Freitag, 29. Mai 2009

Im Kurzwarenrausch in München



Von allen mir bekannten Räuschen ist der Kurzwarenrausch mir der liebste. Man möge mir diesen läppischen Witz verzeihen, aber dieser hübsche weiß-rosa Laden in der Corneliusstraße, nur ein paar Schritte vom Gärtnerplatz, ist wirklich ein Kleinod unter den Kurzwarenläden (und ich wünschte ich würde sowas in Berlin finden).

Natürlich kann man dort auch langweilig-praktisches Nähzubehör, Nähgarn und Reißverschlüsse und aufbügelbare Flicken kaufen. Richtiggehend begeistert bin ich aber von der riesigen Auswahl an Perlen, Borten, Bändern und anderen Verzierungen, die ich so woanders noch nicht gesehen habe. Zum Beispiel gibt es ganz viele verschiedene Stoffblümchen, Satinröschen und Häkelblumen zum Aufnähen. In einem dicken A4-Ordner mit Klarsichthüllen kann man durch alle möglichen gestickten Aufnäher, Pailletten- und Strassmotive blättern. Und erst die Borten und Bänder! Das Bild zeigt noch nicht einmal die ganze Bortenabteilung, links davon und davor steht noch einiges mehr. Da gibt es ungefähr alles – Satin, Samt- und Ripsbänder, gemusterte Schrägstreifen, Zackenlitze, perlenbestickte Tüllborten, elastische Spitze, Wäschegummis in den schönsten Farben, bunte Baumwollhäkelspitze, Borten mit Federn, mit Fransen, mit Perlen, mit Stickereien, mit eingewebten Mustern, mit Bommeln. Alles in sehr guter Qualität, daher nicht billig, aber auch gar kein Vergleich zum Kaufhaus-Standardangebot. Die freundliche Inhaberin bezieht die Ware zum Teil aus Frankreich.


Ich konnte mich jedenfalls mal wieder nicht entscheiden und wie das so ist, fiel mir nachher noch einiges ein, was ich jetzt doch ganz gerne hätte, aber der nächte München-Besuch kommt bestimmt, irgendwann, und dann: KURZWARENRAUSCH!

Ergänzung 22. Juli 2009: Am Wochenende konnte ich mich überzeugen, dass sich der Laden bester Gesundheit erfreut. Bänder von Mokuba aus Japan haben sie auch.



Kurzwarenrausch Sanna Liisa Dollhofer
Corneliusstr. 31
80469 München
www.kurzwarenrausch.de

Öffnungszeiten
Di - Fr 11.00 bis 19.00 Uhr, Sa 11.00 bis 16.00 Uhr, Montags geschlossen

Mittwoch, 27. Mai 2009

Maison Martin Margiela-Ausstellung in München

Das Team aus Styropor

Am Wochenende hatte ich ja, wie letztes Mal erwähnt, sogar noch Zeit, die Austellung über Martin Margiela im Münchner Haus der Kunst zu besuchen. Das war nun keine Ausstellung, in der man zwischen Seidenkleidern in prächtigen Farben, Perlenstickereien und anderen Köstlichkeiten steht, sondern eher ein intellektuelles Vergnügen in weiß, schwarz und grau, aber dank der ezellenten Begleittexte wirklich ein Vergnügen. Ich mag es ja, wenn ich in Ausstellungen etwas lerne und beklage mich immer, wenn mir nichts erklärt wird und ich mir alles selbst zusammenreimen bzw. den teuren Katalog kaufen und gleich in der Ausstellung lesen müsste.

Jedenfalls habe ich nun eine Ahnung bekommen, wieso Martin Margiela als einer der einflussreichsten Modedesigner gilt – wobei sich sein Einfluss nicht darauf bezieht, dass jeder Hans und Franz die Marke kennt und sie gefälscht und bei Ebay angeboten wird, sondern auf seine Wirkung auf andere Designer und sein Vermögen, die Mechanismen des Modegeschäfts zu durchschauen und auf seine Art zu nutzen. Die Firma Maison Martin Margiela gibt es seit 1988, und in einer Zeit, als gerade der Marken- und Logowahn anfing und gleichzeitig die Entwertung von Marken, da man ja in jeder beliebigen asiatischen Hinterhofwerkstatt ganz leicht Logos auf was auch immer drucken kann, ließ Margiela in seine Hauptlinie nur weiße Etiketten ohne Aufschrift einnähen, per Hand, so dass man die weißen Stiche auf der Außenseite des Kleidungsstücks sehen kann. Das ist natürlich auf seine Art auch wieder eine Marke, weil wiedererkennbar, nur nicht so offensichtlich wie ein fettes „D&G“ auf dem T-Shirt (und ich frage mich, ob Margiela auch gefälscht wird. Leider sagte die Austellung dazu nichts).

