Sonntag, 23. Februar 2014
Stoffspielerei im Februar: Mit Webebörtchen zurück in die Sechziger
Ach ich hatte ja wieder Ideen für die Stoffspielerei! Eigentlich wollte ich weben, schon vor längerer Zeit hatte mir nämlich D. aus der Quiltgruppe einen Webrahmen überlassen. Aber was und wie und mit welchem Material? Über ein paar theoretische Ideen kam ich nicht heraus, anstatt einfach mal anzufangen.
Eine Handarbeitstechnik aus meiner Sammlung alter Zeitschriften erschien mir etwas unaufwendiger und schneller zu realisieren: Webebörtchen (Handarbeiten und Hauswirtschaft Heft 6/1953).
Die Technik ist vom Ablauf her wirklich einfach. Man zieht aus einem groben Gewebe in Leinwandbindung einige nebeneinander liegende Schusss- oder Kettfäden heraus, so ähnlich wie für einen Hohlsaum. In diese Lücke im Stoff werden bunte Fäden, zum Beispiel Stickgarn, mit einer Nadel eingewebt, sie ersetzen die entfernten Gewebefäden. Mit einiger Zählerei entstehen Muster: man webt das neue Garn nicht über-unter-über-unter ein, so wie die Struktur des Stoffes einmal war, sondern webt z. B. immer drei über-drei unter, in der nächsten Reihe versetzt oder ähnliches.
Die allereinfachste Form ist die Durchzugarbeit, die Ruth Zechlin im Werkbuch für Mädchen als "einfache Handarbeit, wie sie schon sechs-bis siebenjährige Kinder herstellen können" vorstellt (24. Auflage, 1960). Dabei werden ein- bis zwei Gewebefäden entfernt, um Platz zu schaffen, an den dritten Faden wird das Ziergarn angeknotet und vorsichtig in Lücke eingezogen, während der Gewebefaden ganz herausgezogen wird.
Ich kann mich erinnern, dass ich so eine Durchzugsarbeit mit sechs oder sieben (und weit nach der Jahr 1960) tatsächlich einmal gemacht hatte, die Sache hatte mich aber nicht länger als zehn Minuten fesseln können. Auf der Suche nach geeigneten Stoffen im Fundus fiel mir zuerst eine grob gewebte indische Baumwolltischdecke in die Hände.
Kette und Schuss waren zwar gut erkennbar und es war mit Geduld und viel Pulerei sogar möglich, Fäden herauszuziehen und Sticktwist (zweifädig geteilt) einzuziehen, das Ergebnis lohnte die Mühe aber nicht. Das eingezogene Garn bettet sich nicht besonders gut in die Stoffstruktur ein, es wirkt wie ein Webfehler und ist auch nicht besonders gut sichtbar. Ich kann nicht sagen, ob ich Kett-oder Schussfäden herausgezogen habe, möglicherweise würde das Ergebnis anders ausfallen, wenn ich das Einziehen noch einmal in der anderen Geweberichtung probierte.
Für den nächsten Versuch suchte ich nach richtigem Handarbeitsstoff. Bei Handarbeitsstoffen sind nämlich Kett- und Schussfäden genau gleich dick, wodurch die Gewebekreuzungen exakte Quadrate bilden. Außerdem sind die Gewebefäden stärker verzwirnt als bei normalen Stoffen, so dass sie sich leichter herausziehen lassen.
Der Stoff könnte sogar aus den Sechzigern stammen, das verschossene rotstichige Violett ist jedenfalls eine Farbe, die man heute nicht mehr so häufig findet. Das Durchziehen der Fäden funktionierte damit erheblich besser. Die Gewebefäden sind stabiler und reißen nicht so schnell und lassen sich leichter aus dem Gewebeverband lockern. Ich verwendete dreifädig geteilten Sticktwist und zog zwei Fäden parallel ein (ganz unten).
Darüber probierte ich die Webebörtchen aus Handarbeiten und Hauswirtschaft aus. Die Anleitung aus dem Heft, das sich an gelernte Handarbeitslehrerinnen richtet, ist ziemlich knapp und erklärt im Grunde gar nicht, wie man am besten vorgeht. Ich dachte mir, dass man am besten immer nur zwei bis drei Fäden auszieht und gleich wieder Fäden einwebt. Das funktionierte dann wirklich ganz gut.
