigkeiten - die Schnitte als pdf sind zwar für Papier im amerikanischen Letter-Format ausgerichtet, lassen sich aber durchaus auch auf A4 drucken, die Anleitungen sind sehr knapp, aber vieles erklärt sich durch die Fotos der fertigen Modelle im Buch - ist die idiotisch verkomplizierte Größentabelle das größte Ärgernis.
Zwar gibt twinkle sews, so wie man das von Schnittmustern gewöhnt ist, eine mit "Körpermaße" bezeichnete Tabelle für Ober- und Hüftweite und Taille an (Seite 12). Im erklärenden Text heißt es im Widerspruch dazu aber, es handele sich nicht um Körpermaße, sondern man solle zu den eigenen Maßen eine Nahtzugabe von 2 inches und eine Bequemlichkeitszugabe von 2, zum Teil auch 3 inches dazu addieren und erhalte damit das Maß, nach dem man in der eben dieser Tabelle die passende Schnittgröße auswählen könne. Geht es komplizierter? Zudem verstehe ich nach nun zwei fast fertigen Teilen weniger denn je, wie die Zahlen der Tabelle mit den Maßen des fertigen Kleidungsstücks korrelieren sollen, denn egal wie ich rechne, ob ich sie nun tatsächlich als Körpermaße verstehe, oder ob ich Zugaben einrechne, sie ergeben keinen Sinn.
Ein weiterer dicker Minuspunkt ist die Aufteilung der verschiedenen Größen in einzelne Dateien. Anstatt wie bei einem Fertigschnitt die Linien für alle Größen übereinander zu legen, so dass man mit einem Ausdruck einen vollständigen Schnittbogen erhält, auf dem man die Schnitteile ausmessen, die verschienden Größen vergleichen und die passendste wählen könnte, enthält die CD für jede zweite Größe eine separate Datei. Man muss den Schnitt also zunächst einmal ausdrucken, zusammenkleben – wegen der sehr lockeren Verteilung der Schnitteile leicht 50 Seiten und mehr – um zu messen und eventuell festzustellen, dass er nicht passen wird. Dann kann man das Spielchen zwei Größen größer oder kleiner wiederholen und muss sich eventuell noch aus dem gedruckten Material die Größe dazwischen selbst basteln.
Es ist also viel Gedrucke, Geklebe, (Gefluche) und eine gewisse Abenteuerlust nötig, um zu einem Nähergebnis zu kommen. Abenteuerlustig waren z. B. schon Eva - Atelier Schmuckstück, die den "Skyline skirt" genäht hat, oder Lucia - Au café couture mit einer Version des "Budding romance"-Kleids und der Origamibluse. In die Reihe dieser Abenteuerlustigen kann ich mich nun einreihen, und obwohl der Praxistest der Teile noch aussteht und man an auch den Nähanleitungen viel kritisieren kann, kann ich schon jetzt sagen, dass die Schnitte nicht nur außergewöhnlich, sondern auch außergewöhnlich gut gezeichnet sind. Eine lohnende Herausforderung für jeden, der sich an den Burda-Ottobre-dieüblichenVerdächtigen-Schnitten sattgesehen hat.
Zum Ausprobieren gibt es zwei Schnittmuster aus twinkle sews kostenlos im Netz, einmal den "A plus A-line skirt", einen vielseitigen, aber nicht langweiligen Rock mit weichen Falten im Vorderteil, hier herunterzuladen bei Burdastyle (Registrierung erforderlich). Zweitens ein luftiges kleines Ballonkleidchen namens "Love in the afternoon", hier bei Craftstylish.
Samstag, 22. Januar 2011
5 Kommentare:
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Hallo Lucy,
AntwortenLöschendas sind ja tolle Aussichten - das Buch liegt schon eine ganze Weile bei mir, so eingehend wie Du habe ich mich aber damit noch nicht beschäftigt, nur die Schnitte fand ich einfach umwerfend. Die Origami-Bluse steht ganz oben auf meiner Liste. Nach Deiner Beschreibung der sich einstellenden Schwierigkeiten werde ich wohl sehr vorsichtig zu Werke gehen, sobald ich mich ranwage.
Wann bekommen wir Dein Modell denn zu sehen? - Nicht, dass ich neugierig wäre... ;)
Greets,
Liese
Hallo Lucy,
AntwortenLöschenoh Schreck!! Das Buch habe ich auch, weil die Schnitte mir auch so super gefielen. Leider kann ich ja kein Englisch, aber ich dachte, aus den Schnitten könnt man auch so schlau werden.
Da muss ich doch mir eine andere Vorgehensweise als geplant zurechtlegen. Vielen Dank für deine Infos, dann werd ich auch erst mal experimentieren. Heb ich mir für etwas später auf.
lg ingelore
Ist alles gar nicht so schwierig :-) Ich habe den Skyline Skirt in Gr.16 genäht und das entspricht einer Gr.42. Also nix mit dazu und wieder abrechenen.
AntwortenLöschenWelcher Schnitt wird es denn bei Dir ?
Ich habe auch noch eins fertig hier liegen, muß nur noch nähen ...
Soviel Projekte und so wenig Zeit - seufz
Ich bin also gespannt.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag noch
Eva
Ingelore, nicht aufgeben! Das Gute ist ja sozusagen, dass die Anleitung sowieso nicht sehr erhellend ist, so dass Englischkenntnisse eigentlich nicht so wichtig sind. Die Schnittmuster selbst sind aber sehr gut gemacht, es fügt sich alles perfekt zusammen, und man kapiert dann auf einmal, was die Markierungen sollen, weil sich plötzlich die Gegenstücke auf anderen Teilen finden.
AntwortenLöschenMit der Rockgröße habe ich interessanter Weise mit dem Rock "Annie Hall" eine andere Erfahrung gemacht als Du, Eva. Größe 12 müsste dann ja Größe 38 entsprechen, ist bei diesem Rock aber viel weiter. Größe 8 entsprach dann in den fertigen Maßen ziemlich genau einem engen Rock in 38 nach Burda. Ich versuche nicht mehr, das alles zu verstehen.
Ich hoffe, dass ich den Rock bald zeigen kann, der Saum hängt sich gerade aus.
Habt noch einen schönen sonntag!
ah spannend zu lesen,, das buch liegt hier auch seit über nem jahr rum.. mich schreckten immer die vielen einzelnen ausdrucke ab...
AntwortenLöschenlg ka