Experimente mit den menschlichen Proportionen, mit verschiedenen Schulterformen, mit den Aspekten des Alterns von Materialien, mit dem schneidertechnischen Unterbau von Kleidungsstücken – das ist schon alles ziemlich verkopft. Besonders interessant und gerade heute auch besonders aktuell fand ich die Experimente mit Secondhandkleidern oder ungewöhnlichen Materialien. Margiela war der erste, der schon in den achtziger Jahren aus gebrauchten Kleidern neue Kleidungsstücke herstellte, der aber auch Kleidung bewusst mit künstlichen Alterungsspuren versah mit Löchern oder die Nähte nach außen drehte, heute als „used look“ nicht nur bei Jeans auch in ganz gewöhnlichen Läden zu finden. Ein bißchen in Materialien und kunstvoller Verarbeitung schwelgen konnte man bei den Ausstellungsstücken der „Collection Artisanale“, in Handarbeit hergestellten Einzelstücken aus Secondhandmaterial, zum Beispiel einem yetiähnlichen Pelzmantel aus blonden Haarteilen, oder einem Westenoberteil aus weißen Abendhandschuhen, einem Pullover aus Militärsocken und einem weißen Seidenoberteil mit einem Kussmund-Bild aus Knöpfen.

Sehr gefallen hat mir auch ein Film, in dem man zwei langjährige Margiela-Kunden, einen weiblich, einen männlich sehen konnte, die in immer neuen Kombinationen ihrer Kleider vor die Kamera treten. Margiela ist also nicht nur verkopft, sondern auch im Alltag tragbar. Ich jedenfalls werde nun einen dunkelroten Wollblazer, den ich kurz vor dem Abitur gekauft und jahrelang getragen habe nicht wegwerfen, sondern etwas anderes daraus machen, schließlich gefällt mir der Stoff immer noch und da hängen auch Erinnerungen dran.

Ach ja: Die Ausstellung läuft im Haus der Kunst in München noch bis zum 1. Juni (dass ich so rechtzeitig zu einer Veranstaltung hinkomme und dann auch noch darüber schreibe, so dass ich jemanden mit meiner Begeisterung anstecken kann, wird in diesem Leben wohl nicht mehr passieren). Die offizielle Webseite ist leider eine Qual fürs Auge, aber auf dieser Seite gibt es die Ausstellungsankündigung noch einmal in voller Länge und in lesbarer Form.
Bilder aus der Ausstellung (durfte man da doch fotografieren?) finden sich hier, hier, hier und hier. Die Süddeutsche Zeitung hat einen der wenigen Artikel veröffentlicht, der nicht nur den Text der Ausstellungsbroschüre zusammenfasst. Und in der Zeit gibt es sogar ein Schnittschema für ein Wickelkleid von Margiela (Bild 10).

Sonntag, 24. Mai 2009

Eine Kurzreise in Bildern

Erste Station: Leipzig.

Garten der GfzK in Leipzig

Erst ein kleines Arbeitstreffen, aber auch Zeit, bei schönem Wetter hübsch im Schatten zu sitzen, zum Beispiel im Garten der Galerie für zeitgenössische Kunst.

Am nächsten Tag ging es weiter nach Süden, nach München. Auf der Prinzregentenstraße war die Reise schon zuende.

Toyota nach Auffahrunfall

Glücklicherweise ist niemandem etwas passiert und der Fahrzeugbesitzer trägt den Verlust seines Gefährts mit Fassung.

Der Besuch war trotzdem schön - wenn man bei einem Freund in der Nähe vom Gärtnerplatz wohnt, ist ein Auto ja sowieso eher hinderlich. Und obwohl die Frage "Verschrotten oder an einen dieser kärtchenverteilenden Autoschieber verkaufen?" geregelt werden musste, war Zeit für einen Ausstellungsbesuch.

Plakat zur Ausstellung Martin Margiela in München

Die Ausstellung über Martin Margiela im Haus der Kunst geht nur noch bis zum 1. Juni - geht hin, wenn ihr in der Gegend seid.

Deckenlampe im Kreuzberger München

Ganz und gar untouristische Münchner Lokale gibt es auch, zum Beispiel den Kreuzberger.