Die Fadenzählerei bei der ersten Reihe - in den späteren Reihen kann man sich an der ersten orientieren - finde ich trotzdem ziemlich mühsam. Es ist die Art exakter Handarbeit, die heute fast vollkommen verschwunden ist. Undenkbar, dass diese Technik in irgendeiner Schule heute noch Thema im Unterricht sein könnte!
Auch der Positiv-Negativ-Effekt von Vorder und Rückseite ist interessant. Die Struktur dieser Borten kann man übers Internet ja leider nur schlecht vermitteln. Sie wirken ganz anders als eine Stickerei, bei der das Stickgarn auf der Oberfläche des Stoffes liegt. Ich werde hier auf jeden Fall weitersticken, in kleinen Portionen, soweit es das Licht und meine Konzentration erlauben - das Ziel ist ein Tischset, dafür sollte meine Geduld gerade reichen.
Weitere Stoffspielereien zum Thema Gewebe:
Suschna nähte und stickte Portraitmedaillons aus transparenten Stoffen.
Griselda webte mit Stoffstreifen.
Ute webte und stickte einen dreieckigen Einsatz.
(Die nächsten Stoffspielereien am 30. 3. bei Karen.)
Rubriken
Sticken,
Stoffspielerei
23 Kommentare:
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Solche Borten habe ich schon gesehen, ohne zu wissen, dass es Durchzugsarbeiten waren. Wieder was gelernt! Und den Ausdruck bzw. die Existenz von Handarbeitsstoffen kannte ich auch nicht. Ist das auch das, was unter "Fahnentuch" läuft?
AntwortenLöschenHätte man am Rand auch den Faden einfach wenden können, d.h. nicht abschneiden? Aber vermutlich geht das bei Stickgarn gar nicht, weil es nicht lang genug ist.
Jedenfalls ist deine Farbkombination sehr gelungen und frisch. Das wären sicher schöne Tischsets oder Servietten. (Für Kleidung ist der Stoff vielleicht zu fest?)
Handarbeitsstoffe haben so eine ganz charakteristische Struktur, viel gröber als Fahnentuch. Vor ein paar Jahren gabs die noch in einiger Auswahl bei Karstadt, in der Filiale am Hermannplatz haben sie jetzt vielleicht noch zwei Ballen. Das Material hast du bestimmt schon mal gesehen, nur nicht bewusst wahrgenommen - man verwendet das auch für Kreuzstichstickereien. Aida von Zweigart zum Beispiel, das wurde 1907 extra fürs Handarbeiten erfunden. Die feiner gewebten Qualitäten könnte man auch für Kleidung verwenden, aber ich weiß nicht so recht, ob das wirklich gekonnt aussehen würde, oder nicht auch selbstgebastelt. Diese Stoffstruktur ist schon etwas speziell - für mich untrennbar mit biederen Tischdecken verknüpft, aber jemand, der das Material nicht kennt, hat diese Assoziation wahrscheinlich gar nicht.
LöschenWenden am Rand würde auch funktionieren, nur dass bei längerem Faden die Knotengefahr steigt. Ich wollte das Stück dort säumen, man könnte aber auch am Rand einige Fäden ziehen und die anderen Fäden auf eine Länge schneiden und als Fransen stehen lassen.
Toll was ich immer lerne wenn ich mir deine Posts anschaue. Die Borten gefallen mir gut und kommen gut zur Geltung. Das kann ich mir auch als Abschluss bei Röcken vorstellen, anstatt Webband oder Borte aufzunähen.
AntwortenLöschenLiebste Grüße und mach weiter so
Fräulein Mai
Klasse, da hast du dir aber Mühe gegeben,
AntwortenLöschenfrüher hab ich auch solche Stickereien gemacht,
aber mittlerweile fehlt mir die Zeit, die guten Augen und die Geduld.
