Goldener Oktober an der Kleinmotorenfabrik von Peter Behrens, Voltastraße, Wedding
Kann es sein, dass die Vorweihnachtszeit dieses Jahr noch früher beginnt, als in den Vorjahren? Die ersten Lebkuchen im Laden entdeckte ich schon am 30. August. Mittlerweile beanspruchen Lebkuchen, Dominosteine und Co ein Drittel der Ladenfläche. In den Blogs werden Weihnachtskugeln gekauft, Adventskalender genäht und Pefferkuchen gegessen - aber nicht mit mir! Jetzt ist bitteschön erstmal Goldener Oktober. Dann kommt ein schauriger November und danach, aber wirklich erst dann, können wir langsam über Weihnachten reden.
Um dem grauen November zu trotzen, habe ich einen kleinen bunten Tischläufer in Arbeit, mit grobem naturfarbenem Leinen von einem alten Mangeltuch, das ich so sehr mag. Die bunten Stoffe waren zum größten Teil ein Geschenk - eine Freundin meiner Schwiegeroma war Schneiderin und ließ mich einen Blick in ihre drei Schränke voll Stoffe und Stoffreste werfen. Da lagerten Stoffe aus mehr als dreißig Jahren. Viele buntbedruckte Baumwollstoffe für Kinderkleider und Schürzen. Musterschals aus dem Raumausstattungsgeschäft am Ort. Zugeschnittenes, aber nie Genähtes. Wolle für die Strickmaschine. Reste und ganze Stoffballen, Einlagen, stapelweise Schnitte. Anorakstoffe aus den frühen Siebzigern für ihre Kinder, die heute schon selbst auf die Fünfzig zugehen.
Frau G. konnte mir zu jedem Stoff genau sagen, was daraus genäht werden sollte, oder wovon ich einen Rest in den Händen hielt. Jedes Stück hatte eine Geschichte, quasi ein Lebenslauf in Stoffen. An diesem Nachmittag bekam ich nicht nur eine große Tüte Stoffe geschenkt, sondern auch Einblick in eine mir ganz fremde Welt, in der die Schürze das am häufigsten getragene Kleidungsstück war und in der nachhaltig gelebt wurde, ohne dass der Begriff Nachhaltigkeit schon erfunden worden war. Frau G. hatte neben der Auftragsnäherei, die oft bis tief in die Nacht ging, auch noch einen großen Haushalt nebst Haus, Garten, Hühnern zu versorgen. Obst und Gemüse hat sie, soweit möglich, selbst gezogen und im Spätsommer oft tagelang eingekocht, entsaftet, eingefroren. Kinderkleider wurden selbst genäht, geflickt und umgearbeitet. Vorsichtshalber warf sie nichts weg, was man noch einmal selbst brauchen oder an Nachbarn und Verwandte weitergeben konnte.
Seit gut einem Jahr hüte nun ich einen kleinen Teil dieser Stoffpracht und damit auch dieser Geschichten und ich hatte längst den Plan, den Stoff so zu verarbeiten, dass ich mich täglich daran erfreuen kann. Für den Tischläufer - die Oberseite ist mittlerweile fertig - brauchte ich nur 120 kleine bunte Quadrate. Der Stoffstapel ist dadurch kaum merklich geschrumpft. An den Weihnachtsfeiertagen werde ich Frau G. sicherlich wieder bei meiner Schwiegeroma treffen. Dem allzu aufgeladenen Familienweihnachten kann ich nicht viel abgewinnen (daher beginnt bei mir Weihnachten auch nicht früher als nötig), aber ich freue mich ehrlich auf das Wiedersehen mit Frau G.
Dienstag, 28. Oktober 2008
Weihnachten - nicht jetzt, nicht mit mir
Rubriken
Dekoratives,
Patchwork
6 Kommentare:
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bin schon neugierig auf den fertigen tischläufer.
AntwortenLöschenliebe grüße barbara:-))))
Toll geschrieben: Ein Lebenslauf in Stoffstücken.
AntwortenLöschenZeigst du der alten Dame dann doch den Läufer oder ein Foto deines Läufers? Da würde sie sich sicher sehr freuen.
Schöne Idee, mit genau der Prise Sentimentalität, die ich so liebe.
vor weihnachten kommen in der tat noch drei geburtstage an die reihe - und ein tischläufer. *g*
AntwortenLöschenwiedermal.
und dann geht's an die weihnachtsgeschenke, die dann hoffentlich im februar ausgeliefert werden können ;)
Ein schöner Text. Und ein Tischläufer aus all den Lebenspuzzleteilen ist eine tolle Idee.
AntwortenLöschenDie Nachhaltigkeit, mit der diese Generation gelebt hat, beeindruckt mich immer wieder sehr. Die heutigen Generationen müssen das wieder mühsam erlernen.
Viele Grüße,
Katrin
Eine tolle Idee einen Erinnerungstischläufer zu nähen! Was du über Frau G. schreibst, erinnert mich an meine liebe Oma, die früher wirklich ALLES für mich und meine Geschwister genäht hat und mir das Nähen beigebracht hat.
AntwortenLöschenFrau G. wird sich sicher freuen, wenn Ihre Stoffe so eine tolle Verwendung finden.
Und zu Weihnachten kann ich dir nur zustimmen, vor dem 11. November, dem Martinstag, geht gar nichts. Und auch dann fangen wir erst ganz langsam mit Bratäpfel an.....
LG Rita
So viel Zuspruch habe ich gar nicht erwartet! Hoffentlich seid ihr von dem fertigen Läufer nicht enttäuscht - er bekommt ein ganz einfaches Muster, die Stoffe machen ihn für mich eben zu etwas besonderem. Aber andere Leute können das natürlich nicht sehen bzw. wissen.
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