Bortensortiment im Kurzwarenrausch München

Und schöne Läden! Hier in diesem konnte ich ein bißchen stöbern, während draußen ein tropisches Gewitter niederging.



Rückfahrt per Bahn - der ACE bezahlt eine Rückfahrt erster Klasse. Einem geschockten Ex-Autobesitzer, der gerade seinen blechernen Liebling verloren hat, darf man nicht gleich zu viel zumuten.

Nun bin ich wieder zuhause und erhole mich noch etwas für die neue Woche. Hattet ihr auch ein schönes Wochenende?

Freitag, 22. Mai 2009

Hamburg und Leipzig habens gut

Dort gibt es nun nämlich Burdastyle Sewing Clubs, in denen sich Nähinteressierte treffen und austauschen können, denn das Hobby macht ja bekanntlich noch mehr Spaß, wenn man es mit Gleichgesinnten teilen kann. Burdastyle.com, das amerikanische Pendant zu burdamode.com mit einer Menge Schnittmustern, Anleitungen und inspirierenden Fotos, liefert für diese „Clubs“, so weit ich das verstanden habe, wenig mehr als den Namen, die Möglichkeit, über das Profil bei burdastyle in Kontakt zu treten und ein bißchen ideelle Unterstützung.

Aber entscheidend ist ja nicht der Name, sondern die Idee, und was man daraus macht. In Hamburg hat sich Sinje der Sache angenommen, und für das Nähcafé gleich ein Gemeinschaftsblog eingerichtet, einen Plan für das erste Treffen erstellt, ihre Idee des Nähcafés skizziert – klingt alles sehr verführerisch, nicht wahr? Würde ich noch in Hamburg wohnen, wäre ich sofort dabei. So aber lese ich ihr eigenes Blog Mighty Mouse, denn Sinje findet neben Studieren, Reiten (und wer weiß neben was sonst noch) auch noch Zeit, eine Menge zu nähen und wirklich witzig darüber zu schreiben. frau_lau, die Leipziger Initiatorin des Nähklubs, schreibt übrigens auch das Blog Tagträumerin, wenn mich nicht alles täuscht. Viel Erfolg Euch beiden!

Nicht vergessen:

Freitag, 15. Mai 2009

Textile Monatsseite April: Frühling, aber ordentlich bitte!



Ein sehr ordentlicher Frühling, das war der April. Nachdem es am 24. März noch etwas geschneit hatte, sichtete ich bereits am 3. April am Landwehrkanal den ersten Jogger mit nacktem Oberkörper (zugegeben, der Bursche hatte auch etwas vorzuzeigen, übertrieben war es trotzdem). In den Wochen danach konnte man eine Blüten- und Blätterexplosion sondergleichen beobachten, sogar hier in der Stadt, wo Natur ja doch immer nur in Ausschnitten vorkommt. Dieses plötzliche Wachstum überall nach den Wintermonaten ist ja im Prinzip jedes Jahr das gleiche, sollte man meinen, trotzdem kam es mir in diesem April schneller und intensiver als sonst vor – aber das kann auch eine Täuschung sein und nur dem Kontrast zu dem doch sehr langen Winter geschuldet.



Obwohl draußen dann endlich alles wuchs, wollte bei der Monatsseite April zunächst erstmal gar nichts wachsen. Bis Mitte April hatte ich nur Ideen, die mich aber nicht so packten, dass ich sie weiter verfolgen wollte. Dann packten mich ein paar Sorgen (die quasi aus dem Nichts wuchsen), und obwohl vom Sich-Sorgen-machen ja im allgemeinen sehr abgeraten wird, verhinderten sie jedenfalls gründlich, dass hier irgendwelche Ideen keimen konnten. Als sich die Sorgen aufgelöst hatten, nähte ich etwas unmotiviert die ausgeschnittenen Kreise der Monatsseite März auf einen apfelgrünen Hintergund, weil ich dachte, dass man aus diesen Resten doch noch etwas machen könnte und weil ich dieses ganz bestimmte gelbstichige Hellgrün ganz besonders mit dem Frühling, nämlich mit der Farbe frischer junger Blätter verbinde.



Die betongrauen Stoffkreise, in der Größe gestaffelt und im Raster angeordnet, gefielen mir nun aber nicht. Viel zu ordentlich, eine seltsame Art von Mengenlehre, und anstatt sie von anderen (nur welchen?) Strukturen überwuchern zu lassen, fing ich noch einmal von vorne an.
Verschiedene Grüntöne auf hellgrün, verlaufend sollten es sein, darin und dazwischen bunte Blüten. Dass ich mit den gestickten Kreisen, versetzt angeordnet, letztlich wieder ein Raster herstellte, fiel mir zunächst nicht auf. Erst als schon ziemlich viel dazwischen mit Kettenstich ausgefüllt war. Nun denn, ich gab mich also dem Raster geschlagen, und so wurde es nun ein ordentlicher Frühling, ordentlich in beiden Bedeutungen.



