Verfolgt man heute die hilflosen Versuche des Berliner Stadtmarketings, Berlin als "Modestadt" zu etablieren und der Berlin Fashion Week zu einer Bedeutung zu verhelfen, die der Pariser oder Londoner Modewoche gleichkommt, kann man sich kaum vorstellen, dass Berlin in Sachen Mode vor etwa hundert Jahren tatsächlich in einem Atemzug mit Paris genannt wurde. In Berlin entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die modische Konfektion, die Kleidung von der Stange, wie wir sie heute kennen. Vor einem Jahr hatte ich anlässlich einer Ausstellung über die zerstörten Konfektionsbetriebe rund um den Hausvogteiplatz schon einmal über die Berliner Modeindustrie geschrieben.
Schon vor einem Jahr war Suschna - Textile Geschichten - mit der Recherche für das jetzt erschienene Buch beschäftigt: "Berlin Hausvogteiplatz. Über 100 Jahre am Laufsteg der Mode" von Brunhilde Dähn, die Neuausgabe eines Buches von 1968, das seit Jahren vergriffen war. Die Journalistin Brunhilde Dähn erzählt darin die Geschichte der Berliner Konfektion von den Anfängen mit Damenmänteln Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Wirtschaftskrise der späten 1920er Jahre.
Ihr Buch ist heute immer noch unterhaltsam und interessant. Dähn zitiert aus vielen verschiedenen Quellen, auch aus Romanen, die heute zum Teil nur noch schwer oder gar nicht aufzufinden sind. Mit vielen Anekdoten wird so die versunkene Welt der Konfektionsbetriebe und der Menschen, die in ihnen arbeiteten, lebendig.
Anders als man sich das heute vielleicht vorstellt, waren die meisten Firmen, die rund um den Hausvogteiplatz tätig waren, keine Kleiderfabriken - in den Zentralen wurde lediglich entworfen, zugeschnitten und die fertige Ware en gros verkauft. Die Produktion erfolgte in kleinen Werkstätten oder in Heimarbeit in den östlichen Stadtbezirken, in Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Die zugeschnittenen Stücke verfrachtete man samt abgezähltem Zubehör und Kurzwaren zu den Nähwerkstätten und erhielt die fertig genähten Teile zurück. In den Firmenräumen an der Hausvogtei wurden sie den Einkäufern aus aller Welt vorgeführt.
Der Welt der "Probierdamen", wie die Mannequins damals genannt wurden, widmet Brunhilde Dähn ein ganzes Kapitel, Suschna hat hier gerade erst im Blog etwas mehr über die "Gelbsterne", die Faruen mit den Idealmaßen geschrieben. Der neu entstandene Beruf des Mannequins galt zwar als etwas anrüchig, war aber auch verlockend: Bei vielen Modehäusern durften die Mannequins Kleider und Mäntel ausleihen und in ihrer Freizeit tragen, wenn sie gesellschaftliche Ereignisse wie Pferderennen, Theaterpremieren und Bälle besuchten, zu denen sie oft eingeladen wurden.
Aber auch als Telefonistin und Kontoristin, Sekretärin und Buchhalterin waren Frauen in der Berliner Konfektion beschäftigt - und diese jungen, gut ausgebildeten, finanziell unabhängigen Frauen bildeten auch die Kundinnen der Konfektion, vor allem für sie wurde hier Mode gemacht.
Man erfährt bei Brunhilde Dähn viel über die tonangebenden Modehäuser der Zeit und ihre Gründerinnen und Gründer, über die Organisation der Arbeit in den Konfektionsbetrieben, über frühe Influencerinnen und Werbung, über die Kaufhäuser und nicht zuletzt über das Berliner Nachtleben. Da Brunhilde Dähn die erste war, die die Geschichte der Berliner Modeindustrie aufzeichnete, ist nicht alles, was sie erzählt, hundertprozentig korrekt - darum hat das Buch ein neues Nachwort bekommen, das die größten Fehler geraderückt.
Die Neuausgabe von "Berlin Hausvogteiplatz" mit neuem Layout gibt es in jeder Buchhandlung und natürlich direkt über Susanne: Hier sind alle Informationen zum Buch noch einmal zusammengefasst und hier und hier gibt es im Blog einen Einblick ins Buch.
Auf der Messe BuchBerlin
Am nächsten Wochenende, 23./24.11. kann man in diesem und in allen anderen unseren Büchern blättern und mit uns ins Gespräch kommen: Bei der Berliner Buchmesse BuchBerlin im Mercure Hotel MOA Berlin (U Birkenstraße) - wir haben einen Stand in Ausstellungsbereich 2, D4. Vielleicht bis dahin? Ich würde mich freuen!
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für deinen Kommentar!
Mit Abschicken des Kommentars erklärst du dich einverstanden, dass deine Angaben zu Name, Email, ggf. Homepage und die Nachricht selber gespeichert werden. Kommentare können auch anonym verfasst werden. Blogspot erfasst außerdem die IP-Adresse sowie Datum und Uhrzeit des Kommentars.
Der Kommentar kann jederzeit wieder gelöscht werden oder du kannst ihn durch mich entfernen lassen.
Mit dem Absenden deines Kommentars bestätigst du, dass du meine Datenschutzerklärung sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und sie akzeptierst.
Ich behalte mir vor, Kommentare zu löschen, wenn sie Werbung oder Links zu Spam-Seiten u. ä. enthalten.