Samstag, 3. August 2013

Live vom Nähtisch: ein ganz besonderes Retrokleid

In Berlin solls heute irre heiß werden, den Wochenendgroßeinkauf haben der Liebste und ich schon erledigt und uns mit kühlen Getränken in der Wohnung verbarrikadiert. Der Liebste überlegt noch, ob er gleich zum Fotografieren in die Hitze hinausgeht - na meinetwegen, solange ich nicht mit muss.

Auf meinem Nähtisch liegt ein ganz besonderer Schnitt, auf den ich schon ganz heiß (haha!) bin, seitdem ich die Modellzeichnung das erste Mal gesehen hatte: ein Sommerkleid aus den 1930er Jahren mit kleinen, angeschnittenen Ärmelchen mit Knöpfen, einem raffinierten Reverskragen, der aus einem viereckigen Einsatz hervorgeht, Hüftpassentaschen und einem Rock, der im Rückenteil stärker ausgestellt ist als vorne. Genauer gesagt - das hier:



Das nähe ich jetzt und versuche parallel dazu life zu bloggen, wie das  Meike immer beim Tatort macht. Mal sehen, ob ich letzlich mehr nähe oder mehr schreibe. Näht heute noch jemand anderes, oder seid ihr alle am See?

11.30 Uhr, draußen 30°, heiter; drinnen 24°, optimistisch



Also, der Schnitt: den hat eine meiner Mitbewohnerinnen in der Büroetage, die Modedesignerin ist, nach der Zeichnung oben professionell erstellt. Aus der gleichen Serie modernisierter Retroschnittmuster stammt auch das Streifen-Trägerkleid, das Nina vor ein paar Wochen genäht hatte. Das Schnittmuster für Ninas Kleid gibts inzwischen im Nähkontor zu kaufen, das Kleid das ich jetzt nähe, wirds dann dort auch bald geben, sobald der Schnitt optimiert ist. Meine Nachbarin Regine hatte nach der allerersten Schnittversion ein Nesselmodell angefertigt, noch ein bißchen am Design geschraubt, und mir die zweite Version zum Ausprobieren überlassen.

Die Stoffwahl fand ich nicht einfach: der Vorrat gab natürlich nichts Passendes her (bitte nicht lachen jetzt!) und natürlich findet man (also ich) auf dem Markt nichts rechtes, wenn man dringend mal etwas braucht. Ich kaufte einen geht-so-Stoff, eine Art hellblauen Oberhemdenstoff mit einer ganz schönen Webstruktur. Ich befürchte aber, dass ich in einem hellblauen Kleid wie Rotkreuzschwester  Hildegard, 1932 aussehen könnte - also kurz gesagt: Kittelalarm droht - und möchte deshalb für den Oberkragen, die Belege an den Ärmeln und möglicherweise die Taschenklappen einen roten Stoff verwenden. Einen helleren oder einen dunkleren:


Ich sinniere noch ein bißchen über hell oder dunkel, während ich den Schnitt ausschneide und die blauen Teile zuschneide.

12.30 Uhr, draußen sonnig, 32°; drinnen durstig, 25°


Puh, Zuschneiden auf dem Fußboden ist etwas mehr Bewegung, als ich mir im Moment wünschen würde. Aber welch ein Luxus, einen für die eigenen Maße optimierten Schnitt zu verwenden! Als ich das Nesselmodell anprobierte, ergaben sich nämlich zwei Änderungen gegenüber der Standard-38: ich brauche an der Brust zwei Zentimeter mehr und ein um 1,5 Zentimeter verlängertes Oberteil. Das wurde in meinen Schnitt gleich eingearbeitet, mit dem Schnittmusterprogramm ist das kein Problem. (Und ich fühle mich bestätigt: das sind genau die Zentimeter, die ich immer bei Burdaschnitten zugebe.) Einfach zuschneiden und nähen, wann hat man das schon mal.

Wie ich sehe bin ich auch nicht ganz alleine: Catherine näht auch, wenigstens ein bißchen, Julia winkt, und ja, Nina, ich nehme den hellroten Stoff. Aber zuerst mach' ich mir ein Schinkenbrot.

13.45 Uhr


Der Liebste hat sich mit unbekanntem Ziel und seiner Fototasche nach draußen begeben - und ich frage mich, jetzt wo alles zugeschnitten ist, warum ich nicht den hellroten Stoff für das Kleid genommen habe. Der ist so schön, ein mattes, überhaupt nicht grelles Rot. Naja. Der Reststoff reicht vielleicht noch für ein Kleid. Manchmal bin ich schon komisch.  Und fein, Siebenhundertsachen und Sabine nähen auch mit im virtuellen Nähkränzchen.