Die plastischen Blüten bestehen aus Stoffkreisen aus verschiedenen weißen, pastellfarbenen und zart gestreiften Stoffen, die ich mit roter Ostereierfarbe (eine Tablette Rot, aufgelöst in heißem Wasser) vom Rand aus zart verlaufend rosa färbte. Für eine Blüte sind jeweils zwei Kreise übereinander mit ein paar Handstichen befestigt und im Knötchenstich zusätzlich bestickt.



Für den Mai bin ich mal gespannt, ob ich ohne Raster auskomme. Eine Idee für die Grundstruktur habe ich schon, ich möchte von einem unregelmäßigen Log-Cabin-Quadrat ausgehen. Hoffen wir, dass es tatsächlich unregelmäßig wird.



Auch die Monatsseiten der Mitstreiterinnen behandeln das Blütenthema: Suschna applizierte für eine Geburtstagstischdecke Kirschblüten und Silbertaler und wird die Decke in den nächsten Monaten mit weiteren Pflanzenporträts füllen. Griseldas Monatsset April porträtierte Traubenhyzinthen und (gelbblühendes, mehrjähriges) Steinkraut auf Türkis mit Braun, Monika fügte die Seite von April mit der Märzseite zu einem blumigen Kissen zusammen und Kaze zeigt applizierte und handgequiltete vielschichtige Blumen. Tally ist (glaube ich) gerade verreist, und hat ihre Monatsseiten für Juni angekündigt - ich warte gerne!

Montag, 11. Mai 2009

Sieben Antworten aus dem Nähkästchen...

... weitergereicht von Britta von Tischis Welt. Alles mehr oder weniger offene Geheimnisse.



1. Handgestricktes nähe ich mit der Maschine zusammen. Ein Verstoß gegen die reine Lehre, so weit ich weiß, aber für mich die einzig wahre Methode. Obwohl ich gerne und gut mit der Hand nähe – bei Strickteilen versage ich, die Nähte werden wulstig und mühsam ist das ganze außerdem. Daher: normales Polyesternähgarn, leichter Zickzack, die Naht noch einmal dämpfen und bloß keiner Strickerin erzählen, wie der Pullover von innen aussieht.

2. Mir fällt es schwer, mich über fertig Genähtes wirklich zu freuen und etwas, das längere Zeit eine Nähaufgabe war, als Kleidungsstück zu akzeptieren. Dieses prickelnde Gefühl von „Toll! Ich hab was schönes Neues!“ habe ich nur bei gekauften Sachen. Leider ist es mir noch nicht gelungen, dieses Gefühl durch „Toll, das habe ich selbst gemacht und das hat keiner sonst!“ zu ersetzen, aber ich arbeite daran. Eine konsumkritische Haltung ist manchmal gar nicht so einfach.

3. Ich habe noch nie einen Kurs besucht, der das Hobby betrifft. Gehört zu den Dingen, die ich unbedingt machen möchte. Der Siebdruckkurs im letztem Winter scheiterte daran, dass ich wegen anderer Verpflichtungen nur an der Hälfte der Kurstage Zeit gehabt hätte, und so war es bisher immer.

4. Ich sammele ältere und alte Näh- und Handarbeitsbücher und wenn meine Zeit es erlaubt, werde ich auch einmal einige hier vorstellen. Ich mag die Illustrationen, die ganze Aufmachung, die mitgelieferte Lebenshilfe, und selbst im Inferno der Siebzigerjahremuster und -farben gibt es immer wieder originelle Ideen. Manches, was jetzt als „der neue Handarbeits-Trend“ propagiert wird, findet sich schon in dreißig oder vierzig Jahre alten Büchern.

5. Der hier kürzlich besprochene Nähwagen hat die jüngste Ausmist- und Frühjahrsputzaktion im Hause Nahtzugabe nicht überlebt. Seit meiner Bekanntschaft mit seinem pulverisierten Schaumstoffinnenleben hatte sich meine Begeisterung, so vorhanden, schon etwas gelegt. Dazu noch die hausinterne Opposition – als wir sowieso wegen einem nicht mehr benutzbaren Bügelbrett mit Knick im Gestell zum Müllplatz fahren mussten, willigte ich schließlich ein und er kam mit. Dort musste ich tatsächlich das Wegwerfen des kaputten Bügelbretts gegenüber einer anderen Recyclinghof-Kundin verteidigen („Das wollen Sie wegwerfen?! Unglaublich, sowas habe ich mir gerade gekauft!“), während der Nähwagen völlig unbeachtet in den Container wanderte. Armes Ding.

