Donnerstag, 2. Mai 2013

Woche 17


1. Wo war ich? Kleiner Hinweis: in dieser Stadt nicht weit von Berlin, die in Zusammenhang mit meinem Bildmotiv vor einiger Zeit in die Schlagzeilen gelangte, gibt es einen bekannten Stoffladen, der kürzlich 5-jähriges Jubiläum feierte - und vor dem ich beim Spazieren am Sonntag ganz überraschend zu stehen kam. Mit etwas mehr Planung meinerseits wäre durchaus ein Besuch am Samstag drin gewesen - schade und blöd von mir, dass ich mir das entgehen ließ, denn die Stoffballen sahen sehr verlockend aus, und Bianca bloggt schon sehr lange und wie ich finde sehr Lesenswertes, jetzt zum Beispiel eine Serie über ihren Alltag als Ladenbesitzerin. Für das nächste Mal in dieser Stadt habe ich mir einen Besuch in diesem Laden fest vorgenommen!   

2. Nicht-Ort. Das Hotelzimmer in dieser Stadt - es hätte aber genauso gut in jeder anderen deutschen, und mit winzigen Änderungen sogar in jeder anderen europäischen Stadt sein können. Ich habe zwar den Studentenstatus schon gut ein Jahrzehnt verlassen, mich aber an das komfortablere Reisen noch immer nicht gewöhnt. Der Entschluss, zu einer Geburtstagsfeier am Samstag Abend in diese Stadt zu fahren, wurde recht kurzfristig gefasst - vor ein paar Jahren hätten wir die Fahrt bestenfalls in Regionalzügen, schlimmstenfalls auf der Rückbank eines Fiat Panda verbracht und nach der Party im Wohnzimmer der Gastgeberin auf dem Boden gepennt.

So ein milchkaffeefarbenes Zimmer in einem Hotel ist natürlich viel komfortabler, aber die ästhetische Konsenskultur dieser Umgebung macht mich immer ganz kirre. In den Gängen träufelt Fahrstuhlmusik in die Ohren, alles ist so wahnsinnig dezent, dass ich flüstern oder schreien möchte, Wände cremeweiß, Möbel mokkabraun, der Teppichboden schmutzverbergend gemustert, es hängen Bilder an der Wand, weil ein Zimmer Bilder braucht, aber bloß nichts, das irgendjemanden aufregen, erstaunen oder sonstwie berühren könnte. Ein Aufenthalt dort gleicht einem Bad in lauwarmem Latte macchiato mit Karamellsirup.

Was passiert mit Menschen, die sehr oft, vielleicht sogar jeden Tag, in solchen Hotels übernachten? Denn diese Ästhetik des kleinsten gemeinsamen Nenners setzt sich ja an den Orten fort, an denen sich Vielreisende häufig aufhalten: Konferenzräume und DB-Lounges und Abflugterminals, Geschäftsessenrestaurants und Kaffeekettenkaffeehäuser. Der französische Ethnologe Marc Augé bezeichnete solche Orte als Nicht-Orte, weil sie weder Geschichte noch Geschichten enthalten, keine Identität haben und sich an jedem nur denkbaren Platz auf der Welt befinden könnten. Typischerweise sind solche Räume Durchgangsräume, in denen Menschen sich also nur eine begrenzte Zeit aufhalten - aber manche Berufsgruppen verbringen ja gezwungenermaßen ihr halbes Leben im Durchgang. Ob Fehlentscheidungen von Unternehmensberatungen und Management mit dem Daueraufenthalt in dieser dezenten Milchschaumblase zusammenhängen, in der Schaum und Fahrstuhlmusik Augen und Ohren verkleben? Wenn ich aus dieser Welt zurück bin, verstehe ich jedenfalls etwas besser, woher die Sehnsucht nach Authentischem, Regionalem und Handgemachtem kommt, die auch Menschen haben, die keine Selbermacher sind. Auch wenn diese Sehnsucht oft nur durch Shopping befriedigt wird, ist sie ein Gegengift gegen solche traurig charakterlosen Orte. 

3. Keine Wiederholungen. Vor ein paar Wochen begann ich eine Miette-Strickjacke (aus einem uralten, aufgeribbelten Projekt) und nähere mich dem Abschluss des ersten Ärmels. Ich muss zugeben, nachdem mir die selbstausgedachte Strickjacke so gut gefällt, stricke ich lustloser, und  sogar noch lustloser, seitdem sich abzeichnet, dass sogar bei einer verlängerten Miette-Jacke noch Garn übrig bleiben wird. Die Anleitung ist toll (und meine erste Miette auch), aber ich arbeite so gut wie nie eine Anleitung ein zweites Mal genau so nach. Vielleicht doch lieber etwas ganz anderes, zum Beispiel mit Lochmuster? Ob ich mal eine Maschenprobe mache?