15.00 Uhr, draußen 32°, bewölkt; drinnen 26°, puh


Also ehrlich, bei 32° in der Wohnung wie bei Sabine könnte ich nicht nähen! Ich überlege schon jetzt, ob einfach Herumsitzen nicht ne prima Alternative wäre. In der Zwischenzeit habe ich festgestellt, dass
- mein Bügeleisen dringend eine Reinigung vertragen könnte 
- ich beim Zuschneiden eines Rockteils übersehen habe, dass die Schnittkante des Stoffes nicht ganz gerade war, nun fehlt an der Stelle ein kleines bißchen an der Saumzugabe
- der selbstgemachte Eistee aus Hagebutte-Hibiskus-Brombeerblättertee, Zitronenschale und -saft und braunem Zucker genau die gleiche Farbe hat wie der rote Stoff


Das Bild vom zusammengenähten hinteren Rockteil ist für Yvonet: Ich glaube nämlich, dass der Rockteil und speziell die Rückenpartie ganz ähnlich ist wie bei dem gestreiften Sommerkleid von Dolce & Gabbana, über dessen Konstruktion wir gerätselt hatten. Das Rockvorderteil ist im Prinzip ein leicht ausgestellter Rock, ganz normal im Bruch zugeschnitten, der hintere Teil besteht aus aus 5 mehr oder weniger keilförmigen Einzelteilen und ist stärker ausgestellt als das Vorderteil. Hätte ich einen Streifenstoff genommen, wäre der Streifenverlauf vermutlich ganz ähnlich wie beim D&G-Kleid. Ich werde das aber anhand der Schnittteile nochmal genauer überprüfen!   

15.30 Uhr


Zuzsa näht auch! Ich habe übrigens von der Nähmaschine allerbeste Sicht auf durchtrainierte, nur halb bekleidete Männer - im angrenzenden Hof wird ein Gerüst an der Hausfassade aufgebaut. Ich schwanke zwischen Mitleid (die müssen echt arbeiten! am Samstag! bei den Temperaturen!) und Verwunderung: warum haben die alle so forschtbare Tätowierungen?

17.00 Uhr, draußen 32°, leicht bewölkt; drinnen 26°, gefühlt tropisch 


Stecken, nähen, bügeln, einschneiden, stecken, nähen, bügeln, absteppen - beim viereckigen Einsatz im Vorderteil bin ich etwas ins Schwitzen gekommen. Der Liebste  ist draußen verschollen. Falls ihr in Berlin und Umgebung einen Mann im schwarzen Polohemd und mit Fototasche herumirren seht, bitte gebt ihm Wasser!


Bisher fügen sich die Schnittteile prima zusammen. Da jede Naht eine Nummer hat, sieht man auch sofort, was an welches Teil gehört. Die Anleitung ist knapp, aber ausreichend, über die gängigsten Verarbeitungstechniken sollte man allerdings Bescheid wissen.

An den unteren Ecken des Krageneinsatzes habe ich zuerst eine Stütznaht genäht, knapp auf der Natzugabe - die blaue Linie ist die Nahtlinie. Beim Einsetzen wird erst die untere, waagerechte Naht genäht, dann bis zu den Ecken eingeschnitten, umgeklappt, und als nächstes die senkrechten Nähte geschlossen. Beim Absteppen rundherum war mittendrin der Unterfaden alle - alles andere hätte mich auch gewundert!

18.00 Uhr


Der Mann ist wieder zurück, dehydriert, aber unverletzt. Gerade bemerkt, dass es an der vorderen Rockbahn auch so eine Ecke mit Einschneiden und allem Pipapo gibt - und da treffen auch noch die dicke Taschenklappe und zwei Taschenbeutelteile aufeinander. Herrje. Genäht und eingeschnitten ist es - wird den Rest das Bügeln richten? Oder erstmal ein Eis?

19.45 Uhr


Der Mann wirkt apathisch, ich mache mal schnell was zu essen. Die vordere Kniffelstelle an den Taschen war gar nicht so schwierig. Und: die Bügeleinlage, die ich vor kurzem bei Yavas in Charlottenburg gekauft hatte, ist eine Wucht. Ich habe Jahre, wirklich Ja-hre meine Lebens mit Bügeln verschwendet. Bis jetzt. Denn jetzt kenne ich ja das gute Zeug. 

Ich weiß noch nicht, ob ich heute Abend weiternähe - eine Nachbarin will eventuell in ihren Geburtstag reinfeiern. Ach ja - und schaut doch mal in den vorigen Beitrag, falls ihr alte Jeans zur Weiterverwertung gebrauchen könnt.


17 Kommentare:

  1. Schönes Projekt! Ich bin gspannt.

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  2. Ich bin auch sehr gespannt. Der Schnitt sieht toll aus! Mir gefällt das hellere Rot besser, soweit ich dass hier auf dem Monitor beurteilen kann..
    Viel Spaß + Grüße
    Nina

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  3. Eine tolle Sache, das mit dir und Regine und Nina, das fügt sich einfach gut!!
    Ich versuche auch, mich an den Nähtisch zu verkrümeln, kann aber sein, dass meine Kinder was dagegen haben. Und später kommt Nähkränzchen-K. mit Familie, dann muss ich ebenfalls passen - freue mich aber über deinen Bericht!

