Sonntag, 23. Februar 2014
Stoffspielerei im Februar: Mit Webebörtchen zurück in die Sechziger
Ach ich hatte ja wieder Ideen für die Stoffspielerei! Eigentlich wollte ich weben, schon vor längerer Zeit hatte mir nämlich D. aus der Quiltgruppe einen Webrahmen überlassen. Aber was und wie und mit welchem Material? Über ein paar theoretische Ideen kam ich nicht heraus, anstatt einfach mal anzufangen.
Eine Handarbeitstechnik aus meiner Sammlung alter Zeitschriften erschien mir etwas unaufwendiger und schneller zu realisieren: Webebörtchen (Handarbeiten und Hauswirtschaft Heft 6/1953).
Die Technik ist vom Ablauf her wirklich einfach. Man zieht aus einem groben Gewebe in Leinwandbindung einige nebeneinander liegende Schusss- oder Kettfäden heraus, so ähnlich wie für einen Hohlsaum. In diese Lücke im Stoff werden bunte Fäden, zum Beispiel Stickgarn, mit einer Nadel eingewebt, sie ersetzen die entfernten Gewebefäden. Mit einiger Zählerei entstehen Muster: man webt das neue Garn nicht über-unter-über-unter ein, so wie die Struktur des Stoffes einmal war, sondern webt z. B. immer drei über-drei unter, in der nächsten Reihe versetzt oder ähnliches.
Die allereinfachste Form ist die Durchzugarbeit, die Ruth Zechlin im Werkbuch für Mädchen als "einfache Handarbeit, wie sie schon sechs-bis siebenjährige Kinder herstellen können" vorstellt (24. Auflage, 1960). Dabei werden ein- bis zwei Gewebefäden entfernt, um Platz zu schaffen, an den dritten Faden wird das Ziergarn angeknotet und vorsichtig in Lücke eingezogen, während der Gewebefaden ganz herausgezogen wird.
Ich kann mich erinnern, dass ich so eine Durchzugsarbeit mit sechs oder sieben (und weit nach der Jahr 1960) tatsächlich einmal gemacht hatte, die Sache hatte mich aber nicht länger als zehn Minuten fesseln können. Auf der Suche nach geeigneten Stoffen im Fundus fiel mir zuerst eine grob gewebte indische Baumwolltischdecke in die Hände.
Kette und Schuss waren zwar gut erkennbar und es war mit Geduld und viel Pulerei sogar möglich, Fäden herauszuziehen und Sticktwist (zweifädig geteilt) einzuziehen, das Ergebnis lohnte die Mühe aber nicht. Das eingezogene Garn bettet sich nicht besonders gut in die Stoffstruktur ein, es wirkt wie ein Webfehler und ist auch nicht besonders gut sichtbar. Ich kann nicht sagen, ob ich Kett-oder Schussfäden herausgezogen habe, möglicherweise würde das Ergebnis anders ausfallen, wenn ich das Einziehen noch einmal in der anderen Geweberichtung probierte.
Für den nächsten Versuch suchte ich nach richtigem Handarbeitsstoff. Bei Handarbeitsstoffen sind nämlich Kett- und Schussfäden genau gleich dick, wodurch die Gewebekreuzungen exakte Quadrate bilden. Außerdem sind die Gewebefäden stärker verzwirnt als bei normalen Stoffen, so dass sie sich leichter herausziehen lassen.
Der Stoff könnte sogar aus den Sechzigern stammen, das verschossene rotstichige Violett ist jedenfalls eine Farbe, die man heute nicht mehr so häufig findet. Das Durchziehen der Fäden funktionierte damit erheblich besser. Die Gewebefäden sind stabiler und reißen nicht so schnell und lassen sich leichter aus dem Gewebeverband lockern. Ich verwendete dreifädig geteilten Sticktwist und zog zwei Fäden parallel ein (ganz unten).
Darüber probierte ich die Webebörtchen aus Handarbeiten und Hauswirtschaft aus. Die Anleitung aus dem Heft, das sich an gelernte Handarbeitslehrerinnen richtet, ist ziemlich knapp und erklärt im Grunde gar nicht, wie man am besten vorgeht. Ich dachte mir, dass man am besten immer nur zwei bis drei Fäden auszieht und gleich wieder Fäden einwebt. Das funktionierte dann wirklich ganz gut.
Die Fadenzählerei bei der ersten Reihe - in den späteren Reihen kann man sich an der ersten orientieren - finde ich trotzdem ziemlich mühsam. Es ist die Art exakter Handarbeit, die heute fast vollkommen verschwunden ist. Undenkbar, dass diese Technik in irgendeiner Schule heute noch Thema im Unterricht sein könnte!
Auch der Positiv-Negativ-Effekt von Vorder und Rückseite ist interessant. Die Struktur dieser Borten kann man übers Internet ja leider nur schlecht vermitteln. Sie wirken ganz anders als eine Stickerei, bei der das Stickgarn auf der Oberfläche des Stoffes liegt. Ich werde hier auf jeden Fall weitersticken, in kleinen Portionen, soweit es das Licht und meine Konzentration erlauben - das Ziel ist ein Tischset, dafür sollte meine Geduld gerade reichen.
Weitere Stoffspielereien zum Thema Gewebe:
Suschna nähte und stickte Portraitmedaillons aus transparenten Stoffen.
Griselda webte mit Stoffstreifen.
Ute webte und stickte einen dreieckigen Einsatz.
(Die nächsten Stoffspielereien am 30. 3. bei Karen.)
Samstag, 22. Februar 2014
Berliner Dekadenz
Vor ein paar Wochen hatte ich ja schon kurz vom Nähen der Morgenjacke berichtet und möchte heute noch die fertige Jacke hier nachtragen. Im Zuge der Morgenmantel-Diskussion bei Suschna tauchte die Frage auf: Wann und wie trägt man sowas? Passt das auch zu dicken Socken? Die Vermutung stand im Raum, ein Morgenmantel verlange einen ganz bestimmten, mondänen Lebensstil, und zwischen den Zeilen las ich die Einschränkung: einen Lebensstil nämlich, für den fleißige, arbeitende Menschen keine Zeit haben. Das sei ja ganz netter Luxus, eine Spielerei, wieder so eine Idee der überspannten Berlinerinnen, aber mit einem Durchschnittsleben als Arbeitnehmerin nicht kompatibel.
Ist es Luxus? Aber ja! Eine Spielerei? Na klar! Nicht alltagstauglich? Aber doch! Also es ist ja nicht so, dass wir nähenden Morgenmantelbesitzerinnen (und wir sind viele: Wiebke hat schon den zweiten, die Sachenmacherin hat einen, Floh hat einen, Siebensachen verwendete das gleiche Schnittmuster wie ich, Suschna hat bald einen und Nastjuscha hat ihren nur aufgeschoben), also dass wir Morgenmantelbesitzerinnen in- und außerhalb Berlins nur den ganzen Tag in unseren Morgenmänteln auf dem Sofa säßen, Zigarren rauchten, Kaffee tränken und in Nähzeitschriften blätterten. Auch wenn das, zugegeben, eine verlockende Vorstellung ist.
Ich trage meine Morgenjacke regelmäßig: zwischen Aufstehen und Anziehen, zwischen 7 Uhr und 7.30 Uhr, auch mal am Abend, bei Erkältung länger - auch tagsüber auf dem Sofa. Jetzt könnte man fragen: Ein Kleidungsstück für etwa 45 Minuten Netto-Tragezeit am Tag nähen, lohnt sich denn das? Braucht man das wirklich?
Aber das ist ja so eine Sache mit dem "brauchen" bei uns: Was ist denn wirklich unverzichtbar? Braucht Berlin ein Stadtschloss? Brauchen die Stuttgarter einen neuen Hauptbahnhof, die Leipziger den Citytunnel, die Dresdner die Frauenkirche und die Hamburger die Elbphilharmonie? Oder gibt es nicht einfach Dinge, die man gerne haben will, auch wenn sie weder praktisch noch wahnsinnig nützlich sind? Die Helgoland-Morgenjacke ist mein Stadtschloss! Und ich versuche gar nicht erst, eine großartige rationale Begründung für das Bedürfnis nach diesem Kleidungsstück anzuführen. Nur dass es sich sehr luxuriös und ein klein wenig dekadent anfühlt, nach dem Aufstehen und vor dem Anziehen in diese Jacke zu schlüpfen. Und jeden Tag eine kleine Dosis Dekadenz und Luxus, das ist doch ein Grund für den es sich zu nähen lohnt, oder?
Noch ein paar Worte zum Schnitt und zur Konstruktion: Der Schnitt ist Nummer 116 aus Burdastyle 12/2013 in der längeren Version (B) mit den langen Ärmeln von Version A. Die schwarze Paspel am Ärmel sitzt auf der Linie, die im Schnittmuster für die Dreiviertelärmel eingezeichnet ist. Dieser Ärmelabschluss ist doppelt: am Saum verstürzt, das Ärmelfutter oben mitgefasst. Der Schnitt fällt sehr reichlich aus.
Das türkise Futter war ja ein Krimi für sich: erst beim Nähen hatte ich bemerkt, dass der geplante Stoff nur 1, 20 m breit liegt, so dass die Schnittteile für Vorder- und Rückenteil partout nicht darauf unterzubringen waren. Nach ein paar Tagen kam ich auf die Lösung: ich klebte die Schnittteile an der Seitennaht aneinander und teilte sie stattdessen in der Verlängerung der Ärmeleinsatznaht, dort, wo die Naht einen 90-Grad-Winkel bildet. Das Futter besteht damit aus einem Vorderteil, einem Seitenteil und einem Rückenteil, wie man auf dem Foto oben erahnen kann. Die Teile passten gerade so auf den Stoff, nur eines der Seitenteile musste quer zum Maschenlauf zugeschnitten werden. Die Ärmel sind mit normalem schwarzen Futtertaft gefüttert, der Kragen und der Innenbeleg sind aus festen, schwarzem Baumwollsatin.
Hier noch ein Blick auf den türkisen Stoff: es ist ein feiner Jerseyfrottee, in der Dicke liegt er in etwa zwischen Jersey und Sweatshirtstoff. Die Rückseite ist glatt gestrickt und aus Baumwolle oder Viskose, die Vorderseite besteht aus winzigen, sehr kuscheligen Schlaufen aus Polyester, die unter dem Bügeleisen sofort schmelzen, wie ich glücklicherweise noch rechtzeitig bemerkte. In den Läden läuft sowas manchmal unter der Bezeichnung "Sommerfrottee". Ich bin wirklich froh darüber, dass sich der Stoff zufällig in meinem Lager fand, denn als Morgenmantelfutter ist er perfekt. Es muss ja nicht immer Seide sein.
Und nun entschuligt mich - ich muss ein wenig der Dekadenz und dem Luxus frönen und in der Morgenjacke auf dem Sofa sitzen. Auf die Zigarre verzichte ich heute ausnahmsweise, weil ich immer noch erkältet bin, aber ich mache mir gleich noch einen Kaffee. Berliner Latte-Macchiato-Bohème und so, ihr versteht.
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Dienstag, 18. Februar 2014
Wochenrückblick: kostenlose japanische Schnittmuster und eine Stoffmesse in Hamburg
Na toll. Gerade eine Woche wieder zuhause, schon im verkeimten öffentlichen Nahverkehr eine Erkältung eingefangen. Und in Berlin ist die Luft im Winter wirklich nicht gut, vor allem wenn es selten regnet, so wie jetzt, das merkt man aber erst nach einer Woche an der Nordsee. Aber mit viel Wind und interessanten Wolkengebilden kann die Stadt auch aufwarten, und das Lieblingscafe wartete schon sehnlich auf uns.
Selbermachlinks der Woche
Japanische Schnittmuster: Einfache Schnitte aus besten Materialien mit exquisitem Geschmack perfekt verarbeitet, das kennzeichnet das Blog von Yoshimi the flying squirrel. Ich bin schon lange eine große Bewunderin und frage mich bei jedem neuen Stück, ob frau eigentlich Japanerin sein muss, um diese selbstverständliche Perfektion in Herstellung und Präsentation zu erreichen.
Yoshimi verwendet oft die pdf-Schnittmuster der japanischen Indie-Schnittmusterfirma Tamanegi-kobo, die seit kurzem über eine englischsprachige Webseite verfügt. Die Schnittmuster zum Herunterladen sind nicht teuer, außerdem gibt es in jeder Kategorie einige kostenlose Schnitte zum Ausprobieren (Rubrik anklicken und bei Sortierung "price ascending" anwählen, dann werden die kostenlosen Schnitte zuerst angezeigt). Die Anleitungen sind zwar zum größten Teil japanisch, aber das hat die Fans japanischer Schnittmuster ja noch nie gestört, außerdem sollen englische Anleitungen nach und nach ergänzt werden.
Stoffe in Hamburg: In Schnelsen findet am kommenden Wochenende eine Stoffmesse für Endverbraucher statt, die man sich wohl so ähnlich wie einen Holländischen Stoffmarkt in der Halle vorstellen muss. Unter den Ausstellern sind Stoff- und Zubehörhändler aus dem gesamten norddeutschen Raum. (Hamburgerinnen, die ihr da hinfahrt: erzählt doch mal, ob es sich gelohnt hat.) (via @akquisefachfrau)
Zuletzt noch eine traurige Nachricht: das englische Crafty Magazine stellt nach etwas über einem Jahr und nach elf Ausgaben sein Erscheinen ein. Für mich ist Großbritannien ja so etwas wie das Wunderland des Selbermachens, weil es dort ungeheuer viele und zum Teil sehr spezialisierte Handarbeits-, Bastel- und Textilzeitschriften gibt. Schon oft fragte ich mich, warum dort zum Beispiel ein Heft wie Mollie Makes von der Indie-Publikation zu einem kommerziell erfolgreichen Magazinprojekt wachsen kann - und warum das im deutschen Sprachraum anscheinend nicht in der gleichen Weise funktioniert. So weit ich Bescheid weiß, zahlen englische DIY-Magazine sogar ganz ordentliche Honorare für Beiträge, Fotos und Anleitungen, während in Deutschland das Prinzip meistens Ausbeutung und Selbstausbeutung heißt. Aber wie man sieht, ist auch auf den Britischen Inseln längst nicht jede Zeitschrift erfolgreich.
Selbermachlinks der Woche
Japanische Schnittmuster: Einfache Schnitte aus besten Materialien mit exquisitem Geschmack perfekt verarbeitet, das kennzeichnet das Blog von Yoshimi the flying squirrel. Ich bin schon lange eine große Bewunderin und frage mich bei jedem neuen Stück, ob frau eigentlich Japanerin sein muss, um diese selbstverständliche Perfektion in Herstellung und Präsentation zu erreichen.
Yoshimi verwendet oft die pdf-Schnittmuster der japanischen Indie-Schnittmusterfirma Tamanegi-kobo, die seit kurzem über eine englischsprachige Webseite verfügt. Die Schnittmuster zum Herunterladen sind nicht teuer, außerdem gibt es in jeder Kategorie einige kostenlose Schnitte zum Ausprobieren (Rubrik anklicken und bei Sortierung "price ascending" anwählen, dann werden die kostenlosen Schnitte zuerst angezeigt). Die Anleitungen sind zwar zum größten Teil japanisch, aber das hat die Fans japanischer Schnittmuster ja noch nie gestört, außerdem sollen englische Anleitungen nach und nach ergänzt werden.
Stoffe in Hamburg: In Schnelsen findet am kommenden Wochenende eine Stoffmesse für Endverbraucher statt, die man sich wohl so ähnlich wie einen Holländischen Stoffmarkt in der Halle vorstellen muss. Unter den Ausstellern sind Stoff- und Zubehörhändler aus dem gesamten norddeutschen Raum. (Hamburgerinnen, die ihr da hinfahrt: erzählt doch mal, ob es sich gelohnt hat.) (via @akquisefachfrau)
Zuletzt noch eine traurige Nachricht: das englische Crafty Magazine stellt nach etwas über einem Jahr und nach elf Ausgaben sein Erscheinen ein. Für mich ist Großbritannien ja so etwas wie das Wunderland des Selbermachens, weil es dort ungeheuer viele und zum Teil sehr spezialisierte Handarbeits-, Bastel- und Textilzeitschriften gibt. Schon oft fragte ich mich, warum dort zum Beispiel ein Heft wie Mollie Makes von der Indie-Publikation zu einem kommerziell erfolgreichen Magazinprojekt wachsen kann - und warum das im deutschen Sprachraum anscheinend nicht in der gleichen Weise funktioniert. So weit ich Bescheid weiß, zahlen englische DIY-Magazine sogar ganz ordentliche Honorare für Beiträge, Fotos und Anleitungen, während in Deutschland das Prinzip meistens Ausbeutung und Selbstausbeutung heißt. Aber wie man sieht, ist auch auf den Britischen Inseln längst nicht jede Zeitschrift erfolgreich.
Montag, 17. Februar 2014
From a far away place: Work in progress (Nix für Lemminge 1/4)
Heute ist wieder Zeit für den Zwischenstand im Nix-für-Lemminge-Projekt, initiiert von MamaMachtSachen. In den zwei Wochen seit dem letzten Treffen bastelte ich noch ein bißchen am meinem Probemodell nach Vorbild einer koreanischen Jeogori-Jacke herum.
Diese dritte Version ist noch einmal 5 cm kürzer als der Vorgänger, ich reduzierte die Weite ein wenig und beschnitt die Vorderteile an den Kanten, so dass sie zu Dreiviertel überlappen. Die Jacke soll dort mit drei Knöpfen geschlossen werden.
Ich finde es sehr lehrreich, bei der Schnittbastelei zu erleben, welche Folgen einzelne Veränderungen nach sich ziehen und wie sich bei diesem Projekt die Prinzipien der Schnittaufstellung und auch das Verständnis dessen, wie ein Kleidungsstück zu sitzen und auszusehen hat, von unseren westlichen Vorstellungen unterscheiden.
Dass die engeren Ärmel von Jackenversion 2 und 3 mehr (oder eher: andere) Falten haben als die weiteren Ärmel von Version 1 wurde vor zwei Wochen schon deutlich. Aus unserem westlichen Verständnis heraus bewerten wir solche Falten als Passformmängel: das Ziel ist immer ein möglichst faltenloser Sitz der Kleidung am Körper. Dass dies aber kein allgemeingültiges Ziel sein muss, wurde mir in der vergangenen Woche klar, als ich noch einmal zu meinen Inspirationsfotos zurückkehrte.
Bei den Inspirationsfotos fiel mir jetzt auf, dass fast alle Jeogori-Jacken genau die gleichen Falten am Ärmel zeigen wie mein Probemodell - besonders deutlich werden die Falten z. B. auf diesem Foto. Auf den ersten Blick übersieht man sie gerne, weil man von den tollen Farben und Materialien geblendet wird. Kein einziges Beispiel ist ganz ohne Falten, die relativ faltenlosen modernisierten Exemplare scheinen überschnittene Schultern und zumindest eine Andeutung von Armkugel zu haben, sie weichen also von dem traditionellen Schnittschema ab.
Die traditionelle Form gibt es nicht ohne Falten am Ärmel, es kann sie gar nicht geben: Wenn europäische Schnitte sogenannte Kimonoärmel mit Zwickel haben, dann gibt es in der Regel ein gemeinsames Schnittteil für Vorder- bzw. Rückenteil und Ärmel, wobei die Ärmel in einem Winkel von mehr oder weniger 45 Grad an die Rumpfteile angeschnitten sind. Bei der koreanischen Jacke verbindet eine Naht die Ärmel- und Rumpfteile, die Ärmel bilden einen 90-Grad-Winkel zu Vorder- und Rückenteil. Bei der europäischen Aufteilung liegen die Ärmel im schrägen Fadenlauf und fallen weicher, das reduziert schon einmal die Faltenbildung. Außerdem entspricht der 45-Grad-Winkel der Ärmel schon einigermaßen der natürlichen Armhaltung. Auch eingesetzte Ärmel sind letztlich nichts anderes als Stoffröhren, die in einem relativ spitzen Winkel von den Rumpfteilen abgehen. Kein Wunder also, dass solche Ärmel vergleichsweise wenig Falten schlagen. Der koreanische Ärmel muss hingegen zwangsläufig Falten bilden, es sei denn die Trägerin streckt die Arme im 90-Grad-Winkel vom Körper weg.
Aus all dem schließe ich: die Falten sind offenbar kein Problem. Nur aus unseren eingelernten Maßstäben und Vorstellungen heraus sind sie eines. Wie befreiend! Und wie erhellend, auf diese Weise etwas über die Relativität von Bewertungen und über unsere Bekleidungsgewohnheiten zu lernen.
Nachdem ich die Ärmelfalten also als Problem wegdefiniert hatte, entschloss ich mich, jetzt einfach den Wollstoff zuzuschneiden. Durch die leichte Wattierung wird das Material sowieso anders fallen als der dünne Baumwollstoff des Probeteils.
Was den Rock des Ensembles betrifft, entschloss ich mich, mich dort nicht weiter mit komplizierten Schnitten zu verkünsteln: das wird ein einfacher Tellerrock. Bei dem locker gewebten, sehr leicht fransenden Stoff war die Stütznaht rund um den Taillenausschnitt überlebenswichtig.
Und einen Stoff, der sich am Saum derartig aushängt, habe ich auch noch nie erlebt. Das Rockteil darf sich nun noch etwas am Bügel entspannen, mit dem Wattieren der Jackenteile werde ich heute wahrscheinlich noch beginnen.
Alle Zwischenstände wie immer gesammelt bei MamaMachtsachen.
Diese dritte Version ist noch einmal 5 cm kürzer als der Vorgänger, ich reduzierte die Weite ein wenig und beschnitt die Vorderteile an den Kanten, so dass sie zu Dreiviertel überlappen. Die Jacke soll dort mit drei Knöpfen geschlossen werden.
Falte=Fehler?
Ich finde es sehr lehrreich, bei der Schnittbastelei zu erleben, welche Folgen einzelne Veränderungen nach sich ziehen und wie sich bei diesem Projekt die Prinzipien der Schnittaufstellung und auch das Verständnis dessen, wie ein Kleidungsstück zu sitzen und auszusehen hat, von unseren westlichen Vorstellungen unterscheiden.
Dass die engeren Ärmel von Jackenversion 2 und 3 mehr (oder eher: andere) Falten haben als die weiteren Ärmel von Version 1 wurde vor zwei Wochen schon deutlich. Aus unserem westlichen Verständnis heraus bewerten wir solche Falten als Passformmängel: das Ziel ist immer ein möglichst faltenloser Sitz der Kleidung am Körper. Dass dies aber kein allgemeingültiges Ziel sein muss, wurde mir in der vergangenen Woche klar, als ich noch einmal zu meinen Inspirationsfotos zurückkehrte.
Bei den Inspirationsfotos fiel mir jetzt auf, dass fast alle Jeogori-Jacken genau die gleichen Falten am Ärmel zeigen wie mein Probemodell - besonders deutlich werden die Falten z. B. auf diesem Foto. Auf den ersten Blick übersieht man sie gerne, weil man von den tollen Farben und Materialien geblendet wird. Kein einziges Beispiel ist ganz ohne Falten, die relativ faltenlosen modernisierten Exemplare scheinen überschnittene Schultern und zumindest eine Andeutung von Armkugel zu haben, sie weichen also von dem traditionellen Schnittschema ab.
Die traditionelle Form gibt es nicht ohne Falten am Ärmel, es kann sie gar nicht geben: Wenn europäische Schnitte sogenannte Kimonoärmel mit Zwickel haben, dann gibt es in der Regel ein gemeinsames Schnittteil für Vorder- bzw. Rückenteil und Ärmel, wobei die Ärmel in einem Winkel von mehr oder weniger 45 Grad an die Rumpfteile angeschnitten sind. Bei der koreanischen Jacke verbindet eine Naht die Ärmel- und Rumpfteile, die Ärmel bilden einen 90-Grad-Winkel zu Vorder- und Rückenteil. Bei der europäischen Aufteilung liegen die Ärmel im schrägen Fadenlauf und fallen weicher, das reduziert schon einmal die Faltenbildung. Außerdem entspricht der 45-Grad-Winkel der Ärmel schon einigermaßen der natürlichen Armhaltung. Auch eingesetzte Ärmel sind letztlich nichts anderes als Stoffröhren, die in einem relativ spitzen Winkel von den Rumpfteilen abgehen. Kein Wunder also, dass solche Ärmel vergleichsweise wenig Falten schlagen. Der koreanische Ärmel muss hingegen zwangsläufig Falten bilden, es sei denn die Trägerin streckt die Arme im 90-Grad-Winkel vom Körper weg.
Aus all dem schließe ich: die Falten sind offenbar kein Problem. Nur aus unseren eingelernten Maßstäben und Vorstellungen heraus sind sie eines. Wie befreiend! Und wie erhellend, auf diese Weise etwas über die Relativität von Bewertungen und über unsere Bekleidungsgewohnheiten zu lernen.
Nachdem ich die Ärmelfalten also als Problem wegdefiniert hatte, entschloss ich mich, jetzt einfach den Wollstoff zuzuschneiden. Durch die leichte Wattierung wird das Material sowieso anders fallen als der dünne Baumwollstoff des Probeteils.
Der Rock
Was den Rock des Ensembles betrifft, entschloss ich mich, mich dort nicht weiter mit komplizierten Schnitten zu verkünsteln: das wird ein einfacher Tellerrock. Bei dem locker gewebten, sehr leicht fransenden Stoff war die Stütznaht rund um den Taillenausschnitt überlebenswichtig.
Und einen Stoff, der sich am Saum derartig aushängt, habe ich auch noch nie erlebt. Das Rockteil darf sich nun noch etwas am Bügel entspannen, mit dem Wattieren der Jackenteile werde ich heute wahrscheinlich noch beginnen.
Alle Zwischenstände wie immer gesammelt bei MamaMachtsachen.
Sonntag, 16. Februar 2014
Frühlingsjäckchen Teil 2: Strickmusterwahl und Maschenprobe
Bei meinem Frühlingsjäckchen ist bisher noch nicht viel passiert. Die Sammlung auf dem MMM-Blog vor 14 Tagen - die ich immer noch nicht vollständig durchgeschaut habe - brachte mich auf jede Menge neue Ideen: eine Jacke in Fair-Isle-Technik, also mit mehrfarbigen kleinen Mustern? Oder Lochmuster? Oder mit Rundpasse? Oder doch ein Raglan? Eingestrickte Blumen? Häkelabschlüsse? Farbe, Material, Schnitt, Muster, Stricktechnik lassen theoretisch unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten zu, das kann einen schon überfordern. Ich habe daher an meinem ursprünglichen Plan festgehalten, den ich beim letzten Mal skizziert hatte: eine dunkelblaue kurze Strickjacke mit breitem Bündchen und rundem Ausschnitt, mit Zopf- oder Lochmuster entlang der vorderen Kanten und in der Mitte des Rückenteils oder so ähnlich. Es ging also in den letzten zwei Wochen darum, ein Zopf- oder Lochmuster zu finden.
Meine bevorzugte Seite ist dabei knittingfool.com, auf Deutsch gibt es z. B. bei Liane-stitch auch ungewöhnliche Muster (zu den weiteren Musterseiten kommt man über die Navigation ganz unten), oder Nadelspiel.com, dort muss man ein bißchen suchen. Aber auch in Büchern blättere ich gerne und blieb schließlich bei "Lochmuster 10" aus Wir stricken und häkeln von Ulrike und Kurt Wermut Graef (1976) hängen. Das Buch ist ein Handarbeitsklassiker, von der Aufmachung und den Fotos her sehr sehr retro, der Technikteil ist jedoch super. Das Lochmuster 10 sieht aus wie ein Zopf mit Löchern, es kommt aber ohne echte Verzopfungen mit Hilfsnadel zustande, sondern nur durch Umschläge und das Zusammenstricken von Maschen. Einfach, aber wirkungsvoll also.
Als Grundschnitt für Strickjäckchen nehme ich das Schnittschema des Swing Cardigan von Drops, das hatte ich vor einiger Zeit genau nach Anleitung aus der Originalwolle gestrickt, es passt gut und qualifizierte sich damit zum Prototypen für weitere Jacken, unter anderem für die grüne Jacke und für eine schwarze, die fast fertig ist. Ich stricke in Einzelteilen, also Rückenteil, zwei Vorderteile, Ärmel mit Armkugel, seprat angestrickte Knopfleisten, weil ich damit aufrgund meiner Näherfahrung am besten zurecht komme - bei Raglanmodellen habe ich immer das Problem, dass ich mich bei der Beurteilung der Passsform schwertue. Ein Rückenteil kann ich hingegen nachmessen und mit meinem Schnitt vergleichen.
Wie das Errechnen eines Schnitts aus der Maschenprobe funktioniert, kann man außer in Büchern auch an vielen Stellen im Netz nachlesen, ganz ausführlich zum Beispiel in einem Dossier von Tichiro, das man hier findet.
Stricken nach der Schlampenmethode
Ich arbeite nach der Schlampenmethode, die unter anderem beinhaltet, dass ich meine Maschenprobe nicht wasche. Dieses Mal werde ich ausnahmsweise von dieser Regel abweichen, weil Knit-Along-Dompteuse Meike heute so eindringlich zum Maschenprobe-Waschen aufgefordert hat und weil ich das Cotton-Merino-Garn noch nie verwendet habe und nicht weiß, was mich erwartet.
Ansonsten bedeutet Stricken nach der Schlampenmethode, dass ich mir anhand meiner Maschenprobe die Anzahl der Maschen für das Rückenteil ausrechne und außerdem ausrechne, wie viele Maschen an jeder Seite für die Taillierung erst ab- und dann wieder zugenommen werden müssen. Dann stricke ich mit dem Bündchen los, überlege mir, in welcher Höhe die Taillierung liegen soll und wie ich die Abnahmen und Zunahmen unter und über der gedachten Taillenlinie platziere. Es bietet sich meistens an, etwa alle zwei bis drei Zentimeter eine Masche abzunehmen und später wieder zuzunehmen, bei meinem Muster wäre das dann einmal pro Musterrapport.
Ich schreibe mir immer
Für die Vorderteile schlage ich mit der Schlampenmethode etwas weniger als die halbe Maschenanzahl des Rückenteils an, weil die angestrickte Knopfleiste später ja noch etwas Weite hinzufügt. Ich zeichne mir den Schnitt für ein halbes Vorderteil auf Papier und zeichne den Ausschnitt nach dem Vorbild eines vorhandenen Tshirts ein. Wenn ich bis zum Ausschnittbeginn hochgestrickt habe (Taillierung und Armausschnitte nach meinen Aufzeichnungen vom Rückenteil), stricke ich die Abnahmen für den Ausschnitt sozusagen "auf Sicht", das heißt ich lege mein Strickteil immer wieder auf den Papierschnitt und kette die Maschen so ab, dass die Kante der eingezeichneten Ausschnittlinie folgt. Dabei notiere ich mir wieder genau, was ich stricke, so dass ich das zweite Vorderteil genauso, bloß spiegelverkehrt stricken kann.
Zum Ärmelstricken nach der Schlampenmethode erzähle ich dann beim nächsten oder übernächsten Mal noch etwas, wenn ich so weit bin - da kommt selbst die Strickschlampe nämlich nicht darum herum, auch die Anzahl der Reihen zwischen den Zunahmen wenigstens annähernd zu berechnen.
Die Sammlung aller Frühlingsjacken-Strickerinnen mit vielen Tipps zum ordentlichen Stricken von Meike findet sich hier im Me made Mittwoch-Blog.
Freitag, 14. Februar 2014
Loben und Lästern: Burdastyle 2/2014
Auch die Rubrik Loben und Lästern verwehte letzte Woche im Nordseewind: es war die ganze Zeit wichtiger, aufs Meer zu starren. Das Märzheft ist schon ein paar Tage im Handel, ich will aber doch noch rasch meine Favoriten aus dem Februar besprechen, sonst vergesse ich gleich wieder, was ich nähen wollte. Und das ist eine ganze Menge - das Februarheft war aus meiner Sicht eine sehr ergiebige Ausgabe.
Ein Gutes hat die späte Besprechung in diesem Fall, meine Lieblingsmodelle sind nämlich alle schon irgendwo genäht worden und gefallen mir von echten Menschen getragen sogar noch besser.
Kleid 116 mit V-Ausschnitt und Knopfverschluss im Rücken konnte ich mir gleich aus allen möglichen Stoffen vorstellen: aus dunklem Wollkrepp im Winter, aus Leinen im Sommer, geblümt oder kariert. Sandra nähte ein hinreißendes Kleid mit diesem Schnitt und erlebte beim Nähen die Übergangsphasen "Sack" und "Kittel". Gut, dass sie das schrieb, so gerate ich nicht im Panik, bevor alles fertig ist. Katarinas Kleid nach diesem Schnitt wurde auch ganz wunderbar, und ich erahne bei ihrem Fotos auch, was ich höchstwahrscheinlich für mich ändern muss, nämlich das gleiche wie immer: Die Ausschnittbreite von Größe 36 auf das 38er Oberteil bringen, eine FBA (Änderung für große Oberweite) und das Oberteil um ein bis zwei Zentimeter verlängern.
Rock 103 hat eine ähnliche Konstruktion wie das Kleid mit zwei großen Falten im Vorderteil, in denen außerdem geräumige Taschen versteckt sind. Auf dem Foto kann man die Details im weiß auf weiß nur schlecht sehen, ich meine aber einen schönen, bequemen (Falten!) und praktischen (Taschen!) Alltagsrock zu erkennen und habe dafür gedanklich schon einen blaugrauen Wollmischstoff von Lotti bereitgelegt.
Der Rock findet sich als Unterteil wieder bei Kleid 101, kombiniert mit einem kurzärmeligen Raglanoberteil, von dem man im Heft nicht viel erkennen kann: die Frisur ist ja auch viel wichtiger als das Kleid. Aber SyBille hatte das Kleid - mit längeren Ärmeln - am Mittwoch schon fertig, und es sieht prima aus. Im Heft gibt es das Kleidoberteil mit langen Ärmeln und einem engen Rockteil kombiniert noch einmal als Modell 102. In dieser Zusammenstellung finde ich den Schnitt aber nicht überzeugend, die Taschen sind entweder zu groß oder zu klein.
Zur Zeit gibt es in den Läden ja viele Sachen mit sehr großen aufgesetzten Taschen, durchaus auch auf Hüfte und Oberschenkel, aber die sind dann immer so übertrieben groß, das klar wird: es handelt sich nicht um eine funktionale Tasche, sondern um ein modisches Statement. Die Burda-Blasebalgtaschen wirken auf mich verdruckst: so plattgebügelt, so verschämt, so betont unauffällig, so als wären sie für Wasserflasche und Angelköder gedacht. Also nein: Ich möchte große, selbstbewusste Taschen oder gar keine!
Bevor ich jetzt schon ins Lästern abgleite: Rock 105/106 fand ich ja auch gut, die Kellerfalte in der Mitte, die spitze Passe, den Schnitt hebe ich mir für den Sommer auf und nähe ihn dann aus Leinen oder festerer Baumwolle. Am vorletzten oder vorvorletzten Mittwoch hatte auch schon jemand den Rock gezeigt- leider finde ich den Beitrag nicht wieder, kann sich zufällig jemand erinnern oder erkennt sich wieder?, und zwar die Sachenmacherin.
Brauchbar, aber ohne akutes Nachnähbedürfnis bei mir zu wecken, finde ich auch Schnitt 121, einen schräg zugeschnittenen Vier-Bahnen-Rock, und Modell 108/109/110, das ist ein klassischer Jeansrockschnitt mit Passentaschen und spitzer Passe im Rückenteil und in drei verschiedenen Längen. Das Knotenshirt 130 ist interessant, mir aber zu hochgeschlossen, obwohl es sicher sehr gut unter Blazer passen würde und bei Shirt 135 mit "Beutel" im Vorderteil stand offenbar Pattern Magic Pate.
Tja, und dann gibt es noch die "Punk-Poesie". Gemeint sind damit zum Beispiel eine Nena-Streifenhose zu einer Bluse mit merkwürdigem Harlekinkrägelchen (125). Grobmaschige Netzstrumpfhosen, denn zerrissene Strümpfe traute sich Burda dann doch nicht. Ein albernes kleines Handtäschchen baumelt am Arm und ein Mädchen mit dunkel geschminkten Augen posiert auf einem verlassenen Bahngelände und macht auf verrucht und dreckig. Vorsichtshalber wird die Leserin belehrt: "Wie bei allen Modellen dieser Strecke gilt auch hier: Als Hingucker im Alltag genügt ein Punk-Teil pro Outfit." (S. 63). Puh, und ich dachte schon, ich müsste mir zu dem Tshirt mit Ösenband am Ausschnitt (122), das ich ganz gelungen finde, unbedingt auch noch den Minirock mit den Sicherheitsnadeln am Saum (119) nähen, damit das dann auch alles zusammenpasst. Und dann wieder diese doofe, in der Hand getragene Handtasche!
Was sagt ihr? Die Punk-Ästhetik ist ja nun schon so lange im Moderepertoire fest etabliert, dass von Rebellion nicht mehr die Rede sein kann, das war früher schon im Quelle-Katalog nicht anders. Ich bin auch gar keine Fundamentalistin: ich finde es in Ordnung, wenn sich die Mode einzelne Elemente aus verschiedenen Subkulturen ausborgt und ein bißchen Coolness gleich mit dazu. Die Kombination mit niedlichen, kindlich-adretten Sachen wie dem Seidenkleid 126 - offensichtlich die Poesie in "Punk-Poesie" - finde ich aber nicht gelungen. Es ist schon recht verräterisch, dass in dieser Fotostrecke nur die Hosen-Outfits mit Schuhen abgebildet sind. Achtet da mal drauf! Bei den Rock- bzw. Kleidbildern wurden die Füße abgeschnitten, woraus ich schließe, dass auch das Burda-Team bei der Wahl der Schuhe ratlos war: Punk oder Poesie? Docs oder Schleifenballerinas? Oder den Stilmischmasch noch vergößern und erwachsene, hochhackige Lackpumps zum kindlichen Kleid anziehen? Fragen über Fragen und Burda lässt uns damit ratlos zurück.
Ein Gutes hat die späte Besprechung in diesem Fall, meine Lieblingsmodelle sind nämlich alle schon irgendwo genäht worden und gefallen mir von echten Menschen getragen sogar noch besser.
Kleid 116 mit V-Ausschnitt und Knopfverschluss im Rücken konnte ich mir gleich aus allen möglichen Stoffen vorstellen: aus dunklem Wollkrepp im Winter, aus Leinen im Sommer, geblümt oder kariert. Sandra nähte ein hinreißendes Kleid mit diesem Schnitt und erlebte beim Nähen die Übergangsphasen "Sack" und "Kittel". Gut, dass sie das schrieb, so gerate ich nicht im Panik, bevor alles fertig ist. Katarinas Kleid nach diesem Schnitt wurde auch ganz wunderbar, und ich erahne bei ihrem Fotos auch, was ich höchstwahrscheinlich für mich ändern muss, nämlich das gleiche wie immer: Die Ausschnittbreite von Größe 36 auf das 38er Oberteil bringen, eine FBA (Änderung für große Oberweite) und das Oberteil um ein bis zwei Zentimeter verlängern.
Rock 103 hat eine ähnliche Konstruktion wie das Kleid mit zwei großen Falten im Vorderteil, in denen außerdem geräumige Taschen versteckt sind. Auf dem Foto kann man die Details im weiß auf weiß nur schlecht sehen, ich meine aber einen schönen, bequemen (Falten!) und praktischen (Taschen!) Alltagsrock zu erkennen und habe dafür gedanklich schon einen blaugrauen Wollmischstoff von Lotti bereitgelegt.
Der Rock findet sich als Unterteil wieder bei Kleid 101, kombiniert mit einem kurzärmeligen Raglanoberteil, von dem man im Heft nicht viel erkennen kann: die Frisur ist ja auch viel wichtiger als das Kleid. Aber SyBille hatte das Kleid - mit längeren Ärmeln - am Mittwoch schon fertig, und es sieht prima aus. Im Heft gibt es das Kleidoberteil mit langen Ärmeln und einem engen Rockteil kombiniert noch einmal als Modell 102. In dieser Zusammenstellung finde ich den Schnitt aber nicht überzeugend, die Taschen sind entweder zu groß oder zu klein.
Zur Zeit gibt es in den Läden ja viele Sachen mit sehr großen aufgesetzten Taschen, durchaus auch auf Hüfte und Oberschenkel, aber die sind dann immer so übertrieben groß, das klar wird: es handelt sich nicht um eine funktionale Tasche, sondern um ein modisches Statement. Die Burda-Blasebalgtaschen wirken auf mich verdruckst: so plattgebügelt, so verschämt, so betont unauffällig, so als wären sie für Wasserflasche und Angelköder gedacht. Also nein: Ich möchte große, selbstbewusste Taschen oder gar keine!
Bevor ich jetzt schon ins Lästern abgleite: Rock 105/106 fand ich ja auch gut, die Kellerfalte in der Mitte, die spitze Passe, den Schnitt hebe ich mir für den Sommer auf und nähe ihn dann aus Leinen oder festerer Baumwolle. Am vorletzten oder vorvorletzten Mittwoch hatte auch schon jemand den Rock gezeigt
Brauchbar, aber ohne akutes Nachnähbedürfnis bei mir zu wecken, finde ich auch Schnitt 121, einen schräg zugeschnittenen Vier-Bahnen-Rock, und Modell 108/109/110, das ist ein klassischer Jeansrockschnitt mit Passentaschen und spitzer Passe im Rückenteil und in drei verschiedenen Längen. Das Knotenshirt 130 ist interessant, mir aber zu hochgeschlossen, obwohl es sicher sehr gut unter Blazer passen würde und bei Shirt 135 mit "Beutel" im Vorderteil stand offenbar Pattern Magic Pate.
Tja, und dann gibt es noch die "Punk-Poesie". Gemeint sind damit zum Beispiel eine Nena-Streifenhose zu einer Bluse mit merkwürdigem Harlekinkrägelchen (125). Grobmaschige Netzstrumpfhosen, denn zerrissene Strümpfe traute sich Burda dann doch nicht. Ein albernes kleines Handtäschchen baumelt am Arm und ein Mädchen mit dunkel geschminkten Augen posiert auf einem verlassenen Bahngelände und macht auf verrucht und dreckig. Vorsichtshalber wird die Leserin belehrt: "Wie bei allen Modellen dieser Strecke gilt auch hier: Als Hingucker im Alltag genügt ein Punk-Teil pro Outfit." (S. 63). Puh, und ich dachte schon, ich müsste mir zu dem Tshirt mit Ösenband am Ausschnitt (122), das ich ganz gelungen finde, unbedingt auch noch den Minirock mit den Sicherheitsnadeln am Saum (119) nähen, damit das dann auch alles zusammenpasst. Und dann wieder diese doofe, in der Hand getragene Handtasche!
Was sagt ihr? Die Punk-Ästhetik ist ja nun schon so lange im Moderepertoire fest etabliert, dass von Rebellion nicht mehr die Rede sein kann, das war früher schon im Quelle-Katalog nicht anders. Ich bin auch gar keine Fundamentalistin: ich finde es in Ordnung, wenn sich die Mode einzelne Elemente aus verschiedenen Subkulturen ausborgt und ein bißchen Coolness gleich mit dazu. Die Kombination mit niedlichen, kindlich-adretten Sachen wie dem Seidenkleid 126 - offensichtlich die Poesie in "Punk-Poesie" - finde ich aber nicht gelungen. Es ist schon recht verräterisch, dass in dieser Fotostrecke nur die Hosen-Outfits mit Schuhen abgebildet sind. Achtet da mal drauf! Bei den Rock- bzw. Kleidbildern wurden die Füße abgeschnitten, woraus ich schließe, dass auch das Burda-Team bei der Wahl der Schuhe ratlos war: Punk oder Poesie? Docs oder Schleifenballerinas? Oder den Stilmischmasch noch vergößern und erwachsene, hochhackige Lackpumps zum kindlichen Kleid anziehen? Fragen über Fragen und Burda lässt uns damit ratlos zurück.
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