Diese dritte Version ist noch einmal 5 cm kürzer als der Vorgänger, ich reduzierte die Weite ein wenig und beschnitt die Vorderteile an den Kanten, so dass sie zu Dreiviertel überlappen. Die Jacke soll dort mit drei Knöpfen geschlossen werden.
Falte=Fehler?
Ich finde es sehr lehrreich, bei der Schnittbastelei zu erleben, welche Folgen einzelne Veränderungen nach sich ziehen und wie sich bei diesem Projekt die Prinzipien der Schnittaufstellung und auch das Verständnis dessen, wie ein Kleidungsstück zu sitzen und auszusehen hat, von unseren westlichen Vorstellungen unterscheiden.
Dass die engeren Ärmel von Jackenversion 2 und 3 mehr (oder eher: andere) Falten haben als die weiteren Ärmel von Version 1 wurde vor zwei Wochen schon deutlich. Aus unserem westlichen Verständnis heraus bewerten wir solche Falten als Passformmängel: das Ziel ist immer ein möglichst faltenloser Sitz der Kleidung am Körper. Dass dies aber kein allgemeingültiges Ziel sein muss, wurde mir in der vergangenen Woche klar, als ich noch einmal zu meinen Inspirationsfotos zurückkehrte.
Bei den Inspirationsfotos fiel mir jetzt auf, dass fast alle Jeogori-Jacken genau die gleichen Falten am Ärmel zeigen wie mein Probemodell - besonders deutlich werden die Falten z. B. auf diesem Foto. Auf den ersten Blick übersieht man sie gerne, weil man von den tollen Farben und Materialien geblendet wird. Kein einziges Beispiel ist ganz ohne Falten, die relativ faltenlosen modernisierten Exemplare scheinen überschnittene Schultern und zumindest eine Andeutung von Armkugel zu haben, sie weichen also von dem traditionellen Schnittschema ab.
Die traditionelle Form gibt es nicht ohne Falten am Ärmel, es kann sie gar nicht geben: Wenn europäische Schnitte sogenannte Kimonoärmel mit Zwickel haben, dann gibt es in der Regel ein gemeinsames Schnittteil für Vorder- bzw. Rückenteil und Ärmel, wobei die Ärmel in einem Winkel von mehr oder weniger 45 Grad an die Rumpfteile angeschnitten sind. Bei der koreanischen Jacke verbindet eine Naht die Ärmel- und Rumpfteile, die Ärmel bilden einen 90-Grad-Winkel zu Vorder- und Rückenteil. Bei der europäischen Aufteilung liegen die Ärmel im schrägen Fadenlauf und fallen weicher, das reduziert schon einmal die Faltenbildung. Außerdem entspricht der 45-Grad-Winkel der Ärmel schon einigermaßen der natürlichen Armhaltung. Auch eingesetzte Ärmel sind letztlich nichts anderes als Stoffröhren, die in einem relativ spitzen Winkel von den Rumpfteilen abgehen. Kein Wunder also, dass solche Ärmel vergleichsweise wenig Falten schlagen. Der koreanische Ärmel muss hingegen zwangsläufig Falten bilden, es sei denn die Trägerin streckt die Arme im 90-Grad-Winkel vom Körper weg.
Aus all dem schließe ich: die Falten sind offenbar kein Problem. Nur aus unseren eingelernten Maßstäben und Vorstellungen heraus sind sie eines. Wie befreiend! Und wie erhellend, auf diese Weise etwas über die Relativität von Bewertungen und über unsere Bekleidungsgewohnheiten zu lernen.
Nachdem ich die Ärmelfalten also als Problem wegdefiniert hatte, entschloss ich mich, jetzt einfach den Wollstoff zuzuschneiden. Durch die leichte Wattierung wird das Material sowieso anders fallen als der dünne Baumwollstoff des Probeteils.
Der Rock
Was den Rock des Ensembles betrifft, entschloss ich mich, mich dort nicht weiter mit komplizierten Schnitten zu verkünsteln: das wird ein einfacher Tellerrock. Bei dem locker gewebten, sehr leicht fransenden Stoff war die Stütznaht rund um den Taillenausschnitt überlebenswichtig.
Und einen Stoff, der sich am Saum derartig aushängt, habe ich auch noch nie erlebt. Das Rockteil darf sich nun noch etwas am Bügel entspannen, mit dem Wattieren der Jackenteile werde ich heute wahrscheinlich noch beginnen.
Alle Zwischenstände wie immer gesammelt bei MamaMachtsachen.