4. Große Bitte. Für manche Anliegen muss man sich richtig ins Zeug legen (und Klebebuchstaben besorgen). Gefunden an der Hermannstraße, Neukölln. 

8 Kommentare:

  1. Wie, hängt der Keks noch nicht wieder?
    Als früher viel im öffentlichen Dienst Reisende habe ich wegen der klammen Kassen in so traurigen Kaschemmen gehaust, dass ich mich bis heute über jede milchkaffeebraune Konsensausstattung freue. Hauptsache, sie ist einigermaßen neu, sauber, praktisch und bezahlbar. Aber ich weiß genau, was du meinst. Und ich beneide niemanden, der beruflich viel im Hotel, auf Flughäfen und in Zügen ist. Das alles nutzt sich auch so unschön ab, Patina nicht eingeplant.

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  2. Interessante Sichtweise auf Hotelzimmerästhetik!
    Ich werd mir mal ein paar Gedanken dazu machen, wenn ich wieder in Lohn und Brot stehe und einen größeren Teil meiner freien Zeit in solchen Zimmern verbringen muss. Die Gleichförmigkeit der milchkaffeebraunen Räume war mir zwar auch meistens zuwider, aber es hatte durchaus etwas beruhigendes, sich nach einem langen Arbeitstag darauf verlassen zu können, nicht unter einem, sagen wir mal "verstörenden oder zum nachdenken anregenden abstrakten Gemälde" zu schlafen.
    Christel

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    1. Klar, die Vorhersehbarkeit ist ja auch das Erfolgsrezept dieser Ketten - dass man weiß, egal ob Peking, Paris oder Panama-Stadt, es gibt das gleiche und es sieht überall gleich aus. Das ist ja auch sehr entlastend! Und du kannst dir zum Ausgleich zuhause ja was Schönes, Individuelles nähen! Andere müssen bei Dawanda oder bei Manufactum shoppen, um doch nur einen Abklatsch dieses "eigenen" zu bekommen. "Handgemacht" ist meines Erachtens mehr als eine Mode - es gibt ein echtes Bedürfnis, das dahinter steht.

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  3. Latte Macchiato mit Karamelsirup - wie überaus passend beschrieben. Inclusive der latenten Übelkeit, die einen dabei beschleichen kann.
    Ich bin beruflich nicht so sehr viel unterwegs und erlaube mir darum (manchmal) den Luxus der Suche nach einer "passenden" Unterkunft. Meist kleinere Pensionen, BundB oder private Raumvermietungsportale (wegen Kostenrahmen und so). Das kann zwar auch ins Auge gehen, tut es meistens aber nicht und ist mir darum die zusätzliche Recherchearbeit wert. Meine Kolleginnen klinken sich inzwischen ganz gerne in meine Reiseplanung ein, da sie schon wissen, daß ich auch noch nette Cafés für das schnelle Mittagessen auf dem Weg oder die besten Stoff- und Wolladressen der Stadt in petto habe. Auch dafür liebe ich das www!
    LG, Bele

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    1. Ja, nach netten Cafés und Läden hätte ich dieses Mal auch suchen sollen! Ich glaube - nach nochmal drüber nachdenken - in Zusammenhang mit einer Dienstreise wäre die Hotelausstattung auch völlig an mir vorbei gegangen. Dann hätte ich nämlich keine Gelegenheit gehabt, dazusitzen und mir die Einrichtung genau anzusehen. An die Unterkünfte bei den paar dienstlichen Reisen früher kann ich mich kaum noch erinnern - nur daran, dass man glatt in Seminarhäuser in der Pampa verfrachtet werden kann, wo es nirgendw was zu essen gibt, wenn nicht gerade offizielle Essenszeit ist ;-)

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    2. Da habe ich berufsbedingt Glück... mich führt es ja eher in kulturelle Zentren und irgendwie scheinen wir alle immer gerne und gut zu essen (also wird auch darauf geachtet). Aber irgendwas muß das äußerst bescheidene Salär ja ausgleichen. In Hannover war ich übrigens im Café Bar, was ich durchaus empfehlen kann, wenn man in dieser Ecke der Stadt unterwegs ist. Für "Limetrees" fehlte aber leider die Zeit.
      LG, Bele

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  4. oh, danke für die lieben worte zu unserem laden ... und ich würde mich freuen, wenn du bescheid sagst, wenn du das nächste mal vorbeikommst; denn samstags ist meist nicht mein ladentag :-).
    der keks ist übrigens gerade hier zu finden http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Bahlsen-Keks-im-Landesmuseum-ausgestellt
    liebe grüße
    bianca

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    1. Oh, guter Hinweis! Falls sich Hannover nochmal ergibt, melde ich mich vorher!

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