6. Durch das Bloggen habe ich erst den Spaß am Schreiben wiedergefunden. Unglaublich, weil ich nicht gedacht hatte, dass das überhaupt möglich wäre.

7. Kein Geheimnis: Die Monatsseite April ist schon seit über einer Woche fertig, auch schon fotografiert, aber der Text dazu dauert noch. Nach wie vor bin ich nämlich eine eher langsame Schreiberin, aber das macht nichts, Hauptsache es tut nicht mehr weh.

Donnerstag, 7. Mai 2009

Protest!

Im Grunde bin ich ja keine große Demo-Gängerin. Einmal wegen der unvermeidlichen und unerfreulichen Begleitumstände des Demonstrierens – stundenlanges Herumlaufen, gerne in den Abgasen wartender Autoschlangen, Herumstehen, Anhören stockend abgelesener Redebeiträge, Gedrängel, häufig auch noch politisch zweifelhafte Gesellschaft und Trillerpfeifen. Zweitens demonstrierte ich mal eine Zeit lang recht intensiv mit – damals ging es um die Hochschulreformen in Sachsen – und das war sowas von erfolglos, dass ich in den Semestern danach schnell meinen Abschluss machte, um von den Reformen wenigstens nicht mehr selbst betroffen zu sein.



Mein Glauben an die politische Wirksamkeit von Demonstrationen und die mögliche Verbesserung der Welt durch meinen Einsatz hatte also etwas gelitten, so dass mein Liebster vor zweieinhalb Wochen größere Überzeugungskraft benötigte, um mich zum Mitmachen bei einer Demo gegen den Weiterbau der A100 von Neukölln nach Treptow zu bewegen. Dieses geplante Autobahnteilstück von drei Kilometern wird vermutlich mehr als 420 Millionen Euro kosten, was aber gar nichts macht, so die Argumentation des Berliner Senats, weil der Bund fast alles bezahlt. In Alt-Treptow sollen drei Gründerzeitwohnhäuser, etliche Gärten und ein Teil einer denkmalgeschützten riesigen Platanenallee für die Autobahn weggerissen werden – mal abgesehen davon, dass der Verkehr dann mitten in die Umweltzone an die Grenze zu Friedrichshain-Kreuzberg geleitet wird, wo es sich jeden Tag sowieso schon staut. Zur Zeit werden die Einwendungen gegen die Planungen geprüft, über den aktuellen Stand kann man sich auf der Webseite der Bürgerinitiative gegen den Stadtring Süd informieren.



Auf der Abschlussveranstaltung traf ich zufällig A., die ich aus der Nähgruppe kenne, die ihre Freizeit im Moment aber eher dem Kampf gegen die Autobahn denn dem Nähen widmet. Von ihr bekam ich ein Protesttaschentuch geschenkt – die Bürgerinitiative hatte ihr Anti-Autobahn-Motiv nicht nur auf T-Shirts und Aufkleber, sondern auch auf ein paar Stofftaschentücher vom Flohmarkt drucken lassen, die jetzt zum Beispiel in Läden und Cafés hier in der Nachbarschaft hängen.

Ein guter Geist bewahrte mich gerade noch vor meiner spontanen aber paradoxen Idee, das Taschentuch in das Auto des Liebsten zu hängen. Mit einem Auto gegen eine Autobahn protestieren? Lieber nicht, auch wenn mir A.versicherte, es gehe keinesfalls gegen Autos an sich. So nähte ich am vorletzten Wochenende lieber eine stabile Einkaufstasche aus schwarzer Jeans, für das umweltfreundliche Einkaufen zu Fuß. Stoffe und die rote Spitze hatte ich noch da, wobei ich so planlos loslegte, dass der schwarze Stoff für die Henkel (zwei kurze und ein langer zum variablen Tragen) nicht mehr ganz ausreichte. Es fand sich dann aber noch ein halbes abgeschnittenes Hosenbein, so dass die Henkel jetzt extra stabil und mit Paspeleffekt blau gefüttert sind. Sehr praktisch, wie ich am Montag feststellen durfte, als ich meine Sachen für die Nähgruppe verstaute. Davon brauche ich unbedingt noch mehr.