Ganz genau so ist das: Manche klassische oder sagen wir traditionelle Schnittformen bedingen bestimmte Falten. Bei meinem Kleid, das ich ja parallel mache zu deinem im Rahmen der NfL Challenge hier , ist es ganz ähnlich (die verbreiterte Achsel betreffend) aber ich will hier an dieser Stelle nicht noch mehr über MEIN Projekt schwafeln sondern hier geht es ja um deines. Auf jeden Fall ist es interessant mitzuverfolgen wie du alles ergründest und wie deine NfL-Kleidung Form annimmt!
AntwortenLöschenHängst du deinen Tellerrock Stoff eigentlich auch mit Wäscheklammern aus oder gar nicht? Hab selbst noch niemals einen Teller (oder auch nur einen halben) genäht.
Liebe Grüße
Immi
Ich lasse den Teller jetzt einfach mal so hängen - vor allem, weil die paar Wäscheklammern, die ich habe, ständig in Benutzung sind... Mal sehen, ob das ausreicht. Falls der Rocksaum nachher doch noch wächst, lässt sich das ja beheben.
LöschenDas ist wirklich spannend, deinem Jäckchen bei der Entstehung zuzuschauen. Mindestens genauso spannend ist auch die Realisation, was so alles zur europäischen Sehgewohnheit gehört - nicht nur Silhouetten!!!
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Constance
Sehr spannend ist die Verwandlung Deines Jäckchens im Vergleich zum 1.Foto. Ich bin gespannt, wie sich die Wattierung auswirkt und die Kombination mir Rock aussehen wird.
AntwortenLöschenLG Ute
"Ich finde es sehr lehrreich, bei der Schnittbastelei zu erleben, welche Folgen einzelne Veränderungen nach sich ziehen"...
AntwortenLöschenda musste ich gerade schmunzeln, denn mir ging es heute genauso!
Deine Probejacke gefällt mir so schon sehr gut.
Vor einiger Zeit hab ich mal eine Anleitung für ein "Hemd" gesehen. Das war nur aus Rechtecken konstruiert und hatte demzufolge auch 90 Grad Winkel am Ärmel. Ich denke, diese Konstruktion war auch früher bei uns gängig und wurde später einfach von besser bzw. anders sitzender Kleidung abgelöst.
Ich finde es total spannend, was man so alles erforscht bei diesem Projekt.
Liebe Grüße
Sehr interessant und Du beschreibst das genau richtig, Es ist eine Frage unserer westlichen Sehgewohnheit. Der Rock sieht schonmal super aus. Jetzt bin ich unglaublich auf die Wattierung gespannt. Liebe Grüße Susi
AntwortenLöschenGefällt mir gut!
AntwortenLöschenKleine Geschichte zu Sehgewohnheiten gefällig? Ende der 60er Jahre habe ich meine Mutter, die eine gelernte Schneiderin und Schnittdirektrice war, einmal händeringend gebeten, mir eine Bluse/einen Kasack, jedenfalls ein Oberteil zu nähen mit gerade eingesetztem Ärmel. Das hatte ich gerade im Skandinavienurlaub gesehen und so was gab es hier käuflich nicht zu erwerben. Ich fand das todschick und wollte so etwas unbedingt haben. Meine Mutter und Fachfrau hat mir lang und breit erklärt, warum der Ärmel nie "sitzen" könne. Und ich musste wirklich monatelang quängeln, bis sie sich einen Ruck gab und nach meinen Angaben nähte. Damit war ich glücklich und der Mode um zwei, drei Jahre voraus - jedenfalls hat mich die Liebe zu diesen einfachen, legeren Schnitten aus schönen Stoffen nie wieder losgelassen. (Auch wenn ich als junge Frau auch gerne hautenge Kleidung getragen habe...)
Ich freue mich auf dein Endprodukt!
Im Netz hatte ich auch schon eine Anleitung für ein Jeogori entdeckt, da war der Rücken vom Ärmel bis zur Mitte in einem nur einem einzigen Teil geschnitten.
AntwortenLöschenAußerdem sind viele Ärmel moderner Strickanleitungen so aufgebaut, also eine Art Fledermausärmel - die haben grundsätzlich Falten; aber da gehörtes eben wie bei Deinem Jäckchen zum Design.
Und wegen Länge: ich würde entweder für lang (wie Du's ganz am Anfang hattest) oder so kurz wie jetzt plädieren. Die Länge dazwischen fand ich nichts Halbes und nichts Ganzes.
Ich finde das total interessant, was Du da beschreibst. Der große Vorteil an nicht so faltenfreien Ärmeln ist sicherlich, dass man die Arme viel besser bewegen kann, ohne dass das ganze Kleidungsstück gleich drei Kilometer in die Höhe rutscht. Klingt auf jeden Fall sehr bequem zu tragen.
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