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  4. Ohwiefein! Der Schnitt sieht toll aus! Ich bin auch für hellrot :)
    Hab gerade das Streifenmodell - aber ohne Streifenstoff - in der Mache.
    Werde jetzt gleich ins klimatisierte Sportstudio flüchten. Das ist perfekt bei "DEM Wetter"...
    Bin gespannt auf das Ergebnis.
    M

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  5. Boah, der Schnitt sieht noch besser aus, als er sich angehört hat ;-)

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  6. Hier auch nähen, unser heisser Tag war gestern. Allerdings fehlt mir zu jeden Projekt eine Zutat ... mal gucken, wie lang ich mich da motiviert kriege und wann der Minimensch aufwacht. Oder der Keller nach aufräumen ruft.

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  7. Ich hab jetzt auch zugeschnitten, noch ein Butterick 5214. War heute relativ früh auf dem Markt und habe nach weiß mit Kirschen gesucht, kam mit schwarzgrundig und Erdbeeren nach Hause. Gewaschen und nach ungelogen 15 Min. auf dem Balkon war der Stoff schon trocken. Könnte jetzt theoretisch Einlage aufbügeln, muss aber praktisch erstmal Nudeln kochen.

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  8. Oh ja, der Schnitt ist toll, ich wäre ja für einfarbig.....Ich bin gespannt und schau heute immer mal wieder vorbei. Wenn ich es schaffe, näh´ich heute noch ein Hochsommerleinensackkleid fertig.........
    Herzliche Grüße
    Sabine
    (draußen 33 Grad, drinnen 32 Grad, aber die Terassentür bleibet auf....)

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  9. versuche mich auch am Nähen, immer wieder unterbrochen mit: Maaami kannst Du mir hehelfen. Denn Bügelperlenbilder können si kompliziert für dreijährige sein....

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  10. Winkewinke, ich sitze auch an der Nähmaschine und vernähe einen Streifenjersey zu einem einfachen T-Shirt :)
    Einen sehr schönen Schnitt hast du dir ausgesucht. Bin sehr gespannt auf das Ergenis! Viele liebe Grüße, Zuzsa

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  11. Ich schmore auch in der Hitze und jetzt hast du mich animiert doch noch ein paar Quadrate für die Patchworkdecke auszuschneiden. Macht Spaß dein livenähen!
    Grüße
    Steph

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  12. Ich bin nicht besonders hitzeempfindlich, nur in der Nachr finde ich es bisweilen etwas unangenehm. Und was das Nähen angeht: Dafür "muss" ich sowieso immer in den Keller und da ist es deutlich kühler......Eistee hab´ich auch gemacht und ein Eis ess`ich auch, danach setze ich die Ärmel ein.....Das Rockteil sieht ja schon super aus!

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  13. Zurück vom See und vom Kind 2-zum-Ponyhofurlaub-bringen. Jetzt soll hier auch genäht werden, aber eher schnöde Pflicht (Shirt fertig und Reparaturen) als eine so schöne Kür wie bei Dir.
    Vermutlich zu spät, aber wären nicht rote Paspeln auch eine Anti-Kittelschürzenmöglichkeit gewesen? Der Schnitt und das bisher gezeigte sehen nämlich nicht nach großer Gefahr diesbezüglich aus. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Durch den raffinierten hinteren Rock könnte das ja vielleicht sogar fahrradkompatibel werden, oder?
    Weiterhin viel Spaß, Bele

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    1. Ja, Paspeln hatte ich auch überlegt - aber an dem viereckigen Einsatz war mir das bei dem Stoff zu knifflig (die Ecken!). Der franst reativ leicht und man dürfte die Stelle höchstens ein Mal auftrennen.

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  14. Konnte vom Dach aus keinen Fotografen spotten, aber jetzt ist er ja wieder da. Schade, hätte ruhig mit Lammkoteletts vor der Tür herumirren dürfen! Ich geh jetzt runter zu den Nachbarn babysitten und nehme die Nähmaschine und die Kleiderteile mit. Das laute Overlocken hab ich vorhin schnell erledigt. Gut, meine Nachbarn halten mich für einen Freak, aber was solls. Dafür haben wir alle dann einen schönen Abend!
    Ich freu mich schon sehr auf dein Kleid!!! Ich mache es dann gnadenlos nach!!

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  15. Ich hab mich gestern für den See entschieden, oder zumindest für eine Wiese mit Seeblick. Heute wird aber genäht, mein Kleid, das du erwähnst (danke für das Bild :)) will endlich fertig werden. Der Schnitt deines Kleides ist wirklich schön. Bin sehr gespannt auf das Ergebnis insbesondere auf die Länge. Ich liebäugle bei meinem mit der Midi-Länge, bin mir aber unsicher.
    LG Yvonne

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    1. Mein Kleid wird etwas länger als knielang, aber ich glaube das ist nicht die originale 30er-Länge und auch noch nicht richtig Midi. Wobei ich es schwierig finde, anhand der Modezeichnung zu entscheiden, wie lang das Kleid eigentlich gedacht war: Diese Beinchen! Diese Füßchen! Das sind ja keine echten Proportionen.

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