Liebe Grüße
Nähoma
Die Farbzusammenstellung Deiner Durchzugsarbeit gefällt mir und auch die entstehenden grafischen Muster. Beim Lesen nehme ich wahr, dass es nicht so schnell und einfach gemacht ist, wie ich es mir mitunter vorstelle.
AntwortenLöschenFäden gezogen habe ich zuletzt beim Zuschneiden von Gardinen um die Schnittkante zu markieren.
Bei mir gibt es zum Thema eine kleine Webstickerei in einen dreieckigen Holzrahmen.
LG Ute
Und jetzt weiß ich endlich, was "Handarbeitsstoffe" ausmacht. (Geben tut es noch eine ganze Menge davon, in Deutschland gibt es nur nicht mehr viele Läden, die Materialien für Sticken anbieten.)
AntwortenLöschenMarion, ist die Kreuzstickerei in Frankreich wirklich so weit verbreitet wie es in manchen Blogs scheint?
LöschenDer Ton ist ja das vielbeschworene Radiant Orchid- die Pantonefarbe 2014!!
AntwortenLöschenUnd die Stickerei passt super zum Midcenturyhype- jetzt fehlen nur noch ein paar Scheurichvasen und das String-Regal dazu.
Lucy- du setzt Maßstäbe!
Aber im Ernst: Ich dachte immer, solche Muster wären eingewebt. Aber klar kann man das auch händisch machen. So regelmäßig ist das aber sicher eine Präzisionsarbeit und braucht richtig gute Augen und viel Licht. Hast du das auf der Insel gestickt?
(Deine Handarbeitsbuchsammlung ist phantastisch- um da durchzukommen musst du 100 werden. Mindestens.)
Ja, jetzt wo dus sagst... Ich hätte sogar eine passende Vase, aber nicht Scheurich, sondern weißes Porzellan. Wenn das Set fertig ist, werde ich das entsprechend arrangieren, Danke für die Idee! Die Stickerei ist erst diese Woche in Berlin entstanden, da erkältet, war ich aber ein paar Tage tagsüber zuhause. Wenn es nicht so furchtbar ungemütlich abends wäre, würde ich mir eine 100-Watt-Tageslichtbirne anschaffen.
LöschenWunderschöne Farbkombination, ich hätte liebend gern genau SO eine Tischdecke. Ich kann mir gut vorstellen, dass heutzutage niemand mehr sich solch eine Arbeit macht (außer dir). Aber stell dir vor, wie man so häufig wie möglich ein Kaffeetrinken zelebrieren würde mit so einer selbstgemachten Tischdecke. Für dein Arrangement mit weißem Porzellan fände ich Windbeutel oder auch Tiramisu stilistisch und farblich sehr passend!
AntwortenLöschenLiebe Grüße!
Windbeutel! Die sind auch Sechziger. Tiramisu kam erst in den Achtzigern, glaube ich...
LöschenFein, dass du das Thema bearbeitet hast, das wäre es gewesen, aber ich habe es vollkommen verplatscht gedanklich, weil ich durch die Ferien auf längeren Februar aus war, tja.
AntwortenLöschenDu warst sehr geduldig und exakt, bei mir wäre es wohl luftiger ausgefallen. Meine alte Tante hätte wohl gesagt, Mädchen das ist ja Augengift! Violette Grüße!
Schade, das hätte ich gerne gesehen, das wäre interessant geworden - aber ich schließe aus deinen Worten, dass du noch nicht angefangen hattest. Vielleicht doch bis zum nächsten Mal?
LöschenDas sieht nach einer interessanten Technik aus, herzlichen Dank für's vorstellen.
AntwortenLöschenIch habe hier noch rauhe Mengen Bellana (unter dem Namen kenn ich diesen groben Handarbeitsstoff, Aida ist für mich der mit den eingewebten Quadraten) in ekligem Olivgrün, dürfte in etwa gleichalt mit deinem Stöffchen sein. Vielleicht wird er mit so ein paar farbigen Borten doch noch ganz ansehnlich.
Die Farben dieser Handarbeitsstoffe sind meistens ziemlich gewöhnungsbedürftig, den Eindruck hatte ich bisher auch. Olivgrün geht ja vielleicht ganz gut mit rot, schwarz und weiß.
LöschenSehr sehr schön, und es sieht so einfach aus! So ein Stück Handarbeitsstoff hab ich mir auch mal besorgt für Kreuzstich, aber er liegt noch ziemlich jungfräulich herum (wo eigentlich?). Allerdings in so einem komischen salbei-oliv, da finde ich dein Lila richtig schön (und ich bin kein großer lila-Fan).
AntwortenLöschenAm besten gefallen mir die Webborten, du hast die Farben auch perfekt gewählt, so dass man die Kontraste gut sehen kann. Schöne Muster! Und ich kann mir schon vorstellen, dass das ganz anders wirkt als gestickt.
Genau richtig als Tischset, wenn man die entsprechende Geduld hat! Tatsächlich fällt es mir schwer, mir Schüler bei dem Zählen der einzelnen Fäden vorzustellen. Oder eigentlich fällt mir vielleicht nicht mal das schwer, man muss sich nur das entsprechende Gemecker und die aufgeregten Eltern dazu vorstellen :)
Liebe Grüße!
Vielleicht komm ich ja nachträglich diesen Monat oder im März zu meinem eigentlichen Projekt, dann kann ich ja rückverlinken.
Diese Stickerei finde ich grandios. Wenn ich das sehe muß ich an meine Kindheit denken. An bestickte Buchhüllen, Kissenbezüge.
AntwortenLöschenJetzt denke ich an schicke Kissenbezüge, an einen bestickten Rock. Bestickter Jackensaum. Endlos. Das Muster sieht einfach, nicht in der Verarbeitung, aber einfach schnörkellos, geradlinig. Das mag ich so sehr. Und das Schwarz weiß ebenso. Auf dem lila auch toll.
lg monika
Oje, sowas mußte ich in der Schule auch mal machen ... schon lange her und für kleine Mädchen alles andere als aufregend. Wenn wir vielleicht wenigstens so schönen violetten Stoff gehabt hätten ... aber in meiner Erinnerung ist der Stoff beige und der Faden rot.
AntwortenLöschenKlassisch eben. Heute würde mir das vielleicht wieder gefallen.
lieber Gruß
Elke
Wow - das sieht ja toll aus. Mit was für einer Maschine nähst du das denn?
AntwortenLöschenlg Anne
Das ist mit der Hand gemacht - mit Maschinen bekommt man sowas nicht hin.
LöschenLiebe Lucy,
AntwortenLöschenes tut mir leid, das ist eigentlich ein Kommentar für eben Julia, die keine Möglichkeit bietet, als anonyme Kommentatorin zu schreiben. Ich habe gesehen, dass du bei ihr kommentiert hast - würdest du ihn ihr weiter leiten?
http://eben-julia.blogspot.de/2014/03/neues-nahzimmer-einrichten.html
Falls du dich über diesen Post ärgerst und es nicht machen willst, kann ich das verstehen, dann sage es hier als Antwort.
Ich bin ein altes Fossil und diese ganzen neuen Medien sind mir ein Rätsel - daher wusste ich keinen anderen Weg.
Viele Grüße, doju
Liebe Julia,
vielleicht könntest du unter die Schräge ein Einbauregal mit Schiebetüren oder eine Reihe Kommoden oder Schränkchen stellen, die die ganze Breite einnehmen und so hoch sind wie deine Arbeitstische (und ich würde es genauso weiß streichen wie die Wand). Dort kannst du deine Stoffe reinpacken. Die Arbeitstische würde ich dann mit Rollen versehen, so dass sie leicht hin und her zu schieben gehen. Da du auf diese Weise weiter von der Schräge weg bist, kannst du die Maschine mit dem Garnrollenhalter ebenfalls in Reihe vor das Einbauregal stellen. Mit Rollen könntest du evtl. auch den Tisch, der von beiden Seiten zugänglich sein muss evtl. anders stellen. Ich habe zu Hause viele Möbel mit Rollen und ich bin nicht nur beim Staubsaugen froh darüber....
Viele Grüße, doju
Ok, ist weitergeleitet.
LöschenOh, vielen Dank, das ist sehr nett von dir.
LöschenEs wird sich auch nicht wiederholen